Wahlkampf in Indien:Der Tempel, der eine Festung wird

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Anhänger der Regierungspartei BJP feiern im August 2020 die Grundsteinlegung des Hindu-Tempels in Ayodhya. (Foto: Hindustan Times/Imago)

Im größten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh geht jetzt schon der Wahlkampf los. Dabei geht es mehr um den Konflikt zwischen Hindus und Muslimen, als man es angesichts der Corona-Pandemie erwarten sollte.

Von David Pfeifer, Delhi

In Ayodhya wird viel Aufwand um scheinbar nichts betrieben. Doch dieses Nichts wird mit Stacheldraht beschützt und mit Maschinengewehren bewacht. Obwohl hier an einem glutheißen Dienstagnachmittag nur ein paar Laster mit Baumaterial herumfahren, muss man zwei Sicherheitssperren durchlaufen und wird zweimal abgetastet. Denn dieses Nichts ist den Hindus und Muslimen heilig. An dieser Stelle, an der bald der größte und modernste Hindu-Tempel errichtet werden soll, stand bis 1992 die Babri-Moschee. Es geht also nicht um nichts, sondern um alles.

Ayodhya liegt im größten und gleichzeitig ärmsten indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Mehr als 200 Millionen Einwohner sind hier im kommenden März aufgerufen, eine neue Landesregierung zu wählen. Überall stehen bereits Wahlplakate, die Premierminister Narendra Modi (BJP) und seinen Parteikollegen und Chefminister Yogi Adityanath zeigen.

Es ist die erste Wahl nach der Corona-Pandemie, in der die Bharatiya Janata Party (BJP), die sowohl in Uttar Pradesh wie auch in Delhi an der Macht ist, keine gute Figur gemacht hat. Politisch sollte es in Uttar Pradesh um die Bekämpfung der Armut, um Landwirtschaft und Chancen für das Land gehen, aber es geht in jüngerer Zeit vor allem um Religion, um den Konflikt zwischen Hindus und Muslimen.

Nur wenige Meter vom Gelände des zukünftigen Tempels entfernt empfängt der hohe Hindu-Geistliche Kamal Nayan Das seine Besucher, nimmt Spenden entgegen, lässt sich an den Füßen berühren. Er trägt lange, weiße Haare und einen noch längeren, weißen Bart, etwa 1000 Hindu-Mönche leben in seiner Abtei, er ist der Oberbeauftrage für die fachgerechte Errichtung des Tempels und zufrieden mit der BJP-Regierung. "Es läuft gut, im Jahr 2023 schon können wir die Statue für Gott Rama aufstellen", flüstert Das mehr, als dass er es sagt. Aber gibt es nicht drängendere Probleme im Land? Die Pandemie beispielweise? "Wen die Götter zu sich holen, den holen sie", sagt Das leise.

Der Tempel dürfte immer eine Festung bleiben

Schon heute besuchen etwa 8000 Pilger am Tag die Baustelle, drücken sich durch die Sicherheitskäfige. Wie wird das erst sein, wenn Teile davon stehen? Religiöser Tourismus ist eine solide Geldquelle in Indien, die Grundstückspreise um Ayodhya sind um das 25-Fache gestiegen, seit das höchste Gericht den Bau des Tempels erlaubt hat. Bis vor knapp dreißig Jahren stand an der Stelle noch die Babri-Moschee, 1528 auf Befehl des Großmoguls Babur errichtet, angeblich auf den Grundfesten eines Hindu-Tempels. Und vor weiteren 900 000 Jahren soll hier Rama geboren worden sein. Alles schon ein bisschen her.

Der Hindu-Geistliche Kamal Nayan Das, der für den Bau des modernen Rama-Tempel in Ayodhya zuständig ist. "Das wichtigste, was die Regierung auf den Weg bringen muss, ist die Zwei-Kind-Politik" sagt er. (Foto: David Pfeifer)

Doch der aktuelle Konflikt zwischen den beiden größten Religionsgruppen, den Hindus, die etwa 78 Prozent der Bevölkerung stellen, und den Muslimen, die ungefähr 17 Prozent der Inderinnen und Inder ausmachen, entzündet sich an der Leerstelle. Denn die Moschee wurde 1992 von etwa 100 000 Hindus unter Mithilfe der Polizei gewaltsam zerstört. Nach jahrelangen Verfahren wurde erst 2019 entschieden, dass der Hindu-Tempel errichtet werden darf.

Die Bauteile für den zukünftigen Rama-Tempel, die seit Jahren in Ayodhya gelagert werden. Bald sollen sie zur Baustelle geschafft werden, noch aber muss man sie bewachen. (Foto: David Pfeifer)

Voraussichtlich wird das Gebäude immer eine Festung bleiben müssen, egal wie und wann es fertig gebaut werden kann. Für den Wahlkampf 2022 in Uttar Pradesh und die Wahlen zur Lok Sabha, dem indischen Parlament, die 2024 anstehen, kann der Tempel jedenfalls als gute Ablenkung von den tieferen, komplexeren Problemen des Landes dienen.

Doch sollten die Hindu-Gläubigen nicht auch am friedlichen Miteinander mit den Muslimen Interesse haben? "Überall wo Muslime sind, gibt es Ärger. Pakistan, Afghanistan, Irak, man muss sich doch nur umsehen", gibt der Hindu-Geistliche die Meinung des Klosters wieder. "Es gibt doch auch Sikhs und Christen in Indien, von denen beklagt sich niemand." Die Hindu-Oberhäupter wünschen sich den größten und modernsten Tempel für Rama, den die Welt je gesehen hat - "ein Mekka für Hindus", wie Kamal Nayan Das sagt. "Das Wichtigste, was die Regierung nun auf den Weg bringen muss, ist die Zwei-Kind-Politik", flüstert Das noch, dann muss er zur nächsten Audienz. Er raschelt mit seinem Gefolge in weiten Gewändern davon.

