Haus der Kunst:Die Zeit ist reif für knallige Träume

Haus der Kunst: "Recovery" heißt das großformatige Werk von Jeff Wall. In der gemalten sommerlichen Szenerie sitzt ein Mann im Pulli, dazu der Künstler: "Vielleicht hat er die falsche Pille eingeworfen?"

"Recovery" heißt das großformatige Werk von Jeff Wall. In der gemalten sommerlichen Szenerie sitzt ein Mann im Pulli, dazu der Künstler: "Vielleicht hat er die falsche Pille eingeworfen?"

(Foto: Jeff Wall)

"The World: Reglitterized" ist der Titel der Biennale im Haus der Kunst. Laurie Anderson, Jeff Wall und viele andere reagieren mit ihren Werken auf die Pandemie. Die Band "Deichkind" ist auch dabei.

Von Jürgen Moises

Man könnte sie für einen Traum oder eher noch einen Albtraum halten. Die vergangenen Monate, in denen wir gelebt haben. Auch für Künstler war die Zeit sehr schwierig. Gleichzeitig heißt es aber auch, gerade Krisen seien ein guter Nährboden für Kunst. Dass jedenfalls das Immaterielle Volten schlägt, der Traum, die Vorstellungskraft, wenn sich eine ganze Gesellschaft lange in individuelle Schutzräume zurückzieht: Das ist eine These, die bei der 5. Biennale im Zentrum steht, die der Künstlerverbund im Haus der Kunst dort vom 30. Juli an veranstaltet. "The World: Reglitterized" heißt der Titel der von Alexander Timtschenko und Susanne Prinz kuratierten Schau, der Untertitel: "Paradise is exactly like where you are right now ... only much much better". Ob das uns alle meint, und jeden Ort? Oder ist die Ausstellung selbst das Paradies?

Auffällige Volten gibt es da, und zwar was die Künstlerliste betrifft. Mit Peter Reill, Stefanie Zoche oder dem Duo M + M sind darauf wie immer Künstler und Künstlerinnen aus München vertreten. Mit Namen wie David Claerbout, Andrea Zittel, Joseph Beuys oder Laurie Anderson befindet man sich aber bald auch auf dem internationalen Kunstparkett. Und mit Deichkind hat sich eine bekannte Elektropunk-Band ins Portfolio geschmuggelt. Aber wer große Thesen oder Fragen in den Raum stellt, der braucht eben ein breites "Datenmaterial", um glaubwürdig zu bleiben.

Zu Laurie Anderson gibt es auch einen direkten Bezug. Spielt der Titel "The World:Reglitterized" doch auf eine Ausstellung der amerikanischen Künstlerin aus dem Jahr 2005 an. "The Waters Reglitterized" hieß diese, was als Zitat wiederum von Henry Miller stammt. Der hatte 1949 einen Essay über Malerei damit überschrieben, in dem er unter anderem den Einfluss des Unterbewussten auf seine Wassermalerei beschreibt. Und Laurie Anderson wiederum nannte ihre Ausstellung eine Art Tagebuch der Träume.

Phänomene innerhalb des Traums oder des Träumens sollen es sein, die die Ausstellung "The World: Reglitterized" prägen. Gemeint ist etwa eine veränderte Zeit- oder Größenwahrnehmung. Traum oder Träumer können aber auch ganz direkt das Thema sein. Wie etwa auf der Fotografie "Antiquarian Sleeping in his Shop" des Kanadiers Rodney Graham, wo man eben genau das sieht: Einen Mann, der umgeben von Bildern und anderen Objekten auf dem Sofa eingeschlafen ist. Wovon er wohl träumt und ob es etwas mit dem Zettel in seiner Hand zu tun hat?

Auf Jeff Walls großformatiger Fotografie mit dem Titel "Recovery" sitzt ein Mann in Shorts und einem gelben Pulli in einer gemalten Szenerie. Ein Park an einem Sommernachmittag, dargestellt in knallig bunten Farben. Walls offizieller Kommentar dazu: "Vielleicht hat er die falsche Pille eingeworfen?" Warren Neidich setzt sich in seiner vielfarbigen, textbasierten Neon-Skulptur "Pizzagate" mit der Fake-News-Geschichte auseinander, dass Hillary Clinton zusammen mit ihren Mitarbeitern vom Keller der "Comet Ping Pong"-Pizzeria aus einen Kindersklaven-Ring betrieben hat. Die Amerikanerin Andrea Zittel hat ein "A-Z Escape Vehicle" gebaut. Ein Fluchtfahrzeug, das an einen Wohnwagen erinnert, aber keine Räder hat. Tatsächlich soll das "Vehicle" nicht für die Reise, sondern als Rückzugsort für den Garten oder die Einfahrt dienen.

Daniel Knorr hat eine Recyclinganlage in Hongkong besucht. Wenn dort eine Maschine ausfällt, entstehen aus dem geschredderten und geschmolzenen Kunststoff unkontrollierte Gebilde. Knorrs Skulptur "Calligraphic Wig" ist eines davon, das er nachträglich mit Autolack besprüht hat. Das Produkt eines Systemfehlers, wie sie auch die Pandemie offenbart hat. Wie man mit diesen nun umgeht, ist die große Frage. Jedenfalls reicht es nicht, wenn man nur neu lackiert.

The World: Reglitterized - 5. Biennale im Haus der Kunst, 30. Juli, bis 10. September 2021, Prinzregentenstraße 1, Telefon 089/21127113

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