Klimawandel:Golfstrom könnte vor dem Umkippen stehen

Eisberge bei Ilulissat in Grönland

Höhere Temperaturen lassen Grönlands Eis schmelzen - das könnte den Golfstrom bremsen.

(Foto: Jacob Gronholt-Pedersen/REUTERS)

Die Meeresströmungen im Atlantik schwächen sich ab und könnten laut einer Studie bald einen Kipppunkt erreichen. Die Folgen für das Klima wären weitreichend.

Von Christoph von Eichhorn

Eine Ozeanzirkulation im Atlantik, zu der auch der Golfstrom gehört, hat im vergangenen Jahrhundert vermutlich an Stabilität verloren und könnte nun vor einem entscheidenden Kipppunkt stehen. Zu diesem Ergebnis kommt der Klimaforscher Niklas Boers vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Fachmagazin Nature Climate Change.

Der Golfstrom gilt als Fernheizung Europas, da er Wärme bis zu den Britischen Inseln und vor die Küste Norwegens bringt. Der Golfstrom ist wiederum Teil der größeren Atlantischen Meridionalen Umwälzzirkulation (AMOC). Diese trägt an der Meeresoberfläche warmes und salzhaltiges Wasser Richtung Norden, während in der Tiefe kaltes und salzarmes Wasser zurückströmt. Anhand von Belegen aus der Erdgeschichte vermuten Forscher, dass die Umwälzzirkulation prinzipiell zwischen zwei verschiedenen Betriebszuständen wechseln kann: einer starken Kreisbewegung, so wie derzeit beobachtet, und einer sehr viel schwächeren.

Schmelzwasser aus Grönland könnte die Zirkulation bremsen

Da das AMOC-System große Mengen Wärme umverteilt, beeinflusst es das Wetter weltweit. Ein plötzlicher Wechsel vom starken in den schwachen Zustand hätte daher schwerwiegende Folgen: Europa würde womöglich abkühlen, während über dem Atlantik Wirbelstürme zunähmen. Auch das Muster der tropischen Monsune könnte beeinflusst werden. Vor einigen Monaten hatte eine Studie des PIK bereits gezeigt, dass die Umwälzzirkulation derzeit so schwach wie noch nie im vergangenen Jahrtausend ist, zugleich zeigt er weiterhin Merkmale des stärkeren der beiden Zustände. Die Frage ist: Handelt es sich dabei nur um ein kurzzeitiges Stottern oder einen langfristigen Trend?

Dies zu untersuchen ist nicht einfach - erst seit rund 20 Jahren wird die Stärke der AMOC-Strömungen direkt erfasst. Zwar zeigen die Messungen eine Abschwächung an, dennoch ist der Zeitraum zu kurz für klimatologisch belastbare Vorhersagen. Allerdings hinterlässt eine Veränderung der Ozeanzirkulation Spuren, etwa im Salzwassergehalt und der Meerestemperatur. Diese "Fingerabdrücke" hat Boers nun über 150 Jahre zurückverfolgt. Die Analyse zeigt demnach, dass das AMOC-System "im Lauf des letzten Jahrhunderts von relativ stabilen Verhältnissen zu einem Punkt nahe einer kritischen Schwelle übergegangen ist", heißt es in der Studie. Wann ein Umschalten in den schwächeren Zustand genau erfolgt, lässt sich bislang aber nicht sagen.

Vermutlich sind eine Reihe von Faktoren für die vermutete Annäherung an den Kipppunkt ursächlich. Boers sieht vor allem den gestiegenen Eintrag von Schmelzwasser aus Grönland als ausschlaggebend an, hervorgerufen von den steigenden Temperaturen in der Arktis. Dieses Süßwasser ist leichter als Salzwasser und bleibt daher eher an der Oberfläche, anstatt in die Tiefe abzusinken. Dadurch wird die Ozeanzirkulation gebremst. Auch die Niederschlagsmengen und der Eintrag aus Flüssen in den Ozean sind infolge des Klimawandels gestiegen und könnten zu der Abschwächung beitragen.

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Handout of a still image showing the Gulf Stream around North America taken from Perpetual Ocean, a visualization of some of the world's surface ocean currents

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