Corona-Pandemie in Deutschland:Wie die Spritzen zu den Impfzauderern kommen

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Ärzte impfen vor einer Moschee in Düsseldorf. (Foto: imago images/NurPhoto)

Genug Impfstoff, keine Wartezeiten: Nie war es einfacher, sich impfen zu lassen. Dennoch zögern viele. Mit Aktionen im Freibad, im Theater, vor dem Fußballstadion sollen sie angelockt werden. Funktioniert das?

Von Peter Burghardt, Hamburg, und Rainer Stadler, München, Hamburg/München

Er kommt aus einem Wohnheim in Hamburg-Horn und will es jetzt wagen. Vor gut zwei Monaten war das Rote Kreuz in der Unterkunft gewesen, da wollte er nicht. "Ich hab' erst mal abgewartet", sagt der Mann. Der Piks war ihm noch nicht geheuer. Dann kam dieser Brief vom Jobcenter, außerdem hat er von Delta gelesen, dieser Variante, die noch gefährlicher sein soll als die anderen Arten von Corona.

Jobcenter Billstedt im Hamburger Osten, gegenüber von Spielcenter und türkischen Restaurants. Da steht er nun in Trainingshose und kariertem Hemd, ein verblasstes Tattoo auf dem Handrücken, die Colaflasche hat er abgestellt. Er trägt seine Daten auf der Erklärung Schutzimpfung Covid-19 ein, das Geburtsdatum 1967, kreuzt an, unterschreibt. Die zahlreichen Betreuer tragen weiße T-Shirts, darauf steht "Hamburg impft". Jetzt also auch im Jobcenter, Anfang der Woche in Billstedt, am Mittwoch im Bezirk Mitte. Leistungsempfänger wurden angeschrieben, sie bekamen einen Termin. Freiwillig natürlich, es gibt keine Pflicht. "Ich bin ja alt genug, ich hab' keinen Kinderausweis", sagt der nun Entschiedene, der gleich an der Reihe sein wird.

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Das alles ist der Versuch, auch diejenigen gegen die Seuche zu impfen, die bisher nicht mochten oder konnten oder so unsicher waren, dass sie einfach Zeit verstreichen ließen. Sieben Monate nach Beginn der Impfkampagne sind 62 Prozent der Deutschen mindestens einmal geimpft und 52 Prozent vollständig immunisiert. Zu wenig für die Herdenimmunität. Aus der Cosmo-Studie der Uni Erfurt, die Bürger regelmäßig zur Pandemie befragt, geht zwar hervor, dass 83 Prozent der Erwachsenen bereit wären, sich impfen zu lassen - ein Wert, mit dem wohl auch RKI-Präsident Lothar Wieler leben könnte, wenn er Realität würde. Doch wo ein Wille ist, führt noch lange kein Weg zum nächsten Impfzentrum.

Das zeigt sich auch in den Hamburger Messehallen: Seit Wochenbeginn wird dort ohne Anmeldung geimpft. Keine endlosen Anmeldeversuche mehr bei der Hotline, dazu genug Impfstoff für alle. Solche Angebote machen nun viele Impfzentren. Nie war es so einfach, sich in Deutschland gegen Corona impfen zu lassen. Doch der Andrang hält sich in Grenzen, auch in Hamburger Messehallen, wo 10 000 Impfungen pro Tag möglich wären. Im Juni wurden noch bis zu 1,4 Millionen Menschen täglich in Deutschland geimpft, jetzt werden selbst an Spitzentagen nur halb so viele Dosen verabreicht. Wissenschaftler und Politiker warnen, dass sich bei diesem Tempo die Delta-Variante kaum in Schach halten lässt.

Vielen Zauderern ist der Weg ins Impfzentrum zu weit

Warum die Zurückhaltung? Die Befragung der Uni Erfurt ergab, dass für etwa zehn Prozent der Deutschen eine Impfung nicht infrage kommt. Daneben gebe es viele, die immer noch an der Sicherheit der Impfung zweifelten, Impfen für überflüssig hielten oder glaubten, dass sie selbst keinen Schutz mehr benötigen, wenn sich doch schon alle anderen impfen lassen. Gegen diese Einstellungen laufen inzwischen mehrere Kampagnen. Fußballer, Schauspieler und andere Promis krempeln demonstrativ den Ärmel hoch. Nicht wenige Impfzauderer geben auch an, praktische Barrieren hielten sie vom Impfen ab, etwa die weite Anfahrt zum Impfzentrum oder die schlechte Erreichbarkeit des Hausarztes. Experten fordern deshalb "niederschwellige Impfangebote". Die Spritzen sollen zu den Menschen kommen statt umgekehrt.

