Wirtshaus am Streichen:"Machen wir es zum Ort des Zusammenkommens"

Wirtshaus am Streichen: Schön rausgeputzt ist das Wirtshaus am Streichen, als es am Donnerstag von den Wirtsleuten an das Kulturerbe Bayern übergeben wird.

Schön rausgeputzt ist das Wirtshaus am Streichen, als es am Donnerstag von den Wirtsleuten an das Kulturerbe Bayern übergeben wird.

(Foto: Matthias Köpf)

Die Stiftung Kulturerbe Bayern hat das historische Wirtshaus übernommen und will es im Sinne des verstorbenen Wirts weiterführen - auch wenn dafür Veränderungen nötig sind.

Von Matthias Köpf, Schleching

Es ist das Ergebnis, das sich alle gewünscht haben, zumindest hinterher. Und doch ist es für Anneliese Laute ein schwieriger Tag. Nicht weil sie tablettweise Brotzeit heraustragen muss, wie so oft in den vergangenen Jahren. Sondern weil es wahrscheinlich das allerletzte Mal ist. Gerade haben sie und ihr Bruder Hans Strohmayer den Vertrag unterschrieben, direkt unter den vielen roten und rosafarbenen Geranien, die sie auch dieses Jahr wieder gepflanzt haben, obwohl das Wirtshaus am Streichen doch seit dem Herbst geschlossen hat. Jetzt gehört es zum "Kulturerbe Bayern". Es ist die dritte Immobilie der Stiftung, die sich selbst als "bayerischer National Trust" beschreibt. Den Streichenwirt hat sie zusammen mit der Stiftung der Schlechinger Yvonne und Thomas Wilde finanziert.

Im November war Anneliese Lautes anderer Bruder Franz gestorben, der fast sein Leben lang Wirt war hier heroben am Streichen. Anneliese Laute geht auf die 80 zu, und Hans Strohmayer ist auch nicht mehr der Jüngste. Sie hätten das neben der bekannten Streichenkirche hoch über dem Achental gelegene Wirtshaus am liebsten an die Gemeinde Schleching verkauft, damit alles hier so bleiben kann, wie es ihnen ihr Bruder hinterlassen hat. Und danach begann drunten im Tal der Streit. Die meisten Gemeinderäte waren dafür, aber andere umso erbitterter dagegen. Sie und Bürgermeister Josef Loferer hätten es am liebsten gesehen, wenn ein örtlicher Bauunternehmer und zwei auswärtige Geldgeber zum Zug gekommen wären. Doch was, wenn in ein paar Jahren oder auch erst in ein oder zwei Generationen irgendwer auf den Gedanken gekommen wäre, dass aus dem weithin berühmten Wirtshaus am Streichen, einem Wahrzeichen des ganzen Chiemgaus, ein Privathaus werden sollte oder ein Wellnesshotel oder gleich ein Chaletdorf, wie sie drüben in Tirol in den vergangen Jahren immer mehr geworden sind? Schnell war vom drohenden "Ausverkauf der Heimat" die Rede, und die Gräben in der 1800-Einwohner-Gemeinde Schleching wurden immer tiefer.

An Käufern für so einen Ausverkauf hätte es keineswegs gemangelt, und viele hätten Anneliese Laute und ihrem Bruder noch mehr geboten, als die beiden Stiftungen nun für das Wirtshaus mitsamt dem Grund und dem Wald bis ins Tal hinunter bezahlt haben. Doch die Erben des Streichwirts wollten ihr Erbe eben nicht verscherbeln, sondern bewahrt wissen. Und genau das hat sich die 2018 gegründete Stiftung Kulturerbe Bayern zur Aufgaben gemacht. Sie war durch Berichte in der SZ auf das Wirtshaus aufmerksam geworden und hat sich mit der Familienstiftung von Yvonne und Thomas Wilde zusammengetan, die in Schleching leben, ihr Unternehmen verkauft haben und seither mit ihrer gemeinnützigen Stiftung Projekte in der Region unterstützen.

Die Wildes hatten zuvor schon der Gruppe der "Streichenfreunde" eine finanzielle Beteiligung von mehr als einer Million Euro zugesagt, um das Wirtshaus zu erhalten. Doch ganz ohne Geld von der Gemeinde reicht es erst, seit sich im Juni die Stiftung Kulturerbe eingeschaltet hat. Das hat auch einen beantragten Bürgerentscheid überflüssig gemacht, der die Gemüter in Schleching nur weiter erhitzt hat. Das Argument, dass ein Kauf des identitätsstiftenden Wirtshauses der Gemeinde auf viele Jahre hinaus jeden finanziellen Spielraum nehmen würde, war damit ebenfalls vom Tisch. Viele Wege führten auf den Streichen, sagt Bürgermeister Loferer inzwischen, und es sei gut, dass dieser nun beschritten werde.

Der frühere Landtagspräsident Alois Glück schaut vom Streichen hinüber auf den Geigelstein. Er hat als Abgeordneter für den Chiemgau schon die erbitterten Kämpfe um die letztlich verhinderte Skischaukel dort drüben und das vor 30 Jahren stattdessen eingeführte Naturschutzgebiet erlebt. Glück hat sich hinter den Kulissen für den Erhalt des Streichenwirts eingesetzt, und als die Stiftung Kulturerbe als Retterin aufgetaucht war, begann auch der Traunsteiner Landrat Siegfried Walch mit der Überzeugungsarbeit am Telefon. Glück unterschreibt an diesem Tag zwar keinen Kaufvertrag, aber als erstes Mitglied die förmliche Gründungsurkunde der Streichenfreunde als Ortsgruppe von "Kulturerbe Bayern".

Bei allem, was in Zukunft am Streichen geschehen wird, soll ein Beirat mitreden, in dem fürs Erste ein Streichenfreund, zwei Vertreter von Kulturerbe Bayern, das Ehepaar Wilde sowie Bürgermeister Loferer und seine Stellvertreterin Elfie Bachmann sitzen werden. Ganz genau so, wie es ist, kann nicht alles bleiben am Streichen. Die Küche muss modernisiert werden, die paar kleinen Gästezimmer auch, und vielleicht werden in der Tenne und im Stall sogar einige weitere entstehen. In zwei Wochen beginnt die Erfassung des Bestands per Lasermessung, kündigt der Architekt Paul Mößmer an, der lange in Diensten des Erzbistums München-Freising stand und seit einem Jahr für die Stiftung Kulturerbe arbeitet.

Vorstandsvorsitzender der Stiftung ist ein weiterer ehemaliger Landtagspräsident, Glücks Vorgänger Johann Böhm. Das Ensemble aus Kirche und dem auch schon 600 Jahre alten früheren Mesnerhaus und heutigem Wirtshaus am Streichen sei "Bayern pur, schöner kann man sich's nicht vorstellen", sagt der Unterfranke Böhm, der für den Vertrag nach eigenen Worten gerne die 400 Kilometer nach Schleching gefahren ist. Andere sprechen vom "Juwel" oder vom "Kleinod" und würdigen das bürgerschaftliche Engagement, das zu diesem Ergebnis geführt habe. Manches muss sich Bürgermeister Loferer mit verschränkten Armen anhören, aber dem Landrat applaudiert dann auch er. "Machen wir es zum Ort des Zusammenkommens", sagt Walch über das Wirtshaus und kündigt "ein Friedensbier" an. Dann bringt Anneliese Laute die Brotzeit, zum letzten Mal.

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