Trotz des Vormarschs der Taliban:Seehofer fordert Abschiebungen nach Afghanistan

Abschiebungen nach Afghanistan

Das war vor zwei Jahren: Polizeibeamte begleiten einen Afghanen auf dem Flughafen Leipzig-Halle in ein Charterflugzeug Richtung Kabul.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Botschafter und Hilfsorganisationen warnen davor, afghanische Flüchtlinge zurückzuschicken - doch der Innenminister drängt die EU zu einem harten Kurs. Besonders umstritten ist das Schicksal straffälliger Migranten.

Von Björn Finke, Brüssel

Es ist ein ungewöhnlicher Schritt: Die Botschafter jener acht EU-Staaten, die noch in der afghanischen Hauptstadt Kabul eine Repräsentanz unterhalten, empfehlen ihren Regierungen in einem gemeinsamen Bericht einen Abschiebestopp. Wegen des Vormarschs der Taliban und der schlechten Sicherheitslage sollten die Regierungen darüber nachdenken, Zwangsrückführungen vorerst auszusetzen, heißt es in dem Report, den auch der deutsche Botschafter unterzeichnet hat. Die gleiche Forderung - nur in schärferen Worten - stellten am Dienstag 26 Hilfsorganisationen an die Bundesregierung, darunter Pro Asyl, Brot für die Welt, Caritas und Diakonie.

"Deutschland darf die Augen vor der sich immer weiter verschlechternden Lage in Afghanistan nicht verschließen und muss alle Abschiebungen einstellen", steht in dem Appell. "Rechtsstaat heißt, dass menschenrechtliche Prinzipien eingehalten werden." Das völkerrechtliche Nicht-Zurückweisungsgebot, das aus dem absoluten Folterverbot abgeleitet werde und das Abschiebungen bei zu erwartenden schwersten Menschenrechtsverletzungen verbiete, gehöre dazu: "Dieses Abschiebungsverbot gilt unabhängig von individuellem Verhalten."

Doch Bundesinnenminister Horst Seehofer folgt dem entgegengesetzten Kurs: Der CSU-Politiker schickte zusammen mit seinen Amtskollegen aus Österreich, Dänemark, den Niederlanden, Belgien und Griechenland einen Brief an die EU-Kommission, in dem sie davor warnen, Abschiebungen auszusetzen. Denn das würde "das falsche Signal senden und wahrscheinlich noch mehr Afghanen motivieren, ihre Heimat in Richtung EU zu verlassen", heißt es in dem dreiseitigen Schreiben.

Asylpolitik ist eigentlich Kompetenz der Mitgliedstaaten. Die Minister schickten diesen Brief aber an die Kommission, um die Behörde aufzufordern, der afghanischen Regierung Druck zu machen. Die EU und Kabul hatten erst Ende April eine Vereinbarung abgeschlossen, die das Zurückschicken von Afghanen vereinfachen soll. Doch Anfang Juli teilte die afghanische Regierung mit, für vorerst drei Monate keine Abschiebungen mehr zu akzeptieren. Für diesen Schritt gebe es keine Grundlage, klagen die sechs Minister. Deshalb solle die Kommission nun ihre Gespräche mit Kabul "intensivieren", damit Abschiebungen möglich bleiben, fordern die Politiker. Dabei müsse die "höchste Priorität" darauf liegen, "insbesondere Afghanen, die schwere Verbrechen begangen haben", zurückzuschicken.

Ganz ähnlich äußerte sich SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz: In einem Zeitungsinterview sagte er, generell bleibe "es unser Wunsch, diejenigen abzuschieben, die schwere Straftaten begangen haben". In Deutschland war zuletzt Anfang des Monats ein Abschiebeflug nach Afghanistan abgesagt worden. Die Bundesregierung will ihn aber möglichst bald nachholen.

Angst vor einer neuen Flüchtlingskrise

Hinter der harten Linie der sechs EU-Innenminister dürfte die Furcht stehen, dass sich nach einem Kollaps der afghanischen Regierung eine Flüchtlingskrise wie 2015 wiederholt. Im Moment ist die Lage an den EU-Grenzen allerdings entspannt: Seit Jahresanfang seien gut 4000 illegale Einwanderer aus Afghanistan aufgegriffen worden, sagte ein hoher Kommissionsbeamter am Dienstag. Das seien um die Hälfte weniger als im Vorjahreszeitraum.

Eine große Sorge der Kommission - wie auch vieler nationaler Regierungen - ist das Schicksal der Afghanen, die in ihrem Land für die EU oder europäische Regierungen tätig waren. Die Kommission arbeite hier intensiv mit den Mitgliedstaaten zusammen, um diesen Ortskräften und ihren Familien eine sichere Zukunft außerhalb Afghanistans bieten zu können, sagte der Beamte.

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