"Dreigroschenoper" in Berlin:Und der Haifisch trägt Lametta

Die Dreigroschenoper

Bitte mal alle recht freundlich: Cynthia Micas als Polly, Nico Holonics als Mackie Messer.

(Foto: © JR Berliner Ensemble)

Barrie Kosky schrumpft die große, beißende Oper von Brecht und Weill auf kleines, zahnloses Komödienstadelformat.

Von Helmut Mauró

Ein ganzer Bühnenvorhang aus Lametta. Ja, ist denn heute schon Weihnachten? Beim Berliner Ensemble schon, nachdem endlich, nach langwierigen, coronabedingt schwierigen Probenphasen nun endlich, mit einem halben Jahr Verspätung, Bertolt Brechts und Kurt Weills "Dreigroschenoper" auf der Bühne des verschnörkelt neobarocken Theaterraums gezeigt wird. Der lädt nicht gerade dazu ein, seine ästhetischen Wirkmechanismen zu reflektieren, und auch die Inszenierung von Barrie Kosky verwandelt Brechts epischen Theateranspruch in eine bunte Revue. Wenngleich diese etwas spröder ausfällt als von Kosky gewohnt. Das Schrillste ist ein quietschender Teewagen, mit dem Kathrin Wehlisch als Polizeichef Brown die Henkersmahlzeit für Mackie Messer auf die Bühne schiebt. Es ist Spargel, und sie füttert ihn etwas unbeholfen damit. Das war ein großer Lacherfolg, der vielleicht auch deshalb so heftig ausfiel, weil das bittere Ende des Stücks nahte und eine weitere Humorexplosion nicht zu erwarten war.

Mackie Messer, virtuos dargestellt von Nico Holonics, der auch noch singen kann, wird selbstverständlich auch diesmal vom königlichen Boten vor der Schlinge gerettet, in der er bereits zappelt. Die Inszenierung lebt allemal, das merkt man gegen Ende immer deutlicher, von den hervorragenden Darstellern. Auch Tilo Nest als Peachum und erst recht Laura Balzer als Lucy in ihrem Zickenduett mit Cynthia Micas (Polly) bringen Schwung in die Aufführung, die streckenweise inmitten bunter Lichter und perfekter Kostüme vor sich hin dämmert. Dass der komplette Bühnenraum die längste Zeit mit einer Stellage aus Treppchen und Podestchen zugestellt ist, auf dem die Darsteller herumturnen, gibt ein eher beklemmendes Gefühl als einen freien Blick aufs epische Theater.

Alles wirkt hier historisch, brav und zaghaft

Man hatte den Eindruck, Kosky wollte das vor knapp 100 Jahren uraufgeführte Werk noch einmal ganz ernst nehmen und das Schwere leicht machen, das geforderte Nachdenken jeweils mit kleinen Unterhaltungshappen belohnen. Dass dabei aber auch umgekehrt das Leichte schwer werden kann, ist hundert Jahre später eine kaum zu unterschätzende Gefahr. Was einst wild war und ordinär, was an textlichem und musikalischem Straßenjargon die Akzeptanzgrenzen des bürgerlichen Publikums strapazierte, ist heute ein netter alter Hut. Es kommen ja nicht einmal F-Wörter vor.

Das Problem betrifft aber auch die Musik, obwohl man hier viel mehr Spielraum gehabt hätte, sie passend zu gestalten. Allerdings führte Dirigent Adam Benzwi die siebenköpfige Band nach dem herrlich schrägen Eingangsfugato schon beim eröffnenden Haifischsong zu streng sauberem Spiel, also weg von der Straße und hinein in die Kunstwelt. Die Moritat kommt als nahezu lieblicher Gesang aus einem unschuldig weiß geschminkten Frauengesicht, das aus der Lamettawand hervorlugt.

