Regisseur Barbet Schroeder wird 80:Die Schnelligkeit des Blicks

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Barbet Schroeder beim Filmfestival Venedig. (Foto: Denis Balibouse/Reuters)

Eine Würdigung zum achtzigsten Geburtstag des französischen Nouvelle-Vague-Filmemachers Barbet Schroeder.

Von Fritz Göttler

"You're a very strange man", sagt der Anwalt zu dem Verdächtigen, ein seltsamer Mensch in der Tat, und der erwidert ungerührt, ungemein kalt: "You have no idea, Sie haben keine Vorstellung ..." Es ist der mondäne Claus von Bülow, zusammen mit seiner Frau Sunny lange ein glamouröses Paar der Fifth Avenue in New York. 1980 fiel Sunny aus ungeklärten Gründen in ein Koma, sie starb 2008, ohne wieder das Bewusstsein erlangt zu haben. Claus von Bülow wurde 1982 wegen Mordversuchs verurteilt, es folgten Revision und schließlich doch ein Freispruch, 1985. Richtig geklärt wurde der Fall nie. Barbet Schroeder hat über diese Geschichte 1990 einen Film gemacht, "Reversal of Fortune/Die Geschichte der Sunny von B.", den Claus von Bülow verkörperte Jeremy Irons, der dafür einen Oscar bekam.

Vom Unvorstellbaren ist Barbet Schroeders Kino fasziniert, ein Kino, das an die Ränder der Imagination geht. "More" heißt sein erster Film, 1969, auf deutsch eher unbeholfen "Gier nach Lust" betitelt. Ein Junge aus Deutschland verliebt sich in Paris in eine junge Amerikanerin, die tolle Mimsy Farmer - da war Godards "Außer Atem" bereits zehn Jahre alt und Kult. Die zwei ziehen dann schnell nach Ibiza, wo sie dem Heroin verfallen. Auch Schroeders zweiter Film handelt von einem Trip, der im ersehnten Nirgendwo endet, "La Vallée", gedreht in Neuguinea, mit seiner Frau Bulle Ogier. Pink Floyd haben zu beiden Filmen ahnungsvolle, behutsame Musik gemacht und später auf Alben veröffentlicht. "Green is the colour of her kind ... quickness of the eye deceives the mind."

Das Licht und die Farben haben eine brennende Intensität in diesen Filmen, die Kamera hat Néstor Almendros gemacht, der bei vielen Filmen von Truffaut und Rohmer dabei war. Wie Barbet Schroeder ist er in seinem Herzen immer Dokumentarfilmer geblieben, gemeinsam haben die beiden "Général Idi Amin Dada: Autoportrait" gedreht, schrill extrovertiert, in dem Ugandas Diktator sich selbst in Szene setzt und manchmal selber lachen muss über die eigene Absurdität. Den Advocatus Diaboli der Kulturgeschichte hat Schroeder gerne gespielt, er ist fasziniert - so hat er in einem Interview erklärt, einen Romantitel von Balzac zitierend - von der Kehrseite der Geschichte, "l'envers de l'histoire contemporaine".

Mit Balzac hat Schroeder sein Leben lang zu tun gehabt, der war einer der Hausgötter der Nouvelle Vague. Geboren ist Schroeder am 26. August 1941 in Teheran, die Mutter eine deutsche Physikerin, der Vater ein Schweizer Geologe. Nach der Scheidung zog die Mutter mit ihm nach Paris, Barbet studierte an der Sorbonne Philosophie. Mit Éric Rohmer hat er 1962 die Produktionsfirma "Les films du losange" gegründet, die ersten Jahre war sein Zimmer das Büro.

Auch die verfemten Figuren haben ihn immer interessiert

Erstaunt und betrübt musste er erleben, wie Produzenten die angebotenen Drehbücher Rohmers für die ersten "Moralischen Erzählungen" auf den Boden schleuderten - das sei kein Kino, schimpften sie, dabei war es das modernste der Welt! Später hat die Firma Fassbinders "Chinesisches Roulette" produziert, Filme von Werner Schroeter und Marguerite Duras. Jahrelang hat Schroeder gebraucht, bis er "Barfly" realisieren konnte, nach einem Drehbuch von Charles Bukowski, der im Film verkörpert wird von Mickey Rourke.

Er hat bei Jacques Rivettes kühnem "Out One"-Projekt mitgemacht, das von Balzac inspiriert war, und den Dreh von Rivettes "Céline et Julie vont en bateau" organisiert, eine Feier der lustvollen Anarchie. Ohne Schroeder, sagt Rivette, wäre der Film nicht zustande gekommen, und er hat dafür die herrlich sinistre Rolle des Monsieur Olivier gegeben in dem Spukhaus mit der Adresse 7 bis, rue du Nadir-aux-Pommes.

Den Advocatus Diaboli spielen ... Schroeder hat einen Film über den Anwalt Jacques Vergès gemacht, "L'avocat de la terreur", der ohne mit der Wimper zu zucken die Gerichte Frankreichs vorführte, indem er algerische Terroristen, Baader-Meinhof-Leute, Klaus Barbie verteidigte. Zuletzt widmete er einen Film dem buddhistischen Mönch Ashin Wirathu, der mit sanfter Stimme gegen die muslimischen Rohingya in Myanmar hetzt und den Genozid an ihnen befeuert.

Die Kehrseite der Geschichte steckt voller Gespenster ... "Reversal of Fortune" wird zum Teil von Sunny von B. erzählt, der Frau im Koma: Phantom Lady over New York.

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