Lidl:Frauen an der Spitze unerwünscht?

Lidl, Schwarz-Gruppe, Pressebild: Melanie Köhler

Melanie Köhler: Sie war das "Aushängeschild" der Frauenförderung.

(Foto: Schwarz-Gruppe)

Seitdem Firmengründer Dieter Schwarz, 81, wieder den Konzern leitet, mussten einige Top-Managerinnen gehen. An den Geschäftszahlen kann es nicht liegen.

Von Michael Kläsgen

Es sind mindestens drei Personalien, die aufhorchen lassen. Die Fluktuation in den oberen Etagen bei Lidl und Kaufland war schon immer groß. Doch diesmal sind kurz hintereinander in der Schwarz-Gruppe, dem Mutterkonzern der Lebensmitteldiscounter, drei junge Top-Managerinnen wohl nicht ganz freiwillig gegangen.

Sie heißen Melanie Köhler, Annabel Ehm und Mareike Schwebke. Alle drei Personalien stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem überraschenden Ausscheiden von Klaus Gehrig, 73, Anfang Juli. Er hatte den größten Lebensmittelkonzern Europas seit 2004 geleitet und Frauen gefördert, ohne das groß nach außen zu kommunizieren.

Jetzt, so sieht es aus, wird das Rad zurückgedreht.

Grund für das Ausscheiden Gehrigs soll der Aufstieg Köhlers gewesen sein. Nach dem Streit übernahm der 81-jährige Lidl-Gründer Dieter Schwarz wieder die Leitung. Er gilt als öffentlichkeitsscheu und reichster Mann Deutschland. Schwarz will solange an der Spitze der Gruppe stehen, bis Gerd Chrzanowski, 49, Komplementär und damit Chef der Gruppe wird. Wann das sein wird, ist nicht bekannt. Doch faktisch scheint Chrzanowski schon im Namen von Dieter Schwarz wichtige Entscheidungen auszuführen. "Chrzanowski räumt auf", titelte die gut informierte Lebensmittelzeitung (LZ) Ende Juli.

Sie verantwortete alle wichtigen Bereiche

Zuvor hatte sich Chrzanowski im Machtkampf mit Melanie Köhler um die Gehrig-Nachfolge offenbar mithilfe der Unterstützung von Schwarz durchgesetzt. Die 30-Jährige hatte zuvor eine steile Karriere gemacht. Sie war Vorstandsvorsitzende der Schwarz Dienstleistungen, in der die meisten Zentralfunktionen der Gruppe gebündelt sind, und Mitglied der Gesellschafterversammlung der Schwarz Unternehmenstreuhand, des Machtzentrums des Konzerns. Zu ihrem Verantwortungsbereich gehörten Finanzen, Controlling, Produktion und Immobilien, allesamt Abteilungen von Gewicht.

Als sie noch da war, hieß es, sie mache einen guten Job. Der Konzern steht heute so gut da wie nie zuvor. Sie galt intern als das "Aushängeschild" der Frauenförderung in der Gruppe. Gehrig brachte sie sogar als seine mögliche Nachfolgerin ins Gespräch.

Doch nun sind beide weg, sie seit Mai, er seit Juli.

Ist es mit der Frauenförderung jetzt vorbei? Der Konzern verneint. "Selbstverständlich steht der Weg in eine Führungsposition bei der Schwarz-Gruppe weiterhin sowohl weiblichen als auch männlichen Mitarbeitern offen. Unser Engagement für Gleichberechtigung entspricht den Werten des Unternehmens und ist auf allen Ebenen gelebte Praxis", teilt das Unternehmen auf Anfrage mit.

Lidl: Annabel Ehm: War Teil des inneren Machtzirkels.

Annabel Ehm: War Teil des inneren Machtzirkels.

