Pegasus-Projekt:Spähangriff auf Staatsspitzen

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Neben Macron war auch der EU-Ratspräsident Charles Michel (rechts) im Visier der Spähsoftware. (Foto: Bloomberg, Reuters, epa, Imago, Collage: Stefan Dimitrov)

Mehrere Geheimdienste nutzten offenbar die Spionage-Technik Pegasus, um Staats- und Regierungschefs auszuforschen - darunter Frankreichs Emmanuel Macron, Pakistans Imran Khan sowie den früheren belgischen Premier Charles Michel.

Von Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Ralf Wiegand, München

Der französische Präsident Emmanuel Macron ist ins Visier der Spähsoftware Pegasus geraten. Das belegt eine Liste von Telefonnummern, die die Süddeutsche Zeitung einsehen konnte. Offenbar hat eine marokkanische Behörde Macron im Jahr 2019 ausgeforscht. Bei der Liste handelt es sich den Recherchen zufolge um die Nummern potenzieller Ausspäh-Ziele, die von Kunden der israelischen Spionagefirma NSO Group vorausgewählt wurden. Insgesamt finden sich im Leak des Pegasus-Projekts die Telefonnummern von 14 Staats- oder Regierungschefs, die während ihrer Amtszeit Opfer des Handy-Spions Pegasus geworden sein könnten. Betroffen sind unter anderem der jemenitische Premierminister Ahmed Obeid bin Daghr, Saad Hariri aus Libanon, Ruhakana Rugunda aus Uganda, Mustafa Madbuli aus Ägypten, Saadeddine Othmani aus Marokko und Imran Khan, der Regierungschef Pakistans.

Die Pariser Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekamen Zugang zu den sensiblen Daten, die sie dann mit der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR sowie 15 weiteren Medien aus zehn Ländern geteilt haben.

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Insgesamt konnte das Pegasus-Projekt-Team die Nummern von Regierungsmitgliedern aus mehr als 20 Ländern sowie von Hunderten Regierungsbeamten aus mehr als 30 Ländern identifizieren.

Emmanuel Macron ist bekannt dafür, seine Mobiltelefone exzessiv zu nutzen, auch zur Steuerung seiner Regierung. In den Pegasus-Projekt-Daten findet sich nun eine Telefonnummer, die er nach Informationen des SZ-Partners Le Monde mindestens seit dem Jahr 2017 verwendet. Auch in den vergangenen Tagen war Macron auf dieser Nummer erreichbar. Aus dem Élysée-Palast hieß es am Dienstagabend auf Nachfrage: "Wenn die Vorwürfe sich als richtig erweisen sollten, wären sie sehr schwerwiegend." Die Enthüllungen der Journalistengruppe müssten vollständig aufgeklärt werden. "Wir werden das natürlich nicht auf die leichte Schulter nehmen", sagte Gabriel Attal, der Élysée-Sprecher. Die NSO teilte auf Anfrage mit, sie könne ausschließen, dass Macron mögliches Ziel eines NSO-Kunden sei, jetzt oder früher.

In den Daten finden sich indes weitere Nummern hochrangiger französischer Politiker, etwa die des damaligen Premierministers Édouard Philippe sowie von etlichen Ministerinnen und Ministern seiner im ersten Halbjahr 2019 amtierenden Regierung. Auch die Mobilnummer von Charles Michel, damals Belgiens Premierminister und heute Präsident des Europäischen Rates, war ein potenzielles Ziel marokkanischer Behörden.

Die marokkanische Botschaft in Paris erklärte, es handele sich um "unbegründete Anschuldigungen", die man schon in der Vergangenheit "kategorisch zurückgewiesen" habe. Die Regierung des Königreichs und ihre Behörden hätten "niemals Computersoftware erworben", um "Kommunikationsgeräte zu infiltrieren, noch haben die marokkanischen Behörden jemals auf solche Handlungen zurückgegriffen", heißt es in der Stellungnahme.

Noch ist unklar, ob die Telefone der betroffenen Politiker tatsächlich mit der Spähsoftware infiziert wurden. Dieser Nachweis ließe sich nur durch eine forensische Untersuchung der Geräte führen, der bislang keiner der Politiker offiziell zugestimmt hat. Dagegen haben die Spezialisten von Amnesty International auf den Handys französischer Journalistinnen und Journalisten Spuren der NSO-Spähsoftware Pegasus gefunden. Auch hinter diesen Angriffen wird eine marokkanische Behörde vermutet. Smartphones, auf denen Pegasus erfolgreich platziert wurde, können nahezu lückenlos abgehört und ferngesteuert werden, so lassen sich etwa Kamera und Mikrofon heimlich einschalten. Das Programm umgeht auch die Verschlüsselung ansonsten als sicher geltender Messengerdienste.

Nach Angaben der NSO Group ist die Software für die Überwachung von Terroristen und mutmaßlichen Kriminellen gedacht. Das Ausspähen von Politikerinnen und Politikern fällt demnach nicht unter die erlaubte Nutzung. Die israelische Firma lässt erklären, weder zu ihren Kunden Stellung zu nehmen, noch Zugriff auf deren Zielauswahl zu haben. Nach eigenen Angaben verkauft NSO Pegasus-Lizenzen nur an staatliche Stellen. Man wehre sich gegen falsche Anschuldigungen, werde aber mutmaßliche Fälle von Missbrauch der Software überprüfen und sich gegebenenfalls von Kunden trennen, was in der Vergangenheit bereits geschehen sei.

Auch der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi geriet den Recherchen zufolge ins Visier marokkanischer Behörden. Der ehemalige mexikanische Präsident Felipe Calderón wiederum wurde offenbar von Stellen seines eigenen Landes ins Visier genommen, allerdings nach seiner Amtszeit. Sogar eine Nummer, die nach den Projekt-Pegasus-Recherchen dem marokkanischen König Mohammed VI. zuzuordnen ist, findet sich auf der Liste der 50 000 potenziellen Ausspähziele. Auch in diesem Fall war es offenbar ein Geheimdienst des eigenen Landes, der sich für den Monarchen interessierte. Die NSO teilte mit, der Monarch sei nie Ziel oder mögliches Ziel eines ihrer Kunden gewesen.

Auch globale Organisationen sind demnach potenzielle Ziele staatlicher Überwachung. Die Handynummer des Äthiopiers Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO, ist im Leak ebenso gelistet wie die verschiedener UN-Botschafter und anderer Diplomaten. Auch zu diesem Namen nahm die NSO Stellung: Ghebreyesus sei weder jetzt noch früher Ziel oder mögliches Ziel eines NSO-Kunden.

Ghebreyesus scheint ebenso wie die französischen und algerischen Ziele von marokkanischen Behörden ins Visier genommen worden zu sein, Pakistans Regierungschef Imran Khan von indischen Behörden. Saad Hariri (Libanon) und Barham Salih (Irak) scheinen das Interesse sowohl von Saudi-Arabien als auch der Vereinigten Arabischen Emirate geweckt zu haben, Ägyptens Premier sollen allein die Saudis, den jemenitischen Regierungschef hingegen nur die Emirate auf dem Radar haben. Der Präsident von Südafrika und der damalige Premierminister von Uganda wurden den Recherchen zufolge von entsprechenden Stellen in Ruanda anvisiert - allerdings bestreitet Ruanda, Pegasus überhaupt zu nutzen. Die Regierungen von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ließen Anfragen zur Nutzung von NSO-Software unbeantwortet. Aus Indien kam die Erklärung, die heimischen Behörden würden nach Recht und Gesetz operieren.

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