Nordirland:London will Brexit-Vertrag neu verhandeln

Brexit

Ein Protestaufkleber mit der Aufschrift ´No Sea Border" (´Keine Seegrenze") klebt in der Nähe des ´Belfast Harbour" auf einem Laternenpfahl. Die britische Regierung geht im Streit um die Brexit-Regeln für Nordirland weiter auf Konfrontationskurs mit Brüssel.

(Foto: dpa)

Die britische Regierung fordert "erhebliche Änderungen" bei den Regelungen für Nordirland. Damit verschärft sie den Konfrontationskurs gegenüber Brüssel.

Von Alexander Mühlauer, London

Im Streit über die Brexit-Regeln für Nordirland hat die britische Regierung ihren Konfrontationskurs gegenüber der EU deutlich verschärft. Brexit-Minister Lord David Frost forderte am Mittwoch "erhebliche Änderungen" am sogenannten Nordirland-Protokoll, das Teil des Austrittsvertrags zwischen London und Brüssel ist. "Wir glauben, dass diese Änderungen in der Situation, in der wir uns gerade befinden, notwendig sind", erklärte Frost im britischen Oberhaus. Die bisherigen Regelungen seien nicht geeignet, den Frieden in der ehemaligen Bürgerkriegsregion zu wahren. Die EU-Kommission erteilte der Forderung aus London umgehend eine Absage. Man sei bereit, "kreative Lösungen im Rahmen des Protokolls zu suchen", hieß es aus Brüssel. Einer Neuverhandlung werde man aber nicht zustimmen.

Die Regierung in London legte am Mittwoch ein 28-seitiges Papier vor, in dem sie ausführt, warum die Brexit-Regeln für Nordirland aus ihrer Sicht nicht tragbar sind. Kern des Streits mit der EU ist die Tatsache, dass sich Nordirland trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften halten muss. So soll verhindert werden, dass es zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland eine "harte Grenze" gibt, an der Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Daraus folgt allerdings, dass wiederum Warenlieferungen aus England, Wales und Schottland nach Nordirland überprüft werden müssen.

Brexit-Minister Frost erklärte, dass die britische Regierung versucht habe, das Protokoll umzusetzen, aber es sei klar geworden, dass dies zu erheblichen und andauernden Beeinträchtigungen in Nordirland geführt habe. Aus Londoner Sicht wäre die britische Regierung sogar dazu berechtigt, die Vereinbarungen ganz auszusetzen. Denn gemäß Artikel 16 des Protokolls kann das Vereinigte Königreich "einseitig geeignete Schutzmaßnahmen ergreifen", wenn die Anwendung des Protokolls "zu schwerwiegenden und voraussichtlich anhaltenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder ökologischen Schwierigkeiten oder zur Verlagerung von Handelsströmen" führt. Genau das ist nach Ansicht der britischen Regierung der Fall. Die Option mit Artikel 16 will sich London weiter offenhalten, aber zunächst will die Regierung weiter mit Brüssel verhandeln.

Im Mittelpunkt soll dabei die Belastung für Unternehmen stehen. In dem Papier der Regierung heißt es, dass die Lieferketten von und nach Nordirland gestört und die Kosten für Unternehmen und Verbrauchen gestiegen seien. Mindestens 200 Firmen in Großbritannien haben demnach aufgehört, den nordirischen Markt zu beliefern. Supermärkte mussten ihr Angebot reduzieren. Die britische Regierung führt eine Umfrage an, wonach fast 30 Prozent aller kleineren Unternehmen in Nordirland einen Rückgang ihrer Verkäufe nach Großbritannien verzeichnen mussten. Die Lasten für Firmen und Verbraucher würden künftig weiter steigen, heißt es in dem sogenannten command paper der Regierung. Denn viele der Übergangsfristen, in denen sich Firmen auf die neuen Regeln einstellen können, laufen im Herbst aus.

Frost schlug deshalb eine "Periode des Stillstands" vor, in der bislang geltende Übergangsfristen verlängert und rechtliche Streitigkeiten auf Eis gelegt werden sollten. Damit meint die britische Regierung vor allem das Vertragsverletzungsverfahren, das die Europäische Kommission eingeleitet hat, nachdem London eigenmächtig Übergangsfristen verlängert hatte. Bei einem Treffen mit Frost im Juni hatte die EU-Kommission damit gedroht, Vergeltungsmaßnahmen wie Strafzölle zu verhängen, sollte London weitere einseitige Entscheidungen treffen.

Der britischen Regierung ist nun daran gelegen, "ein neues Gleichgewicht" zu schaffen, das den Handel zwischen Großbritannien und Nordirland erleichtert. Zu diesem Zweck sollen nur noch Waren kontrolliert werden müssen, die über Nordirland in die Republik Irland - und damit in die EU - gelangen sollen. Nur so könne die Integrität des britischen Binnenmarktes gewahrt bleiben. Es müsse sichergestellt werden, dass Unternehmen und Verbraucher in Nordirland den gleichen Zugang zu Waren haben wie im Rest des Vereinigten Königreichs. Die betroffenen Firmen sollen deshalb den Bestimmungsort jeder Warenlieferung vorab bekanntgeben. Um Schmuggel zu verhindern, müssen sie gegenüber dem britischen Zoll "umfassende Transparenz" walten lassen, sprich ihre Lieferketten offenlegen.

Neben neuen Zollabwicklungen fordert London von der EU, die sogenannte Governance des Nordirland-Protokolls zu "normalisieren". So sollen etwa EU-Institutionen wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) keine Rolle mehr bei der Überwachung der Einhaltung des Abkommens spielen. Stattdessen verlangt die britische Regierung ein internationales Schiedsverfahren, ganz so wie es beim Freihandelsabkommen zwischen Brüssel und London vereinbart worden ist.

Der britische Nordirland-Minister Brandon Lewis forderte die Europäische Union am Mittwoch im Londoner Unterhaus auf, sich die Vorschläge "mit frischen Augen" anzusehen. Das Ziel müsse sein, das Karfreitagsabkommen, das Frieden nach Nordirland gebracht habe, zu wahren. Wie zerbrechlich dieser sei, hätten die Unruhen an Ostern gezeigt. Ein Wiederaufflammen der Krawalle gelte es um jeden Preis zu verhindern.

Zur SZ-Startseite
Brexit - Brüssel

MeinungGroßbritannien
:Würstchen und Wortbrecher

Im ewigen Handelsstreit mit der EU muss sich Boris Johnson entscheiden, was ihm wichtiger ist: Frieden in Nordirland oder die Illusion einer perfekt abgeschotteten Insel.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: