Klimapolitik und Bevölkerung:Alle müssen bewusster leben

Lesezeit: 3 min

Weniger Kinder bekommen für Klimaschutz? Leser erteilen solchen Ideen meist eine Absage. Allerdings: Andere CO₂-sparende Konzepte sollten schnell umgesetzt werden, solange bleibe nur der Verzicht.

Jeder sollte seinen ökologischen Fußabdruck senken: "Fridays for Future"-Demonstration in Hamburg. (Foto: imago images/Future Image)

Zu " In Zeiten wie diesen" vom 10./11. Juli:

Verdrängung anderer Arten

Wenn man alt genug ist, spürte man im Lauf der Jahrzehnte das Bevölkerungswachstum in der direkten eigenen Umgebung. Als ich in der Schule war: Drei Milliarden Menschen, heute 7,8 Milliarden. Man ist heute immer in einer Masse. Daran sind die jungen Menschen gewöhnt; das Problem, dass man sich beengt, bedrängt, ja auch bedroht fühlt, wird sich also sicher auswachsen.

Der Artikel ist in Hinsicht Klima oder Hunger beruhigend. Einen Aspekt vermisse ich aber. Es wird wohl so sein, dass die Biomasse auf dem Planeten begrenzt ist. Das heißt, je mehr Menschen leben, desto weniger von den anderen Arten, Pflanzen und Tiere. Das Leben als Mensch ist schön, viele halten es für das schönste und beste überhaupt, aber das ändert nichts daran, dass auch die wegen uns oder den von uns verursachten Bedingungen aussterbenden Arten ein Lebensrecht haben und ihr Dasein auch positiv erleben, sonst würden sie sich nicht zu erhalten suchen.

Besonders erstrebenswert erscheint es mir nicht, dass wir Menschen explizit Arten beziehungsweise gleich den ganzen Planeten schützen müssen, damit sie nicht aussterben und der Planet abstirbt. Es ist schon einigermaßen größenwahnsinnig anzunehmen, der Planet könne nur dank unserer Kontrolle leben. Ich bin aus diesem Grund weiterhin der Meinung, dass unsere Erde massiv überbevölkert von Menschen ist.

Christine Gruber, Bamberg

Verhältnismäßigkeit wahren

Dass ein Kind bedeutet "... noch eine konsumierende, klimaschädigende Person mehr in die Welt (zu) setzen", empfinde ich emotional als eine erbarmungswürdige und geschmacklose Reduzierung. Einen Gebärstreik aus CO₂-Gründen zu erwägen, ist für mich von atemberaubender Beliebigkeit. Rational betrachtet, zeigt (mir) dieser Artikel, dass immer mehr jegliches Maß und Vernunft verloren gehen beim Thema "Klimawandel/Treibhauseffekt". Warum?

Deutschland ist verantwortlich für weniger als drei Prozent aller menschgemachten CO₂-Emissionen. Mehr nicht. Im Klartext: Würde Deutschland sofort von der Weltkarte verschwinden, gäbe es immer noch mehr als 97 Prozent menschgemachtes CO₂ auf unserem Planeten. Würden alle anderen Staaten es Deutschland gleichtun und ebenfalls sofort ins Nirwana umziehen, dann gäbe es immer noch circa 90 Prozent des aktuellen CO₂ auf dem Planeten. Etwa 90 zu 10 Prozent ist die CO₂-Aufteilung zwischen natürlichem und menschgemachtem (anthropogenem) Ursprung.

Und welchen Anteil hat das gesamte auf unserem Planeten vorhandene CO₂ am Treibhauseffekt? Auf den Seiten des Max-Planck-Instituts steht: circa 15 Prozent. Mehr nicht. Dem Treibhauseffekt verdanken wir auf unserem Planeten eine angenehme Durchschnittstemperatur von 15 Grad Celsius; ohne ihn wären es circa 17 Grad minus! Und zu etwa 85 Prozent ist CO₂ dafür nicht verantwortlich. Wer jetzt das "gestörte Gleichgewicht" durch das menschliche Tun anführt, dem empfehle ich einen Besuch im großartigen Naturkundemuseum in Berlin. Dort kann man lesen, dass zu der Zeit, als mehrzelliges Leben auf der Erde entstand, der CO₂-Anteil auf unserem Planeten 10 bis 20 Mal so hoch war wie heute. Die Temperatur unterschied sich aber nur unwesentlich von der heutigen. Was wäre also an "Klimarettung durch Deutschland" erreichbar mit einem Drei- Prozent-Anteil? Müsste die Antwort nicht lauten: nichts?

In der SZ war zu lesen, dass allein die drei Länder USA, China und Indien zusammen circa 25 Mal so viel CO₂ erzeugen wie Deutschland. Ist vor diesem Hintergrund ein Flugverbot für Kurzstrecken nicht lächerlich? Ebenso eine intellektuelle Betrachtung zum Thema "Kinder bekommen oder nicht"?

Hans-Peter Richter, Mainz

Verzicht und Innovation

Keine Kinder sind auch keine Lösung. Überbevölkerung hin oder her: Stießen alle Menschen so viel CO₂ aus wie wir (83 Millionen Deutsche so viel wie ganz Südamerika, das südliche Afrika oder Südostasien), wird es nichts werden. Sicher, Politik lenkt und gestaltet Tempolimit, Kohleausstieg, Sonnenenergie, Wasserstoff und ökologische Landwirtschaft. Selbst kleinste Fortschritte dauern ewig. Infrastruktur, Gebäudetechnik und Verkehrsmittel, was jetzt gebaut wird, wird noch Jahrzehnte unverändert verwendet. Außer grün-gewaschenen SUVs gibt es oft noch gar keine Alternativen. Dieses Versagen macht Angst und Bange, drängt Vernunft und Bauchgefühl zum Konsum oder gar Baby-Verzicht.

Mehr Menschen bedeuten mehr Nachfrage. Dabei ist der Konsum (noch) immer abgekoppelt vom CO₂-Ausstoß. Der Transport von Erdbeeren aus Chile kostet genauso viel CO₂- und Energieabgabe wie der vom Bauern um die Ecke. Wer sich den ICE leistet, zahlt viel weniger Mehrwertsteuer (MwSt.) als jemand, der Bus, Tram oder Regionalbahn benützt. Ein Gast mit Flugticket zum Shoppen nach Paris, London oder New York zahlt weniger CO₂- und Energieabgabe als eine Familie auf dem Weg zum nächsten Badesee. Dass eine gering verdienende Familie dann fürs Tanken, Bus- oder Zugticket noch 19 Prozent MwSt. bezahlt und der Fluggast nicht, löst selbst in mir, der beruflich als Pilot daran verdient, Flugscham aus.

Von unserer Industrialisierung und Ernährung ausgestoßenes CO₂ und Methan verschärfen die Unsicherheit in prekären Ländern wie Niger. Vernunft und Bauchgefühl drängen dort Mütter in das Risiko vieler Geburten. Sie hoffen, dass ein überlebendes Kind sie im Alter versorgt. Bis bestehende CO₂-sparende Ideen umgesetzt werden, unser Ausstoß sinkt, gibt es CO₂-Ausstoß-Gerechtigkeit nur durch Verzicht.

Klaus Siersch, München

© SZ vom 28.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: