Mönchengladbach gegen Bayern:Sommer zeigt cineastische Reflexe

Lesezeit: 3 min

Yann Sommer (Foto: imago images/Moritz Müller)

Der Gladbacher Torhüter sichert seinem Team beim Bundesliga-Auftakt einen Punkt gegen den FC Bayern. Julian Nagelsmann kann beim Pflichtspieldebüt als Münchner Trainer froh sein, dass es am Ende keinen Elfmeter für den Gegner gibt.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Der Fußball ist ja längst nicht mehr nur ein sportlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Gradmesser, sondern auch ein kultureller, pandemischer und für manchen vielleicht sogar ein meteorologischer. Nicht zu vergessen seine politische Komponente. Die wichtigsten Parameter aus dem Eröffnungsspiel der 59. Bundesliga-Saison lauten deshalb: Temperatur: 21 Grad; Luftfeuchtigkeit: 62 Prozent; örtliche Inzidenz: 84,7; Zuschauer: 22 925; Stimmung: Gänsehaut; Tore: zwei; Spiel: rassig; Relevanz als Beginn einer Saison der ersehnten Normalität: enorm; politische Bedeutung 45 Tage vor der Bundestagswahl: minimal.

Für den FC Bayern München und seine Millionen von Sympathisanten war dies aber schlichtweg der Auftakt zu einer Saison, die den zehnten Meistertitel in Serie einbringen soll. Dass die bajuwarischen Fußball-Dominatoren im ersten Pflichtspiel unter dem neuen Trainer Julian Nagelsmann nicht über ein 1:1 (1:1) bei Borussia Mönchengladbach hinausgekommen sind, dürfte an ihren Ambitionen nichts ändern. Man muss es wohl eher so sehen: Der erste Punkt Richtung Titel ist gewonnen, und auch Robert Lewandowski hat gleich wieder ein Tor geschossen.

"Zufrieden ist man nie, wenn man nicht gewinnt. Am Ende muss man mit dem Punkt leben", sagte Nagelsmann nach dem Spiel. "Wir haben ein spektakuläres Auftaktspiel gesehen. Der Anfang und der Schluss haben uns gehört, dazwischen waren die Bayern stark, und Yann Sommer hat uns gerettet", meinte Gladbachs neuer Trainer Adi Hütter.

Acht Franzosen haben die Bayern im Kader, seit Dayot Upamecano aus Leipzig hergewechselt und Michael Cuisance aus Marseille zurückgekehrt ist. Allerdings: Lucas Hernandez und Benjamin Pavard fehlten verletzt, Corentin Tolisso gehörte nicht zum Kader und Kingsley Coman, Bouna Sarr, Tanguy Nianzou sowie Cuisance saßen auf der Bank. Blieb nur Upamecano als Innenverteidiger, um sich mit dem Gladbacher Mittelstürmer Alassane Plea gepflegt in der Muttersprache verständigen zu können. Viel Zeit zum Plaudern blieb allerdings nicht, als genau dieser Plea in der 10. Minute schon das 1:0 für Gladbach schoss.

Interessant in Nagelsmanns erster Bayern-Viererkette: Rechts außen spielte Josip Stanisic aus der zweiten Mannschaft in seinem zweiten Bundesligaspiel, und an der Seite von Upamecano als Innenverteidiger Niklas Süle in seinem 195. Bundesligaspiel. Beide wirkten hilflos, als der aufgerückte Linksverteidiger Alphonso Davies in jener 10. Minute den Ball verlor. Gladbachs Patrick Herrmann schickte den Ball an Süle vorbei zu Lars Stindl, der passte an Upamecano vorbei zu Plea, und der schoss ein, ohne dass Stanisic weit und breit zu sehen gewesen wäre. Das Publikum brüllte.

Die 22 925 Zuschauer verteilten sich auf 54 000 Plätze im Borussia-Park. Wann hatte es zuletzt mal so viele Zuschauer in einem deutschen Fußballstadion gegeben? Antwort: Am 9. März 2020. An jenem Montag war die Zweitligapartie zwischen dem VfB Stuttgart und dem SC Paderborn mit 54 302 Zuschauern die letzte Partie in einem vollen Stadion vor Ausbruch der Corona-Krise gewesen. Zwei Tage später musste Gladbach sein Nachholspiel gegen den 1. FC Köln bereits im leeren Borussia-Park austragen.

Gladbach zwingt Bayern-Torwart Neuer zu Paraden

Trotz der akustischen Unterstützung gaben die Borussen das Spiel zunächst aus der Hand. Die Bayern ließen nun Ball und Gegner laufen, ohne sich bis zur Pause noch fatale Ballverluste zu erlauben. Zwei Mal scheiterte Lewandowski und ein Mal Stanisic an jenem fabelhaften Schweizer Torwart namens Yann Sommer, der sich nach dem hollywoodreifen Achtelfinal-Sieg bei der EM gegen Frankreich gewünscht hatte, bei einer Verfilmung von Robert De Niro gespielt zu werden. Doch in der 42. Minute war Sommer machtlos, als Lewandowski dem Gladbacher Abwehrmann Nico Elvedi weglief und eine Joshua-Kimmich-Ecke volley zum 1:1-Pausenstand eindrosch.

Die Gladbacher hatten nach ihrer frühen Führung das aggressive Pressing, das ihr neuer Trainer Adi Hütter ihnen abverlangt, ein bisschen schleifen lassen. In der zweiten Hälfte nahmen sie es wieder auf, spielten konsequenter in den Strafraum und zwangen Neuer zu Paraden.

SZ PlusFC Bayern in der Einzelkritik
:Upamecano zittert in der Schlussphase

Der Innenverteidiger fällt mit gefährlichen Zweikämpfen auf. Niklas Süle wirkt so dynamisch wie lange nicht mehr und bei Robert Lewandowski ist alles wieder beim Alten. Der FC Bayern in der Einzelkritik.

Von Sebastian Fischer

Auf der anderen Seite des Platzes arbeitete Sommer weiter an De Niros möglichem Interesse, indem er beste Chancen von Davies und Lewandowski vernichtete. Letzterer schüttelte irritiert den Kopf, weil Gladbachs Torwart die Reflexe eines cineastischen Superhelden zeigte. Neuer, bei Bedarf ja vielleicht ein Fall für Brad Pitt, antwortete mit famosen Paraden gegen Stindl und Hannes Wolf. Das Spiel war in der Schlussphase komplett offen.

Glück hatten die Münchner allerdings, als kurz vor Schluss erst ein und dann zwei mögliche Fouls von Upamecano gegen Marcus Thuram von Schiedsrichter Marco Fritz und vom Videoassistent nicht als elfmeterwürdig bewertet wurden. Vor allem in der ersten Aktion trat der Bayern-Abwehrspieler dem Stürmer in die Hacken - Hütter und die Fans zeigten dem Referee ihre Unzufriedenheit im hohen Dezibel-Bereich an, der neue Trainer kassierte auch eine gelbe Karte, weil er sein Missfallen zu deutlich artikulierte. Obgleich zu Recht. Bayern-Spieler Leon Goretzka sagte nach dem Spiel ehrlich: "Da können wir uns über einen Pfiff nicht beschweren."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: