Rottenburg an der Laaber:Blinder Asylbewerber soll abgeschoben werden

Rottenburg an der Laaber: Mheddin Saho hat in Gisela und Gerhard Zierer "Zieheltern" gefunden.

Mheddin Saho hat in Gisela und Gerhard Zierer "Zieheltern" gefunden.

(Foto: Anna Zierer)

In Niederbayern kämpft ein Ehepaar mit vielen Unterstützern um das Bleiberecht für einen 27-jährigen Syrer. Er soll nach Spanien geschickt werden - obwohl dort die Situation für einen blinden Flüchtling ungewiss, wenn nicht sogar gefährlich ist.

Von Gregor Grosse

Als um 16 Uhr die Kirchenglocken läuten, zuckt Mheddin Saho kurz zusammen. Er sitzt keine 50 Meter davon entfernt im Garten von Gisela und Gerhard Zierer im niederbayerischen Rottenburg an der Laaber. Die beiden sind in den vergangenen zweieinhalb Jahren so etwas wie die Ersatzeltern des 27-jährigen Syrers geworden. Das Läuten der Glocken erinnert Saho an jenen Tag, als er zum ersten Mal hätte abgeschoben werden sollen. An jenem Morgen holte ihn die Polizei ab, um ihn ins Flugzeug nach Spanien zu setzen - für Saho, aber auch seine beiden Helfer, ein schreckliches Erlebnis, das sich womöglich schon bald wiederholen könnte.

Saho ist seit seiner Geburt blind. Trotzdem gelang ihm 2014 die Flucht aus Idlib über die Türkei und dann weiter nach Spanien. Das könnte ihm nun zum Verhängnis werden. Denn ein Gericht hat entschieden, dass nicht Deutschland, sondern Spanien für Sahos Asylverfahren zuständig ist. Dabei hat sich Saho in der kurzen Zeit vorbildlich integriert. Er studiert im Master Anglistik an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und arbeitet nebenbei als Übersetzer.

Gisela und Gerhard Zierer, beide aktiv in der evangelischen Gemeinde, sind stolz auf ihren "Ziehsohn". Das spürt und hört man: "Mheddin hat im Selbststudium die B1-Prüfung und den Einbürgerungstest absolviert. Seine Dozenten halten große Stücke auf ihn", schwärmt Gisela Zierer.

Saho wirkt gefasst, als er über die Schrecken des Krieges bei ihm zu Hause in Syrien berichtet - das ändert sich schnell. Es spricht eine Mischung aus Verzweiflung und Wut aus dem Mann - über das deutsche Asylverfahren, die Justiz, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), den deutschen Rechtsstaat. "Ich habe einfach keine Kraft mehr", sagt Saho.

Seit zweieinhalb Jahren zieht sich sein Asylverfahren hin. In dieser Zeit ist viel passiert, um die Abschiebung doch noch irgendwie zu verhindern. Zurzeit läuft eine Petition im Bayerischen Landtag, die nach den Sommerferien weiter behandelt wird und die evangelische Kirchengemeinde in Rottenburg hat erst kürzlich eine Resolution an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die Innenminister Horst Seehofer und Joachim Herrmann verschickt. An die selben Adressaten wendeten sich mit einem Protestbrief auch einige Kommilitonen und Dozenten der LMU. "Wir schätzen Herrn Saho als hochmotivierten, intelligenten und engagierten Nachwuchswissenschaftler. Er ist bei Studierenden wie Lehrenden sehr beliebt", heißt es dort. Es wäre daher "unmenschlich" ihn aus seinem Umfeld zu reißen.

Die SPD-Abgeordnete Ruth Müller hofft, dass eine Petition die Wende bringt

Die Abgeordnete Ruth Müller (SPD) ist maßgeblich an der Petition im Landtag beteiligt und hofft, dass dadurch "Bewegung in den Fall kommt und Mheddin hierbleiben kann". Es sei unzumutbar einen Blinden in ein Land abzuschieben, in dem sich niemand um ihn kümmert und dessen Sprache er nicht mächtig ist. "Ich hoffe, dass auch die öffentliche Anteilnahme aus vielen Teilen der Bevölkerung signalisiert, dass das kein humaner Umgang ist", sagt Müller.