(Foto: Schwarz-Gruppe)

Das mag sein, letztlich fehlt für eine Beurteilung der Einblick in die konkreten internen Vorgänge. Doch eine zentrale Ebene, die für die Frauenförderung offenbar entscheidend war, strich der Konzern laut Lebensmittelzeitung ganz: den Bereich Interne Prüfung und Beratung (IP&B). Die Abteilung soll direkt Gehrig unterstellt und daher mächtig und von manchen gefürchtet gewesen sein. Vorständin der Abteilung war die 28-jährige Annabel Ehm. Auch sie stieg dank Gehrig von der Verkaufsleiterin bei Lidl bis in den Bereichsvorstand auf Gruppenebene auf.

Köhler und Ehm übersprangen mehrere Hierarchiestufen und erhielten hochdotierte Posten. Vor Ehm hatte Köhler den Bereich IP&B geleitet. In der Abteilung war auch Maraike Schwebke, 29, als Prokuristin im Rang einer Geschäftsleiterin. Ihr Ausscheiden wurde vor wenigen Tagen bekannt.

Auf die Frage, ob Schwarz und Chrzanowski die Frauenförderung von Gehrig korrigieren wollen, teilt der Konzern mit: "Der besondere Stellenwert von Vielfalt und Chancengleichheit für die Schwarz-Gruppe wird durch die organisatorische Verankerung innerhalb der Unternehmensstruktur unterstrichen." Die Abteilung, die symbolisch für Frauenförderung stand, entfernte die Gruppe allerdings offenbar ersatzlos.

Manchen langgedienten männlichen Aspiranten soll es schwergefallen sein, eine schnell aufgestiegene Frau als Vorgesetzte zu akzeptieren. Einige sollen ihre Kündigung mit den weitreichenden Befugnissen der Abteilung IP&B begründet haben. Die Abteilung soll bis hin zum Sortiment in den Regalen das letzte Wort gehabt haben.

Das Thema ist weit oben angesiedelt

Wie steht es nun also um die Frauen bei Schwarz? "Bei unseren Handelssparten Kaufland und Lidl sowie bei den Schwarz Dienstleistungen ist die Verantwortung für das Thema direkt beim Vorstand Personal angesiedelt", teilt der Konzern mit. Auch das mag sein. Allerdings verließen schon im Sommer vergangenen Jahres mit den Personalvorständinnen von Lidl und Kaufland "zwei prominente Schwarz-Frauen", wie die LZ sie nennt, die Gruppe.

Freilich gibt es noch andere Frauen auf höheren Posten. Julia Kern zum Beispiel ist Vize-Chefin von Lidl Deutschland. Bei der Suche nach einem Nachfolger von Chrzanowski, der offiziell noch Lidl-Vorstandsvorsitzender ist, wurde sie indes nicht berücksichtigt. Von Oktober an folgt der Ire Ken McGrath Chrzanowski zunächst als Stellvertreter nach.

Der Eindruck mag täuschen. Aber aus Chrzanowskis neuem "A-Team" sind bislang nur Männer bekannt, von Lidl und Kaufland über Schwarz Dienstleistungen bis hin zu den Sparten IT, Digitalisierung, Produktion und Entsorgung. Mit allen neuen vom Rang her aufgewerteten Vorstandsvorsitzenden soll Chrzanowski schon vorher eng zusammengearbeitet haben. Männerbünde.

Dabei ist es noch gar nicht lange her, da hatte die LZ geradezu enthusiastisch kommentiert: "Dass bei Lidl und Kaufland so viele junge Frauen an die Macht kommen, liegt nicht daran, dass die Schwarz-Gruppe ein genderwissenschaftliches Proseminar wäre. Klaus Gehrig folgt auch keinem betriebswirtschaftlichen Lehrbuch, sondern seinem händlerischen Gespür." Bemerkenswert auch diese Feststellung: "In der Filiale schließt sich der Kreis zu den Führungsfrauen: Wenn die meisten Mitarbeiter in der Filiale weiblich sind, warum sollen ausgerechnet Männer besser verstehen, wie sie motiviert werden können?" Aus heutiger Sicht erhält die Frage einen ganz anderen Unterton.

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