Levante:Nahe dran am Nahen Osten

Lesezeit: 3 min

Michael Jansen: Bilder der Levante. Eine Langzeitreportage aus dem Nahen Osten. Aus dem Englischen von Sabine Wolf. Rotpunktverlag, Zürich 2021. 356 Seiten, 25 Euro. (Foto: N/A)

Die Islamwissenschaftlerin Michael Jansen hat eine ungewöhnliche und irritierende Langzeitreportage vorgelegt.

Von Wolfgang Freund

Das Buch "Bilder der Levante" bildet gewissermaßen eine einzige, etwa 350 Seiten lange Merkwürdigkeit. Ungewöhnlich ist schon der Vorname der Islamwissenschaftlerin, Journalistin und Publizistin Michael Jansen, geboren 1940 in den USA, doch irischer Abstammung. Sie ist die Ehefrau des indischen Diplomaten und späteren jahrzehntelangen Economist-Korrespondenten Godfrey Jansen. Das Paar lebte zunächst im Libanon, später auf Zypern, nahe Heimat auf Zeit aller enttarnten Regionalspione sowie aus der nahen konfliktgeschüttelten Levante anderweitig Exfiltrierten: Flugzeit Beirut-Larnaca oder Tel Aviv-Larnaca gerade mal +/- 30 Minuten, doch auch Örtlichkeiten wie Kairo, Amman, Damaskus oder Istanbul sind Richtung Zypern eher noch kurzatmige Luftsprünge. Aus Bagdad, Saudi-Arabien, Dubai oder dem Jemen dauert es etwas länger; aber das wäre dann auch keine eigentliche Levante mehr, obwohl diese Landstriche ebenfalls Hotspots des gegenwärtigen nahöstlich-vorderorientalischen Hexenkessels sind und in der Jansenschen Langzeitbeobachtung gleichberechtigt vorkommen. Der Zeitrahmen dieser Großreportage reicht von 1961 bis 2016.

Jansen steht zu den Palästinensern

Bei den Jansens hatte man sich regelmäßig ausgetauscht, schrieb sogar hin und wieder unter dem Namen des/der Partners/Partnerin. Stets aus zwei Himmelsecken: West-östlicher sowie ost-westlicher Diwan. Goethe hätte damit wohl seine Mühe gehabt. Die für die Jansen-Berichterstattung daraus erwachsene Vielfalt ist selbsterklärend und kommt dem Buch voll zugute, schafft indessen auch gewisse "Verfestigungen". Ein Beispiel: Das palästinensisch-israelische Drama, das kein Ende nimmt, bildet ein zentrales Thema in den Jahrzehnte abdeckenden Berichten. Gut nachvollziehbar, wenn man als participant observer zunächst im Libanon und später auf Zypern lebt und arbeitet. Die von der zweiten Intifada (ab 2001) geschüttelten palästinensischen Städte wie Hebron, Bethlehem, Nablus oder Dschenin stehen dabei im Zentrum von Michael Jansens Aufmerksamkeit.

Um, von auswärts kommend jeweils dorthinzufinden, muss man in der Regel auf dem Tel Aviver Ben Gurion-Flughafen landen und sich überhaupt mit den für solche Dinge zuständigen israelischen Behörden ins Benehmen setzen. Anders formuliert: Ohne israelische Duldung kommt ein auswärtiger Journalist da nicht sehr weit. Das war auch bei den Jansens nicht anders. Israel als "Dauerfaktum" kommt jedoch bei Michael Jansen eigentlich eher nur andeutungsweise vor, ja allenfalls als eine Anhäufung chronischer Bösewichte, die ständig mit modernstem Waffengerät herumballern und den armen Palästinensern das Leben verekeln. Schlussfolgerung aus der Lektüre: Michael Jansen steht voll hinter der palästinensischen Sache und scheint nur relative Sympathien für die Israelis und deren Staat zu hegen. Die ungeheuerliche israelisch-palästinensische Doppelverantwortung für das seit einem guten Jahrhundert in der Levante angerichtete Chaos wird hier leider in keiner Weise durchsichtiger.

Obwohl hier kein sozial- oder sonstwie-wissenschaftlich orientiertes Buch vorliegt und solches auch nicht beabsichtigt war, wäre vor der Vielfalt zitierter Orts- und Personennamen ein entsprechendes Register mit Kurzerklärungen nützlich gewesen. Auch das in der gebotenen Form karge Inhaltsverzeichnis, ausschließlich aus 16 Sammelbegriffen wie "Aufbruch", "Ausbruch", "Auswege", "Abkehr", "Sturz", "Werden" u.a. bestehend, hilft dem Leser wenig, Struktur und rote Linien des Buches spontan zu verstehen; denn wer oder was da aufbricht, ausbricht, Auswege sucht oder irgendwie abstürzt, bleibt eher verborgen, ergibt sich allenfalls aus näherer Lektüre und ist mit dem Lebensweg der beiden Jansens eng verknüpft: besonderer Charme und gleichzeitiger Haken dieses ungewöhnlichen Reportage-Buches.

Zu viele Erzählstränge verwirren die Leser

Spannend ist die Lektüre des Jansen-Buches zweifellos, auch die deutsche Übersetzung von Sabine Wolf ist gelungen. Aber zu viele rote Linien überkreuzen sich ständig und schrecken den mit den Vorgängen nicht näher vertrauten Leser auf, um nicht zu sagen, ab.

Zusammenfassend ließe sich sagen, dass der mit den jeweiligen Örtlichkeiten und dazugehörenden Zeitabläufen vertraute Spezialist diese nahöstliche "Langzeitreportage" mit makabrem Genuss verfolgen wird, während emotional weiter entfernte Leser vor diesem vielfarbigen Patchwork häufig ganz einfach werden passen müssen. Wer niemals "dort" war, tatsächlich oder zumindest im Geiste, dem könnten beim Lesen nicht unerhebliche Verstehenspannen entstehen.

Es ist im übrigen nicht das erste Mal, dass dem Rezensenten eine US-farbige gegenwartsnahe Orient-Berichterstattung zu näherer Beleuchtung unterkommt (z.B. Peter Hesslers "Die Stimmen vom Nil", Hanser 2020), wo zeitgeschichtliche Geschehnisse mit privat-familiären Erlebnissen vor Ort auf eine Art verquickt werden, dass daraus fast schon das Drehbuch für einen cinematographischen Polit-Knüller oder TV-Thriller entstehen könnte. Ein international greifender transatlantischer Medienstil, oder ein sich allmählich herausbildendes neues Genre?

Wolfgang Freund ist deutsch-französischer Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt "Mittelmeerkulturen"). Lebt heute in Südfrankreich.

© SZ vom 16.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: