Ministerpräsidentenamt in Schweden:Und jetzt endlich eine Frau?

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Stefan Löfven, Ministerpräsident von Schweden, hat seinen Rücktritt angekündigt. (Foto: Maxim Thore/dpa)

Der Rücktritt des Sozialdemokraten Stefan Löfven im November trifft Land und Partei unvorbereitet. Favoritin für die Nachfolge ist die amtierende Finanzministerin.

Von Kai Strittmatter, Kopenhagen

Die Rücktrittsankündigung des schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven am Sonntag hat das Land und seine sozialdemokratische Partei unvorbereitet getroffen. Von einem "Blitz aus heiterem Himmel" sprach Pia Nilsson, Vorstandsmitglied der Sozialdemokraten, im schwedischen Sender SVT. "Alles hat ein Ende. Ich möchte meinem Nachfolger die besten Startbedingungen geben", sagte der 64-jährige Stefan Löfven bei seiner Rücktrittsrede. In ersten Reaktionen würdigten ihn Schwedens Medien und Politiker quer durch die Lager als menschlich integren, machttaktisch geschickten, gleichzeitig aber politisch passiven Ministerpräsidenten. "Als großer Ministerpräsident wird er nicht in die Geschichte eingehen, er stolperte vorwärts", schrieb das den Sozialdemokraten nahestehende Boulevardblatt Aftonbladet.

Der ehemalige Gewerkschaftsfunktionär Löfven war seit fast zehn Jahren Parteivorsitzender, davon sieben Jahre auch Ministerpräsident einer Minderheitsregierung, die sich ständig neue Mehrheiten sichern musste. Sein Rücktritt fällt in eine für Schweden an politischen Krisen reiche Zeit. Gerade erst hatte Löfven sein von den Linken bis ins bürgerliche Lager reichende Regierungsbündnis auseinanderfallen sehen und es mühsam wieder zusammengeschmiedet.

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Zu den nächsten Parlamentswahlen ist es nur noch wenig mehr als ein Jahr hin. Und für den Herbst dieses Jahres stehen komplizierte Budgetverhandlungen mit den Unterstützerparteien der Regierung an. Nun müssen die Sozialdemokraten bei einem Parteitag Anfang November einen neuen Parteivorsitzenden oder eine Parteivorsitzende küren. Der oder die Gewählte muss sich dann erneut eine Mehrheit im Reichstag suchen.

Die Sozialdemokraten wirken ausgelaugt

Für diese Neuwahl wenigstens scheinen sich die ausgelaugt wirkenden und in Umfragen schlecht dastehenden Sozialdemokraten nun einen symbolischen Neuanfang vornehmen zu wollen. Bis zum Montag mehrten sich die Stimmen aus der Partei selbst, aber auch die Einschätzungen von Beobachtern, die alle in einem übereinstimmten: Favoritin für den Parteivorsitz ist die bisherige Finanzministerin Magdalena Andersson. Grundsätzlich scheinen die Sozialdemokraten im Moment entschlossen, sich im November eine Frau zur Vorsitzenden zu wählen. Mit etwas Glück und Geschick könnte diese neue Parteivorsitzende dann wenig später Stefan Löfven auch im Ministerpräsidentenamt folgen.

Es wäre die erste Frau in diesem Amt in Schweden, ein historischer Schritt also, exakt 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts im Land 1921. Ein Schritt aber auch, mit dem die Schweden mittlerweile recht spät dran sind. Schweden hatte noch nie eine Frau als Ministerpräsidentin, im Gegensatz zu allen anderen nordischen Ländern: In Dänemark, Norwegen, Island und Finnland stehen zum Teil seit Jahren Frauen an der Spitze der Regierung. Dabei verstand Schweden sich selbst ausdrücklich immer als Vorreiter in Sachen Geschlechtergleichheit verstand. Als einziges dieser Länder hat sich seine Regierung gar - unter dem Mann Stefan Löfven - offiziell das Prädikat "feministisch" verpasst.

Stefan Löfven nennt Magdalena Andersson die "beste Finanzministerin der Welt". (Foto: Jonathan Nackstrand/AFP)

Die 54-jährige Ökonomin Magdalena Andersson ist im Moment auch deshalb Favoritin auf die Nachfolge Löfvens, weil er selbst sie indirekt zu seiner Kronprinzessin erklärt hatte. Löfven nennt Andersson die "beste Finanzministerin der Welt". Journalisten und Bekannte beschreiben sie als furchtlose, schlagfertige Person mit trockenem Humor. Andere Namen im Gespräch sind Gesundheitsministerin Lena Hallengren und Innenminister Mikael Damberg.

"Viel zu große" Kluft zwischen Arm und Reich

Ein entscheidender Punkt wird sein, ob Magdalena Andersson es schafft, den linken Flügel der Partei mitzunehmen. Die vielen Kompromisse vor allem mit den bürgerlichen Parteien in all den Jahren an der Macht haben vielen Sozialdemokraten zugesetzt: Sie klagen, der Partei sei der Kern und die Orientierung verlorengegangen, der Preis für die Macht sei die Aufgabe klassischer sozialdemokratischer Politik gewesen. Andersson griff diese Stimmung auf, als sie Anfang des Jahres die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Schweden als mittlerweile "viel zu groß" bezeichnete und wenig später eine Arbeitsgruppe anführte, die Vorschläge für eine neue Verteilungspolitik erarbeitete.

Die Orientierungslosigkeit ihrer Partei kreiden viele Stefan Löfven an. Einfach hatte Löfven - der 2012 lediglich als Verlegenheitslösung zum Parteichef gewählt wurde - es dabei nie. Seine Partei musste immer auch im bürgerlichen Lager um Mehrheiten buhlen. Und seine Regierung stolperte von einer Herausforderung in die andere: Flüchtlingskrise 2015, Terroranschlag in Stockholm 2017, Bandenkriminalität, Corona-Pandemie. Löfven schien ein Stehaufmännchen zu sein: "Sieben Jahre lang balancierte er auf einer Slackline", schreibt Aftonbladet, "und hat es dabei immer geschafft, die Balance zu halten." In der Corona-Pandemie gewann seine Regierung zunächst an Popularität - aber spätestens nach der zweiten Welle stürzten die Umfragewerte ab: Vielen agierte Löfven zu passiv, die Zweifel wuchsen, ob das schwedische Modell, in dem die Politik das Heft des Handelns der Bürokratie überlässt, im Angesicht der tödlichen Pandemie das richtige ist.

Das konservative Blatt Expressen befand am Montag, Löfven wirke heute "müde und einfallslos", mit ihm habe Schweden "wichtige Jahre verloren". Mit Ausnahme der rechtspopulistischen Schwedendemokraten aber würdigten ihn alle politischen Lager als verlässlichen und sympathischen Menschen, Löfven sei ein "Gentleman-Ministerpräsident" gewesen, schrieb die Zeitung Dagens Nyheter.

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