Südostasien:Myanmars doppeltes Desaster

Myanmars Putschgeneral Min Aung Hlaing

Freie und faire Wahlen stellt Putschgeneral und Premierminister Min Aung Hlaing für 2023 in Aussicht. Doch die Skepsis im Land ist groß.

(Foto: STR/AFP)

Die Bevölkerung leidet unter der Gewaltherrschaft des Militärs und einem Virus, das niemand unter Kontrolle bringt. Können die Nachbarstaaten einen Weg aus der Krise weisen?

Von Arne Perras

Myanmar hat nun einen Premierminister. Das klingt nach einem zivilen und demokratisch legitimierten Posten, ist aber nur Fassade. Denn Putschgeneral Min Aung Hlaing hat das Amt für sich selbst erschaffen, sechs Monate nach dem Coup, mit dem die Armee die junge Demokratiebewegung in Myanmar zerschlug und die Macht an sich riss. Nun posiert der General als Chef einer "geschäftsführenden Regierung". Und er verlängert den Ausnahmezustand um zwei Jahre.

Freie und faire Wahlen stellt der Armeechef für 2023 in Aussicht, doch die Skepsis im Land ist groß. "In Myanmar gibt es eine lange Geschichte gebrochener Versprechen durch autoritäre Regime", sagt Moe Thuzar, Analystin am ISEAS-Yusof Ishak Institute in Singapur. "Deshalb ist es schwer für die Menschen in Myanmar, das angekündigte Wahldatum optimistisch zu betrachten." Die Online-Plattform Irrawaddy zog nach den Ankündigungen des Generals eine historische Parallele zum früheren Diktator Ne Win. Der herrschte 26 Jahre lang, von 1962 bis 1988.

Zur Verzweiflung über die politischen Verhältnisse kommt die Not der Corona-Pandemie, die Myanmar überrollt und das Misstrauen zwischen Generälen und der Bevölkerung noch steigert. Erzählen kann davon die Pharmazeutin Lily, die 28-Jährige möchte nur ihren Vornamen preisgeben, weil sie um ihre Sicherheit fürchtet. Auch sechs Monate nach dem Coup geht sie noch immer zu spontan organisierten Protesten, den sogenannten Flash Mobs, um gegen die Junta zu protestieren. "Aber es kommen jetzt weniger Leute als anfangs, die Junta hat so viele verhaftet, und die meisten haben Angst", sagt sie am Telefon; kleinere Gruppen aber sind leichter einzukreisen, "wir müssen einfach blitzschnell sein und sehr schnell laufen können".

Meistens arbeitet Lily nun für eine medizinische Hotline, die Covid-19-Patienten telefonisch berät. Mit ein paar Freunden hat sie das aufgebaut, denn Kranke bekommen kaum noch Hilfe. "Die meisten Menschen sind völlig auf sich alleine gestellt, sie leiden und sterben zu Hause." So beschreibt es eine myanmarische Gesundheitsexpertin, die vor dem Coup daran arbeitete, Projekte internationaler Geldgeber umzusetzen; sie ist noch immer mit früheren Partnern in Ministerien und Organisationen in Kontakt und hört täglich Geschichten über Patienten, die kein Bett und keinen Sauerstoff bekommen, die draußen vor den Toren sterben.

Die Dunkelziffer in Myanmar dürfte hoch sein, getestet wird kaum

Das Land meldete bisher 306 000 Fälle und 10 000 Tote, doch die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen, vermuten Experten. 54 Millionen Menschen leben in Myanmar, getestet wird kaum.

Als die Junta ankündigte, dass sie in Yangon zehn neue Krematorien baue, die am Tag bis zu 3000 Leichen verbrennen könnten, empfanden das viele als Hohn. "Sie können Leichen beseitigen, aber Leben retten, das können sie nicht", sagt eine Frau am Telefon, die aus Angst anonym bleiben möchte.

Lily, die Pharmazeutin, sagt, dass das Militär Sauerstoff für sich bunkere, sodass überall sonst Mangel herrscht. Doch auch die Armee hat offenbar zu kämpfen, eine Quelle spricht davon, dass ein öffentliches 1000-Betten-Hospital in Naypyidaw vom Militär übernommen wurde, um Covid-19-Patienten aus den eigenen Reihen zu behandeln, es soll dort keine freien Plätze mehr geben. Vor allem innerhalb der niedrigen Ränge scheint die Angst zu wachsen. Nur höhere Offiziere können offenbar noch damit rechnen, medizinisch versorgt zu werden. Das schürt Unruhe in der Armee, die den Generälen nicht gefallen kann.

Die Covid-Krise und die Spannungen durch den Coup verstärken sich gegenseitig, weil die Bevölkerung vielerorts spürt, dass sich das Militär vor allem um sich selbst und seine Günstlinge kümmert. Als die Armee putschte, leisteten viele Menschen aus dem Gesundheitssektor umgehend Widerstand. Wie aber soll ein Land eine Strategie gegen Covid-19 entwickeln, wenn so viele Ärzte, Pfleger und Verwalter von der Armee als Terroristen angeprangert werden? Öffentliche Kliniken haben nicht mehr genügend Personal, oppositionelle Kräfte versuchen, Kliniken im Untergrund zu betreiben. Tag und Nacht müssen sie fürchten, entdeckt zu werden, was auch für Patienten eine große Belastung ist. Noch mehr Angst haben manche allerdings davor, sich in die Nähe eines öffentlichen Krankenhauses zu bewegen, sie fürchten, das Militär könnte sie dort festnehmen.

Ein halbes Jahr nach dem Coup gibt es kaum Anzeichen, dass der Vielvölkerstaat bald einen Weg aus der Krise findet. Die Nachbarstaaten wirken gelähmt. "Es ist äußerst wichtig, dass die Asean-Gemeinschaft mit der Umsetzung ihres Fünf-Punkte-Konsensus voranschreitet", sagt die Myanmar-Expertin Thuzar, weil die Junta sonst immer mehr Zeit gewinne, um die Lage zu manipulieren.

Schon im April hatten die südostasiatischen Nachbarn mit den Generälen einen Fünf-Punkte-Plan ausgehandelt. Er umfasst einen "konstruktiven Dialog" zwischen "allen Parteien", dazu soll die Gewalt enden, humanitäre Hilfe zugelassen und ein Sondergesandter ernannt werden, der ein- und ausreisen kann. Doch schon an dieser Personalie entzündet sich Streit. Seit Wochen können sich die Staaten nicht einigen. Weil sich der Staatenverband Asean strikt dem Konsens-Prinzip verschrieben hat, sind Mehrheitsentscheidungen nicht möglich. Wie bekannt wurde, sind vier Kandidaten im Rennen. Myanmar pocht auf einen Mann aus Thailand, einem Land, das ebenfalls vom Militär beherrscht wird.

Die Asean-Außenminister, die sich gegenwärtig beraten, stehen unter Druck, endlich das Gesicht einer Vermittlerin oder eines Vermittlers zu präsentieren. Doch selbst, wenn dies gelingen sollte: "In der polarisierten Lage ist es extrem schwer zu vermitteln", sagt Thuzar, es gehe auch nicht allein darum, Verhandlungen zwischen der Junta und Vertretern der demokratisch gewählten Regierung zu führen. In die Gespräche müssten auch Aktivisten und die bewaffneten Gruppen der ethnischen Minderheiten eingebunden werden, um eine dauerhafte Lösung zu finden.

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