Fußballfans können sich vielerorts im Stadien impfen lassen wie hier beim Bundesligisten Mainz 05. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Die Rathäuser des Landes haben sich einiges einfallen lassen, auch in der Hoffnung auf Laufkundschaft: Impfungen im Bühler Freibad oder im Wuppertaler Zoo, vor dem Riesenrad in Bruchsal oder auf dem Marktplatz von Schwerin. Im Theater von Karlsruhe, bei Schalke 04, Mainz 05 oder Werder Bremen. In Supermärkten, auf Parkplätzen, in Kirchen, bei der Impfparty in Kelheim. In Hannover fuhr dieser Tage der Großraumrettungswagen der Feuerwehr mit dem mobilen Impfkommando beim Stadtteilzentrum Stöcken vor. Mal gibt's eine Bratwurst als Belohnung, mal Rabatt im Fanshop; Geldprämien werden auch schon debattiert, obwohl laut einer Studie die Mehrheit Impfanreize in Form von Gutscheinen oder Geschenken ablehnt.

Vorbild sind die USA, wo längst am Drive-in-Schalter gepikst wird. Aber auch dort erlahmte die Kampagne nach schwungvollem Start, der Anteil der vollständig Geimpften ist inzwischen sogar etwas niedriger als in Deutschland. Wie sich Menschen am besten zum Impfen motivieren lassen? Ein ungelöstes Rätsel. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek machte vor Kurzem bei einem mobilen Impfteam vor einem Supermarkt Halt und registrierte einen regen Besucherverkehr. Am nächsten Tag stand das Impfteam vor einem anderen Supermarkt - und kaum jemand kam.

Abstruse Behauptungen aus dem Internet erschweren die Arbeit

Auch das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten, verantwortlich für 18 000 Menschen, musste lernen, dass viel Aufwand nicht unbedingt viel Ertrag bringt. Mitarbeiter gingen in den Einrichtungen von Tür zu Tür, um die Bewohner von der Impfung zu überzeugen. Es wurden Aufklärungsvideos ins Netz gestellt, auf Russisch, Arabisch, Vietnamesisch oder Urdu, der Amtssprache in Pakistan und Teilen Indiens. Es gab Termine für Erst- und Zweitimpfung. Trotzdem haben sich bislang nur 40 Prozent der Bewohner impfen lassen.

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Abstruse Behauptungen aus dem Internet erschweren den Verantwortlichen die Arbeit: Ein vermeintlicher Experte aus dem Irak, der auf Arabisch erklärt, dass der Impfstoff unfruchtbar macht - "schon haben wir ein Problem", sagt Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamts. Hat er eine Idee, wie sich solche Vorbehalte abbauen lassen? "Da hilft nur eines: einfach weitermachen mit der Aufklärung".

Vor dem Jobcenter in Hamburg-Billstedt finden sich an diesem Nachmittag Ende Juli zögerlich die Impfwilligen ein. Frauen und Männer aus mehreren Ländern, dies ist ein multikulturelles Revier. "Die Leute haben immer Zweifel, wenn etwas Neues kommt", sagt eine der Einweiserinnen, "es gibt viele Fragen, dafür sind wir da." Die Arbeit trägt auch Früchte.

Viele haben Angst, andere vertrauen Deutschlands Verlässlichkeit

Ein Paar aus der Dominikanischen Republik mit Kinderwagen füllt das Formular aus. "Viele haben Angst, auch in meinem Land", sagt der Mann - jeder Zweite lasse sich dort nicht impfen, weil da im Netz all die Theorien unterwegs seien, "die andere Pandemie." Aber die Latinos, die er kennt, hätten hier in Hamburg mehr Vertrauen als in den Heimatländern. Der Grund: "El sistema alemán", sagt er, Deutschlands Verlässlichkeit.

Der Mann aus dem Wohnheim kommt nach einer halben Stunde zufrieden aus dem Jobcenter. Er freut sich, dass er drinnen nach der Impfung nicht umgekippt ist, davor hatte er gewisse Sorge, seines Bluthochdrucks und der Blutverdünner wegen. Drei Tage solle er keinen Alkohol trinken, das habe man ihm geraten, erzählt der frisch Geimpfte, der zuvor zwei Monate lang einen Bogen um die Spritze gemacht hatte. Aber das sei jetzt auch kein Problem, " es ist ja für die Gesundheit, meine Gesundheit".

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