Ungenutzte Gebäude:Bayerns geerbte Schrottimmobilien

Ungenutzte Gebäude: Bayern besitzt derzeit knapp 3800 Nachlassimmobilien.

Bayern besitzt derzeit knapp 3800 Nachlassimmobilien.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Ein überwuchertes Grundstück, kein Abwasser, verschimmelte Wände: Der Freistaat sitzt auf 3800 Nachlassimmobilien, weil die eigentlichen Erben sie nicht wollten. Was macht das Land mit den Gebäuden?

Von Johann Osel

Den "Traum im Grünen" würde auf dem freien Markt vielleicht mancher Makler anpreisen, sich für die Immobilie allerlei Beschönigungen ausdenken, etwaige Nachteile elegant umschiffen. Die Immobilienverwalter des Freistaats aber sind schonungslos bei dem Objekt - Baujahr 1950, gute 270 Quadratmeter Wohnfläche - im Landkreis Cham unweit der tschechischen Grenze. "Das Anwesen ist nicht an die öffentliche Kanalisation angeschlossen", der Käufer müsse eine "Kleinkläranlage mit mechanisch-biologischer Abwasserbehandlung" errichten. "Das gesamte Grundstück ist vollständig mit Pflanzen überwuchert und schwer zugänglich. Ein geländegängiges Fahrzeug ist von Vorteil." Ein paar Macken noch: ein halb fertiger Umbau mit Gipsplatten, starker Schimmel hauptsächlich im Erdgeschoss, Verdacht auf Befall mit Hausschwamm. "Veräußerung gegen Höchstgebot" - wer möchte?

Die genaue Geschichte rund um dieses Anwesen, das seit zehn Jahren leer steht, im Staatsbesitz ist und nun verkauft werden soll, ist unklar. Wahrscheinlich wurde es geerbt, so stehen unter derlei Annoncen im Netz meist Objekte, die dem Staat hinterlassen wurden. Findet sich für ein Haus oder Grundstück kein Erbe oder die Erben schlagen es aus, fällt es an die jeweiligen Bundesländer. Diese müssen die "Fiskalerbschaften" antreten, darunter kann im Grunde alles sein, eben auch Häuser. Misslingt der Versuch, diese zu veräußern, verkommen sie nicht selten noch mehr und gelten als Schandfleck in Orten. Gleichwohl handelt es sich bei den Erbschaften nicht nur um Problemfälle, um einstürzende Altbauten oder Areale mit Altlast. Übrigens geht es auch nicht nur um Objekte in Bayern, maßgeblich ist der letzte Wohnort des Verstorbenen. So erbte das Bundesland schon Häuser von Lübeck bis Tirol.

Bayern besitzt derzeit knapp 3800 Nachlassimmobilien - und damit 750 mehr als vor vier Jahren. Im vergangenen Jahr sind dem Freistaat insgesamt weitere 617 Objekte zugefallen. Der SPD-Abgeordnete Klaus Adelt (SPD) hat die neuen Zahlen über eine Anfrage erfahren, er spricht von "Schrottimmobilien". Adelt fordert Änderungen, der Freistaat solle die Gebäude den Kommunen überlassen oder sie sanieren. "Ungerecht" sei es zudem, dass der Staat den Kommunen für die Gebäude weder Grundsteuer noch laufende Kosten bezahle.

Vor allem aber rügt der SPD-Kommunalexperte, früher Bürgermeister einer Kleinstadt im Frankenwald, "Untätigkeit und mangelnde Zusammenarbeit" des Freistaats. Er fordert Handlungsspielräume für die Gemeinden sowie ein Sonderförderprogramm. "Städte und Gemeinden müssen einerseits in die Lage versetzt werden, Schrotthäuser zu erwerben, abzureißen oder zu sanieren. Auf der anderen Seite braucht es eine Strukturreform." Ein neu zu gründender Staatsbetrieb solle sich als Entwicklungsagentur gezielt um die Vermarktung, Sanierung und Wertsteigerung von Nachlassimmobilien kümmern. Die Überlassung der Gebäude an Kommunen könne zu mehr Attraktivität von Dörfern beitragen - etwa durch ein Wirtshaus im Ort oder Wohnraum. Kluge Strategien seien da gefragt, stattdessen "lässt die Staatsregierung Gebäude vergammeln." Das hat auch bereits der Oberste Rechnungshof (ORH) moniert, laut Jahresbericht 2019 sehe man "deutlichen Optimierungsbedarf" und unwirtschaftliche Strukturen auf Landesebene. "Es wird auch nichts unternommen, um die Substanz und den Wert der geerbten Immobilien zu erhalten. Das schmälert mögliche Erlöse, wenn sie verkauft werden sollen", kritisierte der ORH.

Adelt sieht die gestiegene Zahl der Nachlassimmobilien zudem als "sicheren Indikator" dafür, wie es um die gleichwertigen Lebensverhältnisse in Bayern bestellt sei. Dieses Ziel ist in der Verfassungs verankert und wird von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gerne öffentlichkeitswirksam vorangetrieben, schon früher als Heimatminister. Adelt deutet die Daten: "Fakt ist: Das Gros der ungewollten Erbgrundstücke befindet sich im Norden Bayerns", 57 Prozent in Ober- und Unterfranken; nicht selten auch in strukturschwächerer Gegend.

Durchaus gibt es Erbschaften von Wert, die dem Staat Einnahmen bringen: In den vergangenen Jahren wurden 610 Objekte erfolgreich verkauft, übrigens in 75 Fällen an Kommunen. Allerdings steht mehr als ein Drittel der gut 3800 Immobilien im Bestand schon länger als fünf Jahre dort. Das kann, aber muss nicht daran liegen, dass es sich um Schrottbuden handelt. Häufig, erklärt das Bauministerium, scheitere eine rasche Verwertung an einer Vielzahl von Grundpfandgläubigern, die nicht auf ihre Forderungen verzichten möchten; oder daran, dass der Freistaat als Erbe lediglich Miteigentümer der Immobilie wurde.

Bei den Strukturen sieht man indes keinen Reformbedarf. Wie wäre es mit Adelts Idee einer Entwicklungsagentur, dem Sonderprogramm oder der regulären Überlassung an die Kommunen? Das Bauministerium, für das Thema mit dem Finanzministerium zuständig, teilte auf Anfrage der SZ mit: Landesamt für Finanzen und Immobilien Freistaat Bayern stünden schon jetzt "in intensivem und regelmäßigem Kontakt mit den Kommunen", es gebe ein System fester Ansprechpartner. Vor einer Ausschreibung zum Verkauf gebe es auch immer ein Angebot an die Kommunen, diese hätten gegebenenfalls ein Vorkaufsrecht. Hemmnis für Investitionen seien eben oft Belastungen wie Grundpfandrechte. Wertsteigernde Maßnahmen würden da primär Gläubigern und Banken zugutekommen, auf Kosten des Steuerzahlers. Adelts Vorstöße blendeten ein zentrales Problem aus.

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