Cum-Ex-Skandal:BGH erkennt kriminellen "Griff in die Steuerkasse"

BGH verkündet Urteil zu ·Cum-Ex· Deals

Der Erste Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH) hat ein wegweisendes Urteil im Cum-Ex-Skandal gefällt.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Der Bundesgerichtshof hat geurteilt, dass die milliardenschweren Cum-Ex-Machenschaften zulasten der Steuerkasse strafbar sind. Das ist ein Richterspruch von immenser Bedeutung.

Von Wolfgang Janisch und Klaus Ott, Karlsruhe

Im sogenannten Cum-Ex-Skandal geht es um milliardenschwere Geschäfte zulasten der Steuerkasse - aber stets blieb ein Rest von Unsicherheit, ob die beteiligten Investmentbanker und Geldhäuser vielleicht doch nur besonders dreist eine Gesetzeslücke ausgenutzt haben. Diese Zweifel hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun in seinem ersten Cum-Ex-Urteil beseitigt, und zwar mit großer Klarheit. Die Machenschaften, bei denen die Beteiligten sich vom Fiskus eine nie gezahlte Kapitalertragsteuer erstatten ließen, sind als Steuerhinterziehung strafbar. Das hat der erste Strafsenat des BGH in Karlsruhe nun entschieden: "Es ging um einen blanken Griff in die Steuerkasse, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen", sagte Senatsvorsitzender Rolf Raum bei der Urteilsverkündung.

Es ist ein Richterspruch von immenser Bedeutung. Nach jahrelangen Untersuchungen von Steuerbehörden und Staatsanwaltschaften in vielen Hundert Fällen mit inzwischen rund 1000 Beschuldigten kann die Justiz nun einen dubiosen Aktiendeal nach dem anderen aufrollen. In Nordrhein-Westfalen (NRW), dort laufen die meisten Ermittlungen, sind bereits Anklagen wie am Fließband angekündigt. Viele Beschuldigte müssen nun mit jahrelangen Haftstrafen rechnen. Betroffen sind zahlreiche große Banken aus dem In- und Ausland, bis zu den Finanzzentren in London und New York und sogar bis nach Australien. Aber auch die damaligen Landesbanken aus NRW, Baden-Württemberg sowie Hamburg und Schleswig-Holstein haben nach Erkenntnissen der Ermittler kräftig geholfen, den Fiskus auszunehmen. Staatsbanken haben den Staat geschädigt.

In dem ersten Cum-Ex-Fall, der beim BGH landete und dort jetzt entschieden wurde, ging es um einen Prozess in Bonn. Dort waren die beiden Investmentbanker Martin S. und Nick D. angeklagt gewesen, die beim Bonner Landgericht Bonn mit vergleichsweise milden Bewährungstrafen davonkamen. Der Grund für den Strafrabatt: Die beiden Angeklagten hatten über die Cum-Ex-Geschäfte in den Jahren zwischen 2007 und 2011 umfangreiche Angaben gemacht, sowohl über ihre eigene Beteiligung als auch über andere Akteure.

Die Steuererstattung war die gemeinsame Beute

Martin S. war Gründer und Gesellschafter, Nick D. Angestellter des Hedgefonds Ballance Group, der Teil eines Systems von Leerverkaufsgeschäften war. S. organisierte dabei eine Vielzahl von Leerverkaufsgeschäften, die vom Bankhaus Warburg ausgeführt wurden - kurz vor den Aktionärstreffen der Unternehmen. Der Trick: Warburg stellte nach Erkenntnissen der Ermittler Steuerbescheinigungen über eine angebliche, aber eben nicht wirklich einbehaltene Kapitalertragsteuer aus. Die Steuererstattung, die sich die Beteiligten vom Fiskus zurückholten, war die gemeinsame Beute.

Der BGH bestätigte das Bonner Landgerichtsurteil in nahezu allen Punkten. Daran, dass alle Beteiligten vorsätzlich gehandelt hätten, herrsche nach der Beweiswürdigung des Landgerichts kein Zweifel. "Alle Fakten haben auf dem Tisch gelegen", dies hätten Insider-Aussagen bestätigt. Dass es sich bei den Geschäften um Steuerhinterziehung handle, entspreche nicht nur dem Gerechtigkeitsempfinden, sondern ergebe sich aus dem Gesetz. "Nur eine tatsächlich gezahlte Steuer kann gegenüber den Finanzbehörden geltend gemacht werden. Allein dieses Verständnis entspricht der Gesetzessystematik", sagte Raum. "Es handelt sich weder um legale Gestaltungsmodelle noch um das Ausnutzen einer Gesetzeslücke. Eine Lücke gibt es hier nicht", entschied der BGH.

Da sich die Konstellationen bei Cum-Ex immer ähneln, sind nun die rechtlichen Voraussetzungen für die Strafverfolgung weitgehend geklärt. Das gilt auch für die Einziehung von Geldern, die mit den Deals zulasten des Fiskus erzielt worden sind. Im Falle von Warburg erklärte der BGH die Abschöpfung der illegalen Profite in Höhe von 176 Millionen Euro für rechtens, bei Martin S. in Höhe von 14 Millionen Euro. Eine Verjährung dieser Ansprüche sei durch eine Gesetzesänderung von 2020 ausgeschlossen.

Die Behörden haben bislang nur einen kleinen Teil des Geldes zurückholen können

Auch das ist ein Hinweis mit weitreichenden Folgen. Steuerfahnder schätzen den Schaden durch den Griff in die Staatskasse auf mehr als zehn Milliarden Euro. Die Behörden haben bislang nur einen kleinen Teil des Geldes zurückholen können, Milliardenbeträge stehen noch aus. Mit dem Urteil des BHG können Ermittler und Justiz bei den an diesen Cum-Ex-Geschäften beteiligten Banken und Börsenhändlern noch mehr Druck machen, damit das quasi gestohlene Geld zurückfließt. Wobei die Staatsanwaltschaft Köln, die federführend ermittelt, keine billigen Deals mit der Finanzindustrie machen will. Erst sollen möglichst viele Beschuldigte vor Gericht kommen, um die mutmaßlichen Straftaten zu ahnden. Dann soll das Finanzielle geregelt werden.

Zur Auslieferung des Frankfurter Steueranwalts Hanno Berger, der sich vor Jahren in die Schweiz abgesetzt hatte, dürfte das BGH-Urteil indes nichts beitragen. Berger gilt als eine der Schlüsselfiguren bei Cum-Ex, er hatte solche Geschäfte mit aus Sicht der Ermittler zweifelhaften juristischen Gutachten gestützt. Das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) hat vor einigen Monaten versucht, zu Bergers Auslieferung aus der Schweiz entscheidend beizutragen. Das OLG stufte die betreffenden Aktiendeals nicht nur als Steuerhinterziehung, sondern auch als Betrug ein. Ob dies juristisch tragfähig ist, darüber hatte der BGH nicht zu entscheiden. Die Schweiz hat gegen Berger einen Auslieferungshaftbefehl erlassen, gegen den sich der Steueranwalt ebenso wehrt wie gegen die Vorwürfe aus Deutschland.

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