Theater:Perfekte Verwertungskette

Theater: Caroline Peters als Yerma, hier über ihrem harmlosen Gatten John, gespielt von Christoph Gawenda.

Caroline Peters als Yerma, hier über ihrem harmlosen Gatten John, gespielt von Christoph Gawenda.

(Foto: Thomas Aurin)

Copy and Paste: Simon Stone zeigt an der Berliner Schaubühne sein "Yerma"-Remake.

Von Peter Laudenbach

Alte Theaterregel: Je gedankenärmer die Inszenierung, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass im Programmheft die Großdenker der Saison und die gängigen Beeindruckungsvokabeln (Diskurs! Entropie! Neoliberale Subjektdisposition!) auftauchen. Je dünner die Aufführung, desto dicker das Programmheft. Nun, das Programmheft zu Simon Stones "Yerma"-Inszenierung an der Berliner Schaubühne ist ein Büchlein von gut 100 Seiten. An Textbausteinen der gehobenen Sorte, von "kapitalistischer Realismus" bis "Postutopie", herrscht kein Mangel.

Die Aufführung hält, was das Programmheft verspricht. Sie ist so handwerklich virtuos wie inhaltlich oberflächlich. Das könnte damit zusammenhängen, dass es sich um eine Kopie handelt. Als Profi des kapitalistischen Realismus weiß der Regisseur die Vorteile industrieller Serienproduktion, gut geölter Verwertungsketten und internationaler Franchisepartner für sich zu nutzen: Die Schaubühnen-Produktion ist das Remake der Inszenierung, die Simon Stone vor fünf Jahren am Young Vic Theatre London herausgebracht hat. Die Filmaufzeichnung des britischen Originals zeigt, mit welch sorgfältiger Schaubühnen-Präzision bei der Vervielfältigung gearbeitet wurde. Das Theaterkunstwerk im Zeitalter seiner schauspielerischen Reproduzierbarkeit ist ein mit größtmöglicher Effizienz hergestelltes Produkt. Kein Wunder, dass dabei alles auf technische Perfektion ankommt. Kompliziertere Gedanken würden dabei nur stören.

Klassiker zeitgemäß machen! Das Ergebnis: Klischees und Holzhammer-Metaphern

Der erfolgreiche Regisseur Simon Stone übersetzt mit seinen jeweiligen Ensembles Stücke des klassischen Repertoires konsequent in heutige Lebenswelten, Sprechweisen und Gefühlslagen. Das ist ab und zu etwas oberflächlich, aber bei seinen Ibsen-Adaptionen konnte man darüber staunen, wie nah uns die Bürger des 19. Jahrhunderts noch sind. Federico Garcia Lorcas "Yerma" ist ein anderer Fall, nicht nur weil Lorca kein zupackender Realist, sondern ein surrealistischer Dichter ist. Das Stück spielt in einem spanischen Dorf um 1900 mit entsprechend katholischen Vorstellungen von Anstand und der Mutterrolle als Erfüllung eines Frauenlebens. Yerma kann nicht schwanger werden, sie liebt ihren Mann nicht, ihre Gefühle und Sehnsüchte sind groß, aber ausweglos. In dieser engen Welt wird das zu ihrer Tragödie. Das in heutige Milieus des gehobenen Selbstverwirklichungsegoismus zu übertragen, ist zumindest eine gewagte Behauptung.

Theater: Serienproduktion: Szene aus "Yerma" an der Berliner Schaubühne.

Serienproduktion: Szene aus "Yerma" an der Berliner Schaubühne.

(Foto: Thomas Aurin)

Yerma (Caroline Peters) ist in Simon Stones Adaption eine Lifestyle-Bloggerin. Zwecks Klickraten-Steigerung und Reichweiten-Erhöhung beutet sie hauptberuflich ihr eigenes Privatleben und das ihrer Familie aus - von den Erektionsschwächen ihres Gatten bis zu ihrem unerfüllten Kinderwunsch. Lustigerweise hält sich die Befindlichkeitsvermarkterin für eine "linke Journalistin", wobei ihre politische Gesinnung, wenn wir das richtig verstanden haben, im Wesentlichen in ihren unrasierten Achselhaaren zum Vorschein kommt. Ihr harmloser Gatte John (Christoph Gawenda) macht irgendwas in einem Start-up und verbringt viel Zeit auf Flughäfen. Ihre Mutter (Ilse Ritter) ist eine dieser knalligen Oldschool-Feministinnen-Figuren, wie man sie eher aus Boulevardkomödien als aus den nicht ganz so komischen Kämpfen der Frauenbewegung kennt.

So weit, so belanglos. Das einzige Problem dieser schrecklich netten Familie ist die Frage, ob sie die neue Eigentumswohnung eher in Art déco oder in Biedermeier einrichtet. Selbst die eigentlich immer und jederzeit hinreißende Schauspielerin Caroline Peters kann diese Klischee-Ansammlung nicht zu einer interessanten Person machen. Weshalb sie unbedingt schwanger werden will, weshalb sie, weil das nicht gelingt, in eine verzweifelt selbstzerstörerische Obsession rast, bleibt das Rätsel des Regiekonzepts. Offenbar soll das Kind das innere Vakuum im Leben der armen Frau ausfüllen. Die Inszenierung scheut sich nicht, das recht plakativ zu illustrieren: Yerma und ihr Gatte leben in einem leeren Aquarium. Nur einmal, als sie den Säugling vom Yermas Schwester (Jenny König) hüten, ist der Glaskasten als gemütliches Wohnzimmer möbliert. Weil Holzhammer-Metaphern nicht subtil sein müssen, ist am Ende auch noch der Dachgarten mit dem kleinen Bäumchen verdorrt.

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Pressefoto Festival d'Avignon, 5. Juli 2021 - 25. Juli 2021 -- PENTHÉSILÉ·E·S

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