Kommentar:Siemens: Gewinn-Euphorie hier, Frust dort

Kommentar: Illustration: Bernd Schifferdecker

Illustration: Bernd Schifferdecker

Der Konzern verdreifacht seinen Gewinn, das abgespaltene Energiegeschäft schreibt rote Zahlen und hat Riesenprobleme. Spätestens jetzt wird klar, warum der Konzern zerlegt wurde.

Von Thomas Fromm

Es hatte schon seine Gründe, dass die Stimmung bei Siemens an diesem Donnerstagmorgen so unheimlich gut war. Es läuft ja auch alles wie am Schnürchen, und der Chef sagt, dass er "sehr stolz" ist. Wann gibt es so etwas schon? Der Quartalsgewinn verdreifacht, die Prognosen nun schon zum dritten Mal im laufenden Geschäftsjahr angehoben - Corona hin oder her. Siemens wird gerade zu einem Software- und Digitalkonzern mit angehängtem Industriegeschäft umgebaut, und digital geht in diesen Zeiten natürlich immer. Dass es so gut läuft, liege auch daran, dass man gerade "die richtigen Technologien zur richtigen Zeit" habe, sagt Roland Busch auch.

Er hätte allerdings auch genauso gut sagen können, dass man ganz froh darüber ist, sich gerade nicht um die falschen Dinge zur falschen Zeit kümmern zu müssen.

Zum Beispiel um die frustrierende Dauerkrise des Windkraftanlagenbauers Siemens Gamesa. Oder das traditionelle Kraftwerksgeschäft, in dem weltweit Tausende Jobs gestrichen werden sollen. Beide Probleme wurden unter Buschs Vorgänger Joe Kaeser abgespalten, sie gehören zu Siemens Energy, jenem Energiekoloss mit weltweit 91 000 Mitarbeitern, die der Mutterkonzern im vergangenen September an die Börse gebracht hat und der im März in den Dax aufgestiegen ist. Die Zerlegung war zwar beispiellos und riskant, weil Siemens damit seine historischen Wurzeln gekappt hatte. Der damalige Konzernchef Kaeser aber tat es trotzdem, weil er glaubte, dass gemischte Industrie-Konglomerate aus der Zeit gefallen sind und in Zukunft nur noch klar fokussierte Unternehmen eine Chance am Markt haben. Mit der gleichen Logik hatte er auch schon 2018 das Medizintechnikgeschäft unter dem Namen Healthineers an die Börse gebracht, und es ist nicht so, dass er das Spiel mit der Ausgliederung von Geschäftssparten bei Siemens erfunden hätte. Schon um die Jahrtausendwende wurde das Halbleitergeschäft unter dem Namen Infineon ausgegliedert - zu volatil, zu unsicher, fand man damals. Kaeser hat die Sache nur auf die Spitze getrieben - und Siemens zerlegt.

Am Donnerstag nun herrschte Euphorie bei Siemens, am Tag davor noch miese Stimmung bei der Ex-Tochter Siemens Energy, die wegen der Probleme im Windenergiegeschäft tief in den roten Zahlen gelandet ist. Gewinnverdreifachung, Ergebnisse über Plan? Schön wär's. Hier Siemens, da Siemens Energy - die Gleichzeitigkeit der Ereignisse zeigt, dass Kaesers Plan aufgegangen ist. Nicht nur die Geschäftsfelder der Unternehmen sind heute fokussierter. Fokussiert sind nun auch ihre Sorgen. Die Probleme bei Gamesa und im Kraftwerksgeschäft sind aus Sicht des alten Siemens-Konzerns, der noch 35,1 Prozent an dem Energietechunternehmen hält, jetzt in erster Linie: die Probleme der anderen und nicht mehr ganz unmittelbar die eigenen.

Für den Münchner Konzern hat das durchaus Charme. Er kann sich nun ganz auf seine Geschäfte rund um die Digitalisierung der Industrie konzentrieren. Und Deals wie jenen, den der Konzern am Donnerstag bekannt gab: Über eine halbe Milliarde Euro gibt Siemens aus für eine niederländische Software-Plattform für die Reservierung und den Fahrkartenverkauf bei Bahn- und Busreisen - das klingt nach Zukunft, anders als Kohlekraftwerke.

Und Siemens Energy? Quersubventionierung wie im alten Mutterkonzern gibt es heute nicht mehr, das macht es für den Börsenneuling schwierig, zahlt sich für den Mutterkonzern Siemens und seine Aktionäre aber aus. Seit der Energy-Abspaltung hat die Siemens-Aktie an die 40 Prozent zugelegt. Die Aktie von Siemens Energy liegt dagegen heute fast schon wieder da, wo sie im September 2020 gestartet war. Am Donnerstag meldete sich Kaeser via Twitter zu Wort. Der Ex-Chef, heute Aufsichtsratschef bei Siemens Energy, gratulierte dem Siemens-Vorstand für die "exzellenten Resultate". Er sei "glücklich", dass sich die Strategie auszahle. Dies werde "die letzten Skeptiker" überzeugen, dass es richtig war, "ein neues Siemens" zu bauen. "Happy Shareholder today", schreibt der Ex-Chef, "heute glücklicher Aktionär." Die Probleme abgespalten, den Aktienkurs kräftig nach oben getrieben - so gesehen, läuft alles nach Plan.

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