Doch das ändert nichts daran, dass das Bamf weiterhin die Überstellung Sahos nach Spanien fordert. Die Bundesbehörde verweist auf die Dublin-III-Verordnung, wonach der Mitgliedsstaat zuständig ist, in den der Schutzsuchende zuerst eingereist ist oder der ihm ein Visum erteilt hat.

Im Gespräch mit Saho fällt schnell auf, dass er sich in den letzten zweieinhalb Jahren intensiv mit Paragrafen und sperrigen Beamtendeutsch auseinandersetzen musste: "Deutschland hat gemäß Artikel 17 der Dublin-Verordnung die Möglichkeit, einen Selbsteintritt in das Asylverfahren vorzunehmen", erklärt er. Tatsächlich besagt der Paragraf, dass aus "humanitären Gründen oder in Härtefällen" von den Zuständigkeitskriterien abgewichen werden kann. Aus Sicht des Bamf und des Verwaltungsgerichts Regenburg sei hingegen "auch unter Berücksichtigung der Blindheit des Herrn Saho" nicht davon auszugehen, dass er in Spanien einer "unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung" ausgesetzt werde.

Saho sieht das freilich anders: "Für behinderte Asylbewerber gibt es in Spanien keine Betreuung" und nur die wenigsten Gebäude seien barrierefrei. Er beruft sich dabei auf einen UN-Report von 2019. Darin steht auch, dass für Flüchtlinge mit Behinderung eine "prekäre Situation" vorliegt und ein hohes Risiko für "Demütigungen, Missbrauch und Gewalt". Laut dem Auswärtigen Amt kann die medizinische Betreuung Sahos in Spanien zwar gewährleistet werden, die Unterbringung in einer "auf die besonderen Bedürfnisse zugeschnittenen Unterkunft" hingegen nicht. Die Situation in Spanien für einen blinden Flüchtling ist also zumindest ungewiss, wenn nicht sogar gefährlich. Abgeschoben werden soll Saho trotzdem.

Saho wippt hin und her - und gerät das erste Mal ins Stocken, als er den ersten Abschiebungsversuch nachzeichnet. "Die Polizei hat mich in der Früh ohne jede Vorwarnung abgeholt - pünktlich zum Glockenschlag". Dabei hätten sie keinerlei Empathie für den Schwerbehinderten gezeigt: "Ich habe mir den Kopf angestoßen und bin gestolpert - meine Blindheit hat keine Rolle gespielt", sagt Saho. Saho saß bereits im Flugzeug, als er Panik bekommt und nach Hilfe schreit. Daraufhin weigerte sich der Pilot loszufliegen. Das nächste Mal würden sie ihn in Handschellen abführen, soll ein Polizeibeamter gesagt haben.

Auf SZ-Nachfrage lässt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Niederbayern mitteilen, dass die Vorwürfe nicht nachvollzogen werden können und die eingesetzten Beamten selbst "sehr betroffen gewesen sind". Die Betroffenheit des deutschen Rechtsstaats hält sich hingegen in Grenzen. Saho musste drei Tage lang in die Abschiebungshaft in Eichstätt. Das sei "die schlimmste Zeit gewesen", sagt Saho mit zittriger Stimme. "Ich war vollständig von der Außenwelt isoliert" und es gab "keinen einzigen barrierefreien Raum", sagt er.

Dicke Wolken schieben sich über Rottenburg und auch Sahos Mimik verdunkelt sich. Dennoch lacht er an manchen Stellen zynisch, als er über den nächsten Akt seiner "Asyl-Odyssee" berichtet. Zehn Tage vor Ablauf der Frist setzte das Bamf die Überstellung nach Spanien aus. Wäre die Frist abgelaufen, hätte der Syrer nicht mehr überstellt werden dürfen. Die Behörde begründet das mit einer fälligen "Grundsatzentscheidung". Bei Saho trifft das auf Unverständnis. "Warum muss nach zwei versuchten Abschiebungen noch eine Grundsatzentscheidung getroffen werden?" Seine Antwort: "Das ganze Verfahren soll wieder von vorne beginnen."

Die langjährige Prozedur hat Spuren hinterlassen, und Saho fehlt die Kraft, um weiter zu machen. Die Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts steht noch aus, aber Saho hat für sich bereits entschieden, keine Berufung einzulegen. "Ich habe keine Hoffnung mehr." Die Familie Zierer schon: "Mheddin hat aufgegeben - wir kämpfen weiter."

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