Musik aus München:Klangspuren der Erinnerung

Musik aus München: Musiker und Kunsthistoriker: Daniel Bürkners Musik ist vielschichtig, assoziativ und sehr persönlich.

Musiker und Kunsthistoriker: Daniel Bürkners Musik ist vielschichtig, assoziativ und sehr persönlich.

(Foto: Karin Zwack)

Als Musiker nannte sich Daniel Bürkner früher Squares On Both Sides. Nun singt der Münchner erstmals deutsch und hat mit "Landschaft aus Papier" ein wunderbares Comeback-Album veröffentlicht.

Von Jürgen Moises, München

Der Beginn könnte ein Herzschlag sein. Dazu kommt ein Fiepen, das sich noch einmal höher wiederholt. Danach setzt eine gezupfte Gitarre ein. Man hört Stimmen, Lachen, gefüllte Gläser stoßen aneinander (laut Text müsste es Cognac sein). Das "Herzklopfen" und Fiepen kehren wieder. Und dann ist mit "Persien" auch schon das erste Stück, man könnte auch sagen: das erste Kapitel von "Landschaft aus Papier" vorbei. Denn für Daniel Bürkner ist sein Anfang Juli beim Indielabel Oscarson erschienenes Album "so etwas wie ein Bilderbuch". Nur muss man mit dem Kopf oder den Ohren blättern. Auch sonst ist "Landschaft aus Papier" für den Münchner Musiker zwar nicht das erste, aber ein neues, eigenständiges Kapitel. Hat er doch zuvor bereits vier Alben unter dem Namen Squares On Both Sides herausgebracht.

"Squares On Both Sides war immer so etwas wie eine Parallelwelt". So erinnert sich Daniel Bürkner an sein früheres, nie offiziell aufgelöstes Projekt, das er vor knapp 20 Jahren gegründet hat und dessen erste beiden Alben beim Münchner Kultlabel Hausmusik, der Heimat von Bands wie Ms. John Soda und Lali Puna, erschienen. Zu dieser "Parallelwelt" gehörten damals englische Texte. Auf "Landschaft aus Papier" singt Bürkner deutsch. Weil ihm das auf ganz andere Weise erlaube, "mit den Worten zu arbeiten", erzählt der Sänger, Musiker und Kunsthistoriker, der seit 2020 als Teamleiter "Kunst im öffentlichen Raum" beim Kulturreferat München arbeitet. Und der von 2011 bis 2017 das feine Frameworks Festival für experimentelle, elektronische Musik im Einstein Kultur kuratiert hat.

Das Festival gibt es immer noch. Es ist inzwischen im Blitz-Club verortet und wird von Christian Kiesler geleitet. In einem verwandten Geist, mit ähnlichen Inhalt, aber dann doch auch neuem Dreh und leicht verändertem Erscheinungsbild. Ganz ähnlich könnte man auch den Übergang von Squares On Both Sides zu Daniel Bürkner beschreiben. Der Minimalismus, die sanfte Stimme, das reduzierte, feinfühlige Songwriting, das alles ist weiterhin vorhanden. Mit Gitarre, Klavier, Piano, Synthesizer und Feldaufnahmen sind die neuen Songs ähnlich instrumentiert. Er habe aber, sagt der Musiker, diesmal "mehr mit den Mustern von Synthesizern gearbeitet und versucht, verschiedene Arten von Struktur ineinander zu setzen, Sequenzen und Loops mit organischen, fragilen Elementen zu verknüpfen".

Eine dezente, nichtsdestotrotz erkennbare Neuerung sind die subtilen, abstrakten, elektronischen Texturen. Wie etwa die Synthesizermelodie, die in "Kuppel aus Papier" neben Gitarre, Piano und elektronische Percussion tritt. Hinzu kommt der atmosphärische, träumerische Gesang der Finnin Lau Nau. Beim Instrumentalstück "Dch" hört man neben einem Piano ein japanisches Harmonium, das der Klangkünstler Tomoyoshi Date aus Tokio aufgenommen hat. Bei "Fremdartigkeit" wabert sanft ein modularer Synthesizer. "Lido" ist ein kurzes, akustisches Gitarrenstück. In "Äste" hört man eine Art elektronisches Rascheln, ein verhalltes Klavier, in "Fahren" ein sanftes Glockenspiel und in "Kiesel" das weiche Tröten einer Melodica.

Laut wird es nie, aber das würde auch nicht zu diesem intimen Album passen, dessen Texte vielschichtig, assoziativ und sehr persönlich sind. So handelt etwa "Fremdartigkeit" von einer Reise ins polnische Łódź. Einer Suche nach den Spuren der eigenen, von dort stammenden Großeltern, die Bürkner mit einer Schweigeminute zur Erinnerung an die Befreiung des Warschauer Ghettos verknüpft. In "Kiesel" wird unter anderem eine Busfahrt durch das Kiewer Umland beschrieben, auf der Bürkner ein älterer ukrainischer Herr nach einem Gespräch über ihre jeweilige Herkunft auf die Schulter klopfte und sagte: "Wir sind alle Brüder". Und "Dch" ist von einem Besuch im Konzentrationslager in Dachau inspiriert.

"In meinem Leben als Kunsthistoriker spielt Erinnerungskultur eine große Rolle", sagt Daniel Bürkner erklärend über seine Themen, "aber eben auch in meiner persönlichen Erfahrungswelt". Das ganze Album sei "ein Versuch, diese Ebenen auf eine assoziative, freie Art und Weise zusammenzubringen". Und zwar so, dass sich einiges davon entschlüsseln lässt, aber auch Raum bleibt, um "eigene Bilder entstehen zu lassen". Weil vieles davon auch für ihn ein Suchen und Sondieren ist, brauchte es die eigene, persönliche, die deutsche Sprache. Das Englische von früher vermisst man jedenfalls nicht. Im Gegenteil wirkt es so, als habe Bürkner erst jetzt seine Stimme gefunden und damit nun mit "Landschaft aus Papier" sein bisher bestes Album veröffentlicht.

Daniel Bürkner: Landschaft aus Papier, erschienen bei Oscarson, oscarson.bandcamp.com

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