Einer seiner Priester begleitet die Besucher zum Klosterausgang und erzählt, dass Muslime hier auch zum Mittagessen willkommen sind. Alltag und Politik stehen häufig im Widerspruch. Die BJP hat für Uttar Pradesh vor einigen Wochen eine Gesetzesvorlage eingebracht, die in Zukunft regeln soll, dass Paare nur noch zwei Kinder bekommen dürfen, werden es mehr, verliert man die Berechtigung auf Sozialleistungen. Das gilt für Hindus wie Muslime und auch für alle anderen Religionsgruppen - doch es zielt auf die Muslime, die in Uttar Pradesh immerhin etwa 21 Prozent der Bevölkerung ausmachen und mit Vielehen und viel Nachwuchs angeblich versuchen, die Hindu-Mehrheit zur Minderheit zu machen.

Es gebe Muslime, die im Hindu-Tempel beteten und umgekehrt

Der Nachfolger des Moguls Babur zeigt sich unbeeindruckt, wenn man ihn darauf anspricht. Der Nawab Jafar Mir Abdullah lacht viel, während er lückenlos die muslimische Herrscherfolge seit dem 15. Jahrhundert erklärt und Pan-Blätter einrollt. Er lebt in Lakhnau, der Hauptstadt von Uttar Pradesh, 135 Kilometer von Ayodhya entfernt. Seine Erzählungen handeln von Größe, Reichtum, Liebe und Verschwendung, nur heute, in der Gegenwart, so sagt er, würde er mit Macht nichts mehr zu tun haben wollen.

Der Nawab Jafar Mir Abdullah rollt Pan-Blätter für Besucher und erzählt die Geschichte der Moguln vom 15. Jahrhundert bis heute. "Friedlich bleiben" empfiehlt er seinen muslimischen Glaubensbrüdern. (Foto: David Pfeifer)

Abdullah hat ein Mandat abgelehnt, sowohl von der BJP wie auch von der Oppositionspartei BSP, er wollte nicht in den Wahlkampf ziehen, "dafür muss man eine andere Haltung haben", sagt er. Dann schweigt er eine Weile. Was denn für eine? Seit den Siebzigerjahren, seit der Zeit von Indira Gandhi, seien im Grunde nur noch Geschäftemacher in die Politik gegangen. Nicht mal nur korrupt, sondern offen empfänglich für Gelder, die man ihnen gibt, damit sie wiederum Aufträge vergeben und Menschen in Positionen bringen. So würde Politik heute gemacht. Reines Klientelgeschäft.

Für Abdullah ist das nichts, er hat lieber die Macht, die ihm seine Leute zuteilen. Wobei man sich die Dimensionen noch mal klar machen sollte, es leben in Uttar Pradesh bald so viele Muslime wie in der Türkei. Warum die zum Teil auch für Narendra Modi und die BJP gestimmt haben? "Weil Modi nicht korrupt ist, weil Yogi nicht korrupt ist." Religion, so sagt es Abdullah, sei eine Ablenkungsmöglichkeit, um den schlichteren Geistern eine Überlegenheit vorzugaukeln. Aber am Ende gehe es darum, dass die Leute wissen wollen, was sie in Zukunft essen sollen. Die BJP hat die Infrastruktur und die Sanitärbedingungen in Uttar Pradesh verbessert, das räumt auch der Nawab ein. Die Zwei-Kind-Politik? Nur ein Mittel, um die Gräben zwischen Muslimen und Hindus im Land zu vertiefen, "teile und herrsche", sagt Abdullah.

Wahlplakat mit Ministerpräsident Modi und Uttar Pradeshs Chefminister Yodi bei der Einfahrt nach Ayodhya. (Foto: David Pfeifer)

Er versucht, sich nicht sehr aufzuregen über diese Dinge. Der Nawab ist pensioniert, sein Haus vollgestopft mit geschwungenen Sofas, gewundenen Lampen, Ottomanen, altem Zeug, "wir vermieten das als Filmausstattung". Sein Bruder führt die Geschäfte, er setzt sich nun dazu. Was hilft denn gegen die Agitation? "Friedlich bleiben, sich das nicht aufzwingen lassen. Es gibt hier in Lakhnau Muslime, die beten im Tempel. Und umgekehrt", sagt Jafar Mir Abdullah, sein Bruder nickt. Dieser neue Streit, der heraufbeschworen wird, mit dem wolle die Regierung vom verheerenden Covid-Management ablenken.

Auch hier in Lakhnau sind viele vor den Krankenhäusern oder zu Hause erstickt. Der Bruder des Nawab erzählt, wie in einer Woche drei Mitglieder der Nachbarsfamilie an Covid-19 gestorben sind. Wegen des Lockdowns konnten die Verwandten nicht kommen, um den Körper zu waschen, wie es in den Hindu-Ritualen vorgesehen ist. "Also habe ich das alles gemacht, sogar die Scheiterhaufen angezündet und Bilder für die Verwandten gemacht, damit sie wissen, dass alles seine Ordnung hatte." Der Bruder des Nawab ist selbstverständlich ebenfalls Muslim.

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