Olympische Spiele und Corona:"Ich möchte einfach wieder meine Familie in den Arm nehmen können"

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Akrobat auf dem BMX-Rad: der Australier Logan Martin bei seiner Fahrt zu Gold in Tokio. (Foto: JB Autissier/imago)

Für viele Athletinnen und Athleten ist Olympia in Tokio längst nicht zu Ende. Sie sitzen immer noch in Quarantäne und können nicht in ihre Heimatländer einreisen - die Kritik wächst.

Von Thomas Hahn, Tokio

In irgendeiner anderen Zeit sollen auch australische Olympiasieger mal gefeierte, freie Leute gewesen sein. Aber dieser Tage muss es Logan Martin so vorkommen, als sei das lange her. Am zweiten Sonntag der Olympischen Spiele von Tokio war er einer der Gewinner seiner Nation. So verwegen und schön sprang er mit seinem BMX-Rad durch die Rampe des Ariake Urban Sports Park, dass er Zuschauer und Wettkampfjury begeisterte. Über ihm schien es nur den Himmel zu geben, keine Grenzen. Seine Auftritte wirkten wie eine Show ungebändigten Könnens.

Aber nach der Landung war er dann gleich wieder in der pandemischen Welt mit den vielen Regeln der pandemischen Spiele. Bei der Siegerehrung musste er sich die Goldmedaille selbst umlegen. Im Olympischen Dorf durfte er nicht mit zu vielen Leuten auf einmal zusammen sein. Lange bleiben durfte er auch nicht, weil alle Olympia-Sportlerinnen und -Sportler 48 Stunden nach ihrem Einsatz Japan verlassen mussten. Und jetzt? Knapp zwei Wochen nach seiner Ankunft in Australien? Sitzt der Olympiasieger Logan Martin in der staatlichen Quarantäne-Einrichtung von Howard Springs im Northern Territory die letzten Tage seiner Corona-Isolation ab. Er hat seine Goldmedaille, die er sich manchmal anschauen kann. Sein Smartphone, über das er Bilder aus der Einsamkeit teilen kann. Und ein 1500-Teile-Puzzle, das er vor der Abreise aus Japan als Instrument gegen die Langeweile gekauft hatte.

Für viele Athletinnen und Athleten ist Olympia in Tokio noch nicht zu Ende. Denn nicht Fanfaren und Willkommensbanner haben sie nach ihrer Heimkunft empfangen. Sondern die Coronavirus-Ängste ihrer Regierungen. China zum Beispiel schickt alle aus seiner Olympiamannschaft ausnahmslos in eine 21-tägige Quarantäne. Neuseelands Regierung verlangt von seinen Spiele-Heimkehrern zwei Wochen Isolation, ebenso Australien. Wobei für einzelne Mitglieder von Team Australia eine besondere Härte gilt. Für die 16 nämlich, die in den Bundesstaat South Australia zurückkehren wollen. Die Landesregierung dort verhängt eine zusätzliche Zwei-Wochen-Quarantäne für Ankömmlinge aus Sydney - auch wenn diese dort schon zwei Wochen Quarantäne abgesessen haben. Ausnahmen? Keine. "Es ist eine harte Entscheidung, aber wir müssen harte Entscheidungen treffen, um South Australia zu schützen", sagt Ministerpräsident Steven Marshall.

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Ob diese Isolationspraxis sinnvoll ist? Strenge Einreisebeschränkungen und rechtzeitige Lockdowns sind die Gründe dafür, dass entfernte Länder wie Australien und Neuseeland bisher keine schlimmen Coronavirus-Ausbrüche auszuhalten hatten. Fernweh halten hier manche gerade grundsätzlich für ein zu großes Gesundheitsrisiko. In Neuseeland regte der Coronavirus-Experte Michael Baker aus Wellington Anfang Mai sogar an, das Olympiateam zurückzuziehen wegen der allgemeinen Einreisebeschränkungen. Und die sehr leicht übertragbare Delta-Mutante schürt jetzt zusätzliche Befürchtungen.

Die Athletinnen und Athleten waren in Tokio schon in einer Quasi-Quarantäne-Situation. Sie durften sich nur zwischen Unterkünften und Sportstätten bewegen, hatten strenge Hygiene-Auflagen im Olympischen Dorf, tägliche Tests. Die meisten waren außerdem vollständig geimpft. Australiens Softballerinnen blicken sogar auf eine besonders lange Phase mit ständigem Corona-Monitoring und ohne freien Ausgang zurück; sie erregten Anfang Juni weltweites Medieninteresse, weil sie vor den Tokio-Spielen das erste ausländische Olympia-Team in Japan waren.

Aber die Behörden, die den Kampf gegen Corona besonders ernst nehmen, kennen kein Pardon. Familien, Freunde und Lokalpolitiker müssen warten, ehe sie ihre Olympia-Reisenden feiern können. Ken Wallace, Team Australiens Vize-Chef de Mission, früherer Erfolgskanute, Olympiasieger von 2008, hat bei der Rückkehr schon einen "massiven Kontrast" zu früheren Jahren festgestellt: "Bei den letzten drei Olympischen Spielen bin ich mit dem Charterflugzeug geflogen, und der Premierminister war da, und alle am Hangar wollten dich sehen." Jetzt ist der erste Empfang kalt. "Ich glaube, manche Athleten sind wirklich enttäuscht", sagt Wallace, "aber gleichzeitig sagen sie, wir dürfen unseren Traum leben und wenn das dazugehört, dann ist das okay, denn immerhin durften wir bei Olympia mitmachen."

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Das Gerede vom erfüllten olympischen Traum geht außerdem einher mit der Einsicht, dass Verbände und Sportler ohne Olympia heftige finanzielle Nachteile hätten. Trotzdem gibt es ein Ende der Geduld, wie in Australien der Streit um die South-Australia-Politik mit der zusätzlichen Quarantäne zeigt. Matt Carroll, Geschäftsführer des Australischen Olympischen Komitees (AOC), schimpfte über die kurzfristige Verschärfung: "Während andere Länder die Rückkehr ihrer Athleten feiern, werden unsere Athleten auf grausamste und rücksichtsloseste Weise behandelt." David Hughes, Chefmediziner des Australischen Sportinstituts, sagte Richtung South Australia, wissenschaftlich sei die überlange Isolation nicht zu rechtfertigen, stattdessen riskiere sie das körperliche und seelische Wohlbefinden der Betroffenen.

Softballerin Bel White aus South Australias Hauptstadt Adelaide konnte bei aller professionellen Contenance ihren Frust nicht zurückhalten. Nach dem Olympia-Martyrium war sie die Erste in der neuen Doppel-Quarantäne. Diese sei "ein Schlag ins Gesicht" nach all den Entbehrungen, die man als Nationalspielerin ohnehin schon auf sich nehme. "Ich bin in den letzten zehn Wochen an jedem einzelnen Tag auf Covid-19 getestet worden", sagte sie. Sie mochte Olympia, aber das Nachspiel ist ihr zu lang. "Ich möchte einfach wieder meine Familie in den Arm nehmen können."

Viele haben die Tortur schon hinter sich. Es gibt nachträgliche Empfänge. Manche Heimkehr wird durch die Umstände umso emotionaler. Und mit der Zeit entwickelt man so etwas wie Quarantäne-Erfahrung. Logan Martin zum Beispiel kennt das schon von seiner Rückreise von der BMX-WM in den Niederlanden. Seither weiß er, was er tun muss. Positiv denken. Und Puzzle spielen. "Puzzles haben definitiv geholfen, mich durch die zwei Wochen zu bringen", sagt er.

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