Festnahme:Polizei gelingt Schlag gegen internationale Betrügerbande

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Bei der Verhaftung des mutmaßlichen Betrügers waren dann echte Polizeibeamte am Werk. (Foto: Friso Gentsch/dpa)

Münchner Ermittler sind auf die Spur eines Mannes gekommen, der zur Führungsebene in der Organisierten Kriminalität gehören soll. Ihm werden Hunderte Taten vorgeworfen. Die Masche: falscher Polizeibeamter.

Von Joachim Mölter, München

Der Münchner Polizei ist ein beachtlicher Erfolg gegen die Organisierte Kriminalität gelungen: Einsatzkräfte der Arbeitsgruppe (AG) Phänomene nahmen am vergangenen Mittwoch einen 44 Jahre alten türkischen Staatsbürger fest, gegen den ein Haftbefehl vorlag wegen des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Callcenterbetruges. Der Mann wird der höheren Führungsebene seiner Organisation zugerechnet. Die operiert von der Türkei aus, auf eine Weise, die hier unter dem Begriff "Falsche Polizeibeamte" kategorisiert wird. Die echten Polizisten der Münchner Kripo griffen nun in Augsburg zu, unterstützt von dortigen Kollegen.

Vorausgegangen waren monatelange Ermittlungen der eigens für diese Kriminalitätsform eingerichteten AG Phänomene. Die trug dabei so viele Indizien und Nachweise zusammen, dass die Staatsanwaltschaft München I dem Verdächtigen nun die Beteiligung an mindestens 350 versuchten und vollendeten Taten anlastet. Verübt wurden sie im Großraum München und Augsburg, aber auch bayern- und bundesweit; die Fälle erstrecken sich über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Der Mann soll freilich schon länger in seinem Metier tätig sein, er wird als Berufskrimineller beschrieben.

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Die Masche, dass angebliche Polizisten vor allem ältere Menschen um Geld und Wertsachen bringen, ist nicht neu - die Zahl der Taten ist in jüngerer Zeit aber deutlich gestiegen. Dabei arbeiten die Betrüger immer nach dem gleichen, längst bekannten Schema: Von Callcentern in der Türkei aus rufen sie ihre Opfer an, geben sich als Polizist oder Polizistin aus, gaukeln vor, dass die Angerufenen das Ziel von Einbrechern seien und deshalb ihr Bargeld und ihre Wertsachen in Sicherheit bringen müssten. Ziel ist es, dass die Senioren ihre Wertgegenstände einem weiteren vermeintlichen Polizeibeamten anvertrauen.

Im Branchenjargon werden diese Komplizen "Abholer" genannt, das sind quasi die Laufburschen der Banden. Auf der nächsthöheren Stufe organisieren ortskundige "Logistiker" das Einsammeln der Beute und ihren Weitertransport durch "Kuriere" in die Türkei. Dort befinden sich die Chefetagen, dort sitzen auch die "Keiler", die täglich bis zu 100 Anrufe erledigen.

Bei dem nun verhafteten 44-Jährigen soll es sich nach ersten Erkenntnissen um einen "Vorkeiler" handeln - um jemanden, der den ersten Anruf macht, das Gespräch anbahnt und die weitere Unterhaltung dann seinen Handlangern überlässt. Die Täter auf dieser Hierarchie-Ebene müssen sich im Grunde nicht in Deutschland aufhalten - was der 44-Jährige hier wollte, wird noch ermittelt, ebenso wie die Frage, ob er Wurzeln in Deutschland hat. Einen festen Wohnsitz hat er hier jedenfalls nicht, zuletzt habe er sich in der Türkei aufgehalten, hieß es. Seine Festnahme sei "Ausfluss der exzellenten Zusammenarbeit mit den türkischen Ermittlern", sagte ein Polizeisprecher am Montag: "Dadurch hatten wir die Erkenntnis, dass und wo sich der Verdächtige in Deutschland aufhält und konnten ihn gezielt festnehmen."

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Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden waren bereits im vorigen Jahr in Izmir zwei große Callcenter zerschlagen worden; beim zweiten Zugriff im Dezember hatte es mehr als 30 Verhaftungen gegeben. Von welcher Stadt aus der nun verhaftete Türke sein kriminelles Geschäft betrieb, war noch nicht zu erfahren.

Während der Bande in Izmir gerade der Prozess gemacht wird, ist den Fahndern hierzulande erst kürzlich "ein etwas dickerer Fisch" ins Netz gegangen, wie es damals hieß. Meist wird ja nur das Fußvolk erwischt, ein lokal agierender Abholer oder Fahrer. Aber Anfang Juli verhaftete die Polizei im Münchner Norden einen 53-Jährigen aus dem Landkreis Rottal-Inn, der den Ermittlungen zufolge als Logistiker an knapp 30 Fällen beteiligt gewesen sein soll. Zuletzt habe er im Juni mitgeholfen, erst einen mehr als 80 Jahre alten Mann und später eine Frau im gleichen Alter um mehrere Zehntausend Euro zu erleichtern. Bei dem Verdächtigen selbst sowie in seiner Wohnung wurden nach der Verhaftung noch Bargeldbeträge in fünfstelliger Höhe sichergestellt - ein Taschengeld in einem expandierenden Geschäft.

Im Vergleich zu 2019 hat sich im vorigen Jahr die Zahl der versuchten Betrugsdelikte mit falschen Polizeibeamten jedenfalls fast verdoppelt, von 3215 Fällen auf 6113. Auch die tatsächlich gelungenen Taten nahmen zu, von 33 auf 51. Obwohl nicht einmal jeder 100. Anruf von Erfolg gekrönt ist, lohnt sich der Aufwand für die Verbrecher. Der Gesamtschaden stieg von 2,27 Millionen Euro im Jahr 2019 auf 4,26 Millionen; durchschnittlich betrug die Beute im Einzelfall also 73 000 beziehungsweise 83 500 Euro. Diese hohen Summen ergeben sich daraus, dass manchmal sogar größere sechsstellige Beträge im Spiel sind, nicht immer nur als Bargeld, sondern oft auch in Form von Schmuck, Goldbarren oder anderen Wertsachen.

© SZ vom 27.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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