Heideggers Erben:Hacker-Philosoph auf Raubzug

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"Ich habe genug Geld", schrieb der Hacker bald in holprigem Englisch. (Foto: FRED TANNEAU/AFP)

Ein Unbekannter entwendet 600 Millionen Dollar in Kryptowährung. Dann gibt er das Geld zurück und zitiert Heideggers "Sein und Zeit". Was ist da los?

Von Max Muth

Vergangene Woche überwies ein unbekannter Hacker Kryptowährung im Wert von 600 Millionen Dollar zurück, die er kurz zuvor gestohlen hatte. In den digitalen Zusatzinformationen hatte der Hacker oder die Hackerin außerdem eine Art ausführliche Pressemitteilung in Frage-Antwort-Form untergebracht. Etwas Selbstbeweihräucherung, ein paar Rechtfertigungen und ein Heidegger-Zitat: "Sein zum Tode". Große Aktion, alle beeindruckt, aber auch die Frage: Um was ging es nun eigentlich?

Von vorn. Am Dienstag hatte die Kryptobörse "Poly Network" eine eigene Art Todesnachricht an ihre Kunden abgesetzt. Man sei Opfer eines Hackerangriffs geworden, es sei der größte Hack in der Geschichte von Kryptowährungen. In diesem immer noch weitgehend unregulierten Markt werden regelmäßig Börsen gehackt oder Plattformbetreiber machen sich mit dem Geld ihrer Kunden aus dem Staub. In diesem Fall war es ein tatsächlich raffinierter Hack, der es dem Angreifer erlaubte, als vertrauenswürdige Instanz beliebige Transaktionen über verschiedene Blockchains zu verifizieren. Vereinfacht gesagt konnte er sich Geld überweisen, ohne dass die Bank zustimmen musste. Mehr als eine halbe Milliarde Euro seien so in den Kryptowährungen Ether, Tether, Polygon und Binance Tokens entwendet worden, schrieb das Poly Network auf Twitter.

Doch schnell zeigte sich, dass man es mit einem ungewöhnlichen Hacker zu tun hatte. Statt die Beute fortzuschaffen, begann er eine Unterhaltung mit den Betreibern der Börse und stellte in Aussicht, das Geld zurückgeben zu wollen. Die nannten ihn hoffnungsvoll "Mr. White Hat", in Anlehnung an die Hacker-Nomenklatur, in der diejenigen mit weißen Hüten Sicherheitslücken finden, um dann den Firmen Bescheid zu geben. Normalerweise allerdings stehlen diese ethischen Hacker kein Geld.

"Ich habe genug Geld", schrieb der Hacker bald in holprigem Englisch, um dem Gespräch dann eine seltsame Wendung zu geben. "Ich denke schon eine Weile über den Sinn des Lebens nach. Ich hoffe, mein Leben kann eine Abfolge einzigartiger Abenteuer sein. Also lerne und hacke ich alles, um gegen das Schicksal zu kämpfen." Und dann im deutschen Original: "Sein zum Tode".

Die Wortfolge "Sein zum Tode" taucht in Heideggers Werk erstmals in Kapitel eins des zweiten Abschnitts von "Sein und Zeit" auf. Komplett heißt es dort: "Das mögliche Ganzsein des Daseins und das Sein zum Tode." Eine noch größere Rolle spielt die Wendung in Paragraph 51 fortfolgende, dort heißt es instruktiv: "Das Sein zum Tode und die Vergänglichkeit des Daseins".

Erst wenn wir uns klarmachen, dass uns die Zeit davonrennt und wir nur dieses eine unsere Leben haben, heißt das in der Übersetzung aus dem Heideggerianischen, erst dann können wir erlangen, was Heidegger die Eigentlichkeit nennt. Erst dann können wir uns überlegen, welches Leben wir wirklich führen wollen.

Da hat sich ein Hacker auf die Suche nach der Eigentlichkeit gemacht

Wie genau der vom Leben gelangweilte Hacker den größten Bankraub der Geschichte anstellte, darüber rätseln Experten immer noch. Er selbst erklärte es in einer seiner zahlreichen Botschaften so: Es gebe zwar bei Kryptowährungen keine Bank, der man vertrauen muss, dafür gebe es den Code. Und der Code sei das Gesetz. Die Frage, zu was das die Code-beherrschenden Hacker macht, ließ er unbeantwortet.

Aus seinen Worten lässt sich eine Menge schlussfolgern. Erstens: Höchstwahrscheinlich handelt es sich um einen Mann. Geltungsdrang und Größenwahn sind traditionell männliche Domänen. Ökonomische Motive können nach der Rückgabe von stattlichen 567 von 600 Millionen Dollar (die Rückgabe der 33 übrigen ist laut Hacker ebenfalls geplant) ausgeschlossen werden. In seinem Eigeninterview deutet der Mann an, ohnehin durch Kryptowährungen reich geworden zu sein.

Banale Botschaft im Rampenlicht

Dass der Hacker wegen des deutschen Zitatfetzens Deutscher sein muss, ist eher unwahrscheinlich. Die grammatischen Fehler, die sich ansonsten in dem Text finden, deuten nicht auf deutsche Muttersprache hin. In Deutschland dürften sich zudem nur wenige Hacker finden, die in ihrer Freizeit Heidegger lesen.

Der ist auch hierzulande zwar immer noch berühmt, als ehemaliger Nazi-Mitläufer allerdings Gegenstand einiger Auseinandersetzungen. Deutlich populärer sind Heideggers Werke und Gedanken in Ländern wie Frankreich und vielen südamerikanischen Ländern wie Chile, Kolumbien und Argentinien. Letzteres hat wegen diverser Devisen-Schwierigkeiten zudem eine gewisse Affinität zu Kryptowährungen. Und übrigens auch eine Menge talentierter Hacker.

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