Gasstreit:Russische Erfolgsgeschichte

Lesezeit: 2 min

"Nur noch 15 Kilometer": Russlands Präsident Wladimir Putin kann sicher sein, dass Nord Stream 2, die neue Gaspipeline durch die Ostsee, nun bald fertiggestellt wird. (Foto: Alexander Zemlianichenko/AFP)

Warum Präsident Wladimir Putin inzwischen so gerne über Nord Stream 2 spricht.

Von Silke Bigalke, Moskau

Es ist eines der angenehmeren Themen für Wladimir Putin, man merkt das sofort, als der Kremlchef am Freitag nach Nord Stream 2 gefragt wird. Er steht neben Angela Merkel, für die wohl letzte gemeinsame Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin hat er einen besonders prunkvollen Kreml-Saal gewählt. Der Bau der Pipeline sei fast fertig, sagt Putin hinter seinem Rednerpult. Allein das darf er als russische Erfolgsgeschichte verbuchen, bedenkt man den politischen Widerstand in Europa und die US-Sanktionen gegen Nord Stream 2. Bis zur Fertigstellung blieben nur noch "44 oder 45 Kilometer", sagt Putin, und korrigiert sich gleich: "Wie viele, Herr Miller? 15? Es sind noch 15 Kilometer durchs Meer übrig." Die Anwesenheit von Gazprom-Chef Alexej Miller im Saal unterstreicht die Bedeutung des Themas zusätzlich.

Einen Haken gibt es allerdings: Durch Nord Stream 2 sollte es aus Kreml-Perspektive verzichtbar werden, russisches Gas durch die Ukraine zu leiten. Moskaus Transitvertrag mit Kiew läuft 2024 aus, doch die Ukraine ist nicht nur auf die Gebühren angewiesen. Sie behält von der russischen Lieferung nach Europa auch einen Teil für den eigenen Bedarf im Land. Dieses Gas bezieht sie zwar offiziell aus Europa, um Kosten zu sparen verlässt es die Ukraine physisch aber gar nicht erst. Mit der neuen Leitung könnte Putin die Ukraine also doppelt unter Druck setzen. Allerdings drohen Russland Sanktionen aus Brüssel und aus Washington, sollte es russische Energielieferungen als politische Waffe einsetzen.

Angela Merkel hat sich stets dafür eingesetzt, die negativen Folgen der neuen Pipeline für die Ukraine abzumildern - nicht erst, seitdem die USA dies zur Bedingung gemacht haben. Merkels Kompromiss mit US-Präsident Joe Biden gab ihr nun eine ganz konkrete Aufgabe mit nach Moskau: Sie sollte Putin überzeugen, den Transitvertrag mit der Ukraine über 2024 hinaus zu verlängern, um bis zu zehn Jahre. Dafür verzichtet Washington zunächst auf weitere Sanktionen gegen Nord Stream 2.

Die Europäer sollen noch mehr Erdgas kaufen

Beim gemeinsamen Auftritt wischt Putin die ukrainischen Sorgen dann mit dem alten Argument beiseite, Nord Stream 2 sei ein rein wirtschaftliches, kein politisches Projekt. Die Pipeline durch die Ostsee sei kürzer, moderner, umweltfreundlicher, billiger als die durch die Ukraine, zählt Putin auf. Er sei immer bereit gewesen, Gas auch nach 2024 durch die Ukraine zu leiten. Letztlich hänge das aber davon ab, wie viel Gas die Europäer aus Russland bestellten. "Mit der grünen Agenda, die in Europa bereits auf dem Weg ist, fragen wir uns, ob irgendjemand überhaupt noch Gas von uns kaufen wird, und wenn ja, wie viel." Sollte dies so sein, drängt sich allerdings eine andere Frage auf: Warum Nord Stream 2 überhaupt verlegt wird?

Durch die neue Röhre kann Russland jährlich 55 Milliarden Kubikmeter nach Europa liefern und verdoppelt damit die Lieferkapazität durch die Ostsee. 55 Milliarden Kubikmeter sind aber auch genau die Menge russisches Gas, die 2020 durch die Ukraine geflossen sind, obwohl diese Pipeline noch deutlich mehr Kapazität hätte. Putins Logik lautet: Wenn Europa nicht möchte, dass die Ukraine unter Nord Stream 2 leidet, muss Europa eben mehr russisches Gas einkaufen. So oder so gewinnt Gazprom, und damit der Kreml.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: