Kabarett:Liebeslyrik gegen Hassmails

Kabarett: Vom Poetry Slam in den Kabaretthimmel aufgestiegen: Sarah Bosetti.

Vom Poetry Slam in den Kabaretthimmel aufgestiegen: Sarah Bosetti.

(Foto: Daniel Hoth)

Dieter-Hildebrandt-Preisträgerin Sarah Bosetti stellt ihr Programm "Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe" im Institut français vor.

Von Oliver Hochkeppel, München

Sie sei eigentlich gar kein Bühnenmensch, sagt Sarah Bosetti. "Aber mich hat's zum Schreiben hingezogen, und irgendwie haben mich die Texte dann auf die Bühne gebracht." Da ist also wieder einmal jemand zu seinem Glück gezwungen worden. Denn wenn es derzeit einen Shootingstar in der Kabarettszene gibt, dann ist es Sarah Bosetti. Gleich drei der wirklich wichtigen Kabarettpreise hat sie im vergangenen Jahr gewonnen, noch 2020 den "Salzburger Stier", den Preis der österreichischen, schweizerischen und deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, heuer dann den Deutschen Kleinkunstpreis in Mainz und erst vor wenigen Wochen den Dieter-Hildebrandt-Preis der Landeshauptstadt München. Ihr einziges Pech ist, dass das wegen des Corona-Lockdowns kaum einer so richtig mitbekommen hat. Jetzt endlich geht das wieder, auch bei uns. An diesem Donnerstag präsentiert sie - als München-Premiere wie quasi in einer Antrittsvorstellung als Dieter-Hildebrandt-Preisträgerin - im Park des Institut français ihr aktuelles Programm "Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe."

Für das hat ihr die Jury des Dieter-Hildebrandt-Preises eine bemerkenswerte Laudatio geflochten: Bosetti sei eine einzigartige Erscheinung am Kabaretthimmel, die eine noch nie dagewesene Form der Satire entwickelt habe. Dabei wollte die aus Aachen stammende 37-Jährige ursprünglich etwas ganz anderes werden, Filmemacherin nämlich. Von 2004 bis 2008 studierte sie an der Hogeschool Sint-Lukas in Brüssel Filmregie. Nach dem Master-Abschluss suchte sie erst einmal Stoff und Orientierung, verbrachte einige Zeit in Venedig, Edinburgh und Lissabon, um schließlich in Berlin hängen zu bleiben, wo sie seither lebt. Da holte sie der Drang zum Schreiben ein, und wie bei so vielen ihrer Generation wurden die Poetry Slams zur Plattform. Schon 2010 gründete sie mit Jan von Im Ich, Daniel Hoth und Karsten Lampe die Lesebühne Couchpoetos.

Ein Programm über Menschen, denen sie nicht unbedingt begegnen möchte

Die Slammerei ließ sich schnell gut an, bereits 2013 wurde sie Vizemeisterin bei den 17. deutschsprachigen Meisterschaften. Sie begann, als Kolumnistin für Das Magazin und Radioeins des RBB zu schreiben, und eroberte nach und nach auch die Kabarettbühnen. Früh wurden aus kleinen Texten auch große Bücher mit schönen Titel wie "Mein schönstes Ferienbegräbnis" oder "Ich bin sehr hübsch, das sieht man nur nicht so". Auch das aktuelle Bühnenprogramm "Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe" ist parallel als Buch bei Rowohlt erschienen und hat darin seine Wurzeln. Was sie da umgetrieben hat, beschreibt Bosetti anschaulich in einem kleinen Porträt, das der WDR vor Kurzem über sie gedreht hat: "Normalerweise schreibe ich über Menschen, denen ich begegnet bin. Im aktuellen Programm aber habe ich über Menschen geschrieben, denen ich ich nicht unbedingt begegnen möchte; weil ich ihnen im Internet begegnet bin, wo sie mir sehr unfreundliche Dinge geschrieben haben." Was herzlich untertrieben ist: "Armes krankes Mädchen" gehört noch zu den harmlosen Hassmails, die Palette reicht bis "Frau Bosetti, ich hoffe, dass sie bald mal ein Axtmörder besucht" oder "Ich sag's nur ungern, aber Sie hätte man abtreiben müssen."

Nun sind Beschimpfungen für Kabarettisten nichts Neues, man denke an Sigi Zimmerschieds schon 1979 für sein Programm "A ganz a miesa, dafeida, dreggiga Dreg san sie" gesammelte Telefonat-Mitschnitte. Aber durch die sozialen Medien nimmt die Sache immer öfter unerträgliche Shitstorm-Ausmaße an. Vor allem, wenn der Kabarettist selbst einer Minderheit angehört - oder eine Frau ist. "Egal welches politische Thema ich behandele, die Kommentare sind immer sexistisch", berichtet auch Sarah Bosetti. "Wenn ich über Flüchtlinge rede, werden mir die Leute Vergewaltigung wünschen, ich kann über irgendeine politische Entscheidung sprechen, und sie werden meine Brüste thematisieren."

Wo nun wohl die meisten von uns verständlicherweise mit Wut, Empörung und Strafanzeigen reagieren würden, da antwortet - und darauf bezieht sich die Jurybegründung wohl konkret - Bosetti mit Empathie, Humor und Lyrik. Sie dichtet zurück. Ironisch, entlarvend und auch mal laut, aber eben nie genauso bösartig. Wie bei dem, der ihr einen "ausländischen Vergewaltiger" ins Haus wünscht: "Ein deutscher Vergewaltiger/ da hätt ich nichts gesagt/ einer mit blondem Haar/ und vielleicht noch 'nem Dreitagebart/ einer, der geschult ist/ in dem, was er da tut/ vom Staat geprüft/ der macht das dann auch gut." So macht Bosetti das Unerträgliche erklärlich, das Ernste zugänglich. Auf eine Art, die - auch das hat die Jury herausgehoben - einem Dieter Hildebrandt sicher gut gefallen hätte.

Sarah Bosetti: "Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe", Donnerstag, 29. Juli, 19.30 Uhr, Institut français, Kaulbachstraße 13, Tel. 34 49 74

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