Katastrophenschutz:"War das jetzt ein Probealarm oder der Ernstfall?"

Lesezeit: 2 min

Die beste Warn-App nutzt nichts, wenn die Warnungen nicht auch als solche wahrgenommen werden, sondern nur als nerviges Dauergepiepse. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Warum sind die Warnungen vor starken Regenfällen nicht bei den Menschen in den betroffenen Gebieten angekommen? Katastrophenforscherin Elke Geenen erklärt, welche Arten von Alarm überhaupt Gehör finden und warum auch Sirenen nur bedingt tauglich sind.

Interview von Martin Zips

Wurden die Menschen nicht angemessen gewarnt? Das ist die Frage, über die nach den verheerenden Überschwemmungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz jetzt diskutiert wird. Der Deutsche Wetterdienst hatte schon Tage vor der Katastrophe heftige Regenfälle angekündigt, doch Behörden und Medien hätten es versäumt, die Warnungen an die Bevölkerung zu übermitteln, kritisiert die Opposition. Und als das Wasser rasend schnell stieg, brach das Handynetz zusammen und die Botschaften von Warn-Apps liefen ins Leere. Aber wie muss eine Warnung aussehen, damit sie von den Menschen überhaupt als solche verstanden wird? Die Katastrophenforscherin Elke Geenen, Gründerin und Leiterin des Instituts für Sozioökonomische und Kulturelle Internationale Analyse (ISOKIA), forscht und arbeitet seit Jahren zu dem Thema.

SZ: Frau Geenen, warnen Sirenen vielleicht doch besser als Apps?

Elke Geenen: Wir müssen zwischen Warnung und Alarmierung unterscheiden. Eine Warnung kann immer auch etwas Längerfristiges sein. Und da es heute viele Kanäle gibt, um Menschen zu erreichen, muss natürlich auch mit einer Vielzahl von Medien gearbeitet werden.

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Aber es werden doch immer mehr Medien. Reichen Sirenen denn nicht?

Auch eine Sirene oder eine Lautsprecherdurchsage wird ja unter Umständen nicht von allen gehört. Auch daran müssen Gemeinden denken. Woran es aber meines Erachtens am meisten hakt, ist, dass Alarmierungen nicht spezifisch genug sind. Sie müssen eine klare, präzise Handlungsbotschaft transportieren. Zum Beispiel, wie bei dem Starkregen, dass die Menschen ab sofort nicht mehr in den Keller gehen sollen.

Der moderne Mensch erhält aber permanent irgendwelche Warnungen auf sein Handy...

... und da wäre es die Aufgabe des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, dafür zu sorgen, dass alle wichtigen Warnungen so bei den Menschen ankommen, dass sie als solche auch klar verstanden werden.

Aber wie soll das gehen? Das kriegen Behörden doch schon bei den Corona-Warn-Apps nicht richtig hin.

Genau dafür haben wir ja das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Das ist exakt deren Aufgabe, daran zu arbeiten. Und es mag ja sein, dass der Begriff der Warnung im digitalen Zeitalter überstrapaziert wird und die Menschen nicht mehr zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden können. Aber dann muss man dem eben entgegenwirken. Mit klaren, eindeutigen, allgemein und auch von Ausländern zu verstehenden Handlungsanweisungen, die nicht im allgemeinen Gemurmel untergehen. Auch eine klare Optik spielt eine Rolle.

Elke Geenen, 67, schrieb ihre Dissertation über Erdbeben-Frühwarnsysteme in der Türkei und lehrte an der Universität Kiel. Sie berät Unternehmen und Politiker in Fragen des Katastrophenschutzes sowie Krisenmanagements. (Foto: privat)

Natürlich haben es die Behörden auch nicht leicht. Früher gab es das Fernsehen, das Radio, die Sirenen und den Ortsruf - das war's. Sind die Bevölkerungsschützer ob der vielen digitalen Möglichkeiten nicht auch ein bisschen überfordert?

Mein Eindruck ist, dass das BBK zuletzt zu stark auf Apps gesetzt hat und andere analoge Bereiche vernachlässigte. Bei mir in Ottendorf bei Kiel erklingt die Sirene noch jeden Samstag um zwölf Uhr. Aber in vielen anderen Gegenden wurde sie ausgeschaltet. Das war sicher ein Fehler, der von Expertengremien bereits seit den Neunzigerjahren immer wieder kritisiert wird. Und natürlich nützt es auch nichts, wenn eine Sirene heult - aber niemand versteht mehr die Signale. War das jetzt ein Probealarm oder der Ernstfall?

Müsste man auch in den Schulen ansetzen?

Richtig. Kinder sind ohnehin wichtige Multiplikatoren beim Katastrophenschutz. Wichtig für die Zukunft ist aber auch, dass sich die Gemeinden vernetzen und geprüft wird, ob Meldungen auch wirklich ankommen.

Gibt es überhaupt so etwas wie eine für jede Situation allgemein gültige Warnung?

Natürlich nicht. Ich habe in türkischen Erdbebengebieten geforscht. Da war dann auch mal Mund-zu-Mund-Propaganda wichtig oder der Imam, der die Lautsprecher an seiner Moschee eingeschaltet hat. Wichtig ist, dass man sich in einer Gemeinde schon früh darüber Gedanken macht, was am besten funktionieren könnte. Genauso, wie sich die Politik jetzt darüber Gedanken machen sollte, ob es nicht an der Zeit wäre, eine Elementarversicherung für alle Bürger einzuführen. Damit die, die zufällig zum Opfer solcher regionaler Wetterphänomene werden, nicht mit ein paar regionalen Hilfen alleingelassen werden.

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