Es klingt alles so bekannt und befremdet doch ein wenig in der schier ungebrochenen Wiederholung historisch gewordener, zaghafter Revolutionsgesten dieser von Bertolt Brecht und Kurt Weill verfertigten marxistischen Persiflage auf die "Beggars Opera" von John Gay und Johann Christoph Pepusch von 1728. Die Musik verströmt noch Reste dieses quäkenden Weimarer Partysounds, aber selbst wenn man glauben will, wie Kosky behauptet, dass Weill für die Oper des 20. Jahrhunderts so wichtig war wie Wagner für die des 19. Jahrhunderts, so kann diese Inszenierung dafür nicht einstehen.

Brecht kam sich durch die Qualität seiner Texte selbst in die Quere

Man kann das aber auch etwas relativieren und in Umgehung der meistgespielten Opern des letzten Jahrhunderts zugestehen, dass Komponisten wie Igor Strawinsky, Alban Berg, Carl Orff, Paul Hindemith, Béla Bartók, Karlheinz Stockhausen, Arnold Schönberg, Ernst Krenek, Franz Schreker, Alexander Zemlinsky, Wolfgang Korngold, Francis Poulenc, Aribert Reimann, Bernd Alois Zimmermann, Benjamin Britten, Leonard Bernstein oder Luigi Nono auch eine gewisse Bedeutung im Neuentwurf des modernen Musiktheaters beizumessen ist. Dann nimmt man Weill auch ein bisschen von dieser ungeheuren historischen Last, Wagner-gleicher Erneuerer des Musiktheaters zu sein, und sieht in der "Dreigroschenoper" stattdessen wieder etwas Luft für das dramatisch Spielerische, Unwägbare, Subjektivistische, das diesem Bühnenwerk auch innewohnt. Das hintergründig Spielerische kam diesmal allerdings, bei allem klamaukigen Klein-Klein, ein wenig zu kurz.

Denn so akademisch streng gebaut sich Weills Musik an diesem Abend oft anhörte - war das Ensemble zu gut? -, so sehr lebt dessen Klangsprache doch auch von kalauernden historischen Zitaten, des Kirchenchorals am Ende etwa oder der grob geschnitzten Kontrapunktik zu Beginn. Da ist Ironie drin, aber nicht allzu viel. Jedenfalls nicht auf dem Niveau etwa von Jaques Offenbach, der der klassischen Oper auch auf der Ebene des musikalischen Satzes haarklein parodistisch hinterherspürte. Weill ist da so plump, wie Brecht es verlangt, um auch in der Musik das epische Theater zu vollstrecken. Was ja nie ganz gelingen kann. Schon bei Brecht nicht, dessen lyrisches Talent immer durchschlägt, dessen Reime, wo nicht zu Sentimentalität, doch zumindest zu Empathie verführen. Auch bei ihm kommt sozusagen erst das Kunstfressen, dann die ästhetische Moral, das Nachdenken darüber. Ob er aber wirklich seine Mittel während des Zusehens kühl reflektiert haben will, wie er behauptet? Ob ihm nicht das Nachdenken über die zynisch bloßgestellten Verhältnisse mehr am Herzen liegt, die es dem Menschen unmöglich machen, ein Guter zu sein?

Kosky jedenfalls will es ganz offensichtlich nicht. Er will muntere Unterhaltung um beinahe jeden Preis und hat ein sicheres Gefühl, wenn es darum geht, so einen Theaterabend intellektuell nicht zu überfrachten. Aber auch wenn kaum je Gefahr droht, die ganze Chose stürze in trockenen Diskurs, scheint Kosky genau diese Angst umzutreiben. Dann kommt von irgendwo ein Punktstrahler her und leuchtet ein Gesicht aus, und es gibt ein bisschen Lametta und dann noch mehr Lametta. Das begeistert viele - der Applaus war groß, aber Buhs gab es auch.

Zur SZ-Startseite
Patricia Kopatchinskaja

Salzburger Festspiele
:Der Sound von "Fridays for Future"

Patricia Kopatchinskajas "Dies Irae"-Konzert bei den Salzburger Festspielen ist mutig und voll Zorn.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: