Bundestagswahl:Neuigkeit: Wagenknecht wirbt für die Linke

Bundestagswahl: Sahra Wagenknecht ist noch Mitglied der Linken, ihr Ehemann Oskar Lafontaine inzwischen nicht mehr.

Sahra Wagenknecht ist noch Mitglied der Linken, ihr Ehemann Oskar Lafontaine inzwischen nicht mehr.

(Foto: Martin Schutt/dpa)

Nach jahrelangem Beziehungsstreit mit ihrer Partei kommt Sahra Wagenknecht überraschend nach Thüringen, um die Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow beim Wahlkampf zu unterstützen. Und sie hat noch jemanden "mitgeschleppt".

Von Boris Herrmann, Weimar

Jeremy ist 20 Jahre alt, Student und eigenen Angaben zufolge "gelb bis hinter die Ohren". Die FDP kann sich bei der anstehenden Bundestagswahl schon einmal auf die Stimme dieses Erstwählers aus Weimar freuen. Fragt man Jeremy - den Nachnamen behält er im Gegensatz zur Ohrenfarbe lieber für sich -, was ihn auf eine Wahlkampfveranstaltung der Linkspartei führt, dann sagt er: "Sahra Wagenknecht erlebt man nicht alle Tage."

An diesem Abend haben die Bürger von Weimar sogar die seltene Gelegenheit, sie gemeinsam mit ihrem Ehemann und einstigen Parteichef Oskar Lafontaine zu erleben. Der Unesco-Platz in der Altstadt ist gerade groß genug für dieses Spektakel. Handgezählte 700 Zuschauer sind gekommen, von einem Rollator-Fahrer, der fröhlich bekennt, schon zu SED-Zeiten in der Partei gewesen zu sein, bis hin zu einem jungen Liberalen reicht das Publikumsinteresse.

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Wagenknecht, 52, ist und bleibt ein Phänomen. Ihre Popularität strahlt weit über ihre Partei hinaus, allerdings längst nicht in gleichem Maße in ihre Partei hinein. Ihr Buch "Die Selbstgerechten", mit dem sie seit Wochen in den Bestsellerlisten steht, empfanden einige Genossinnen und Genossen als derart unverschämt, dass sie ein Ausschlussverfahren gegen die Autorin auf den Weg brachten. Und das ist nur das jüngste Kapitel in einem jahrelangen Beziehungsdrama zwischen der Linken und ihrer einstigen Fraktionsvorsitzenden.

Unumstrittene Qualitäten am Rednerpult

Manche bezeichnen es deshalb als ein Wunder, dass Sahra Wagenknecht nun nach Thüringen gekommen ist, um die Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow in ihrem Wahlkreis zu unterstützen. Unter dem alten Führungsduo Katja Kipping und Bernd Riexinger wäre das noch undenkbar gewesen. Aber auch seit Hennig-Wellsow und Janine Wissler im Februar das Kommando übernahmen, beschränkte sich der Kontakt bislang auf ein nicht messbares Maß. Wagenknecht wirbt öffentlich für die Linke - das hat inzwischen Nachrichtenwert.

Ihre Qualitäten am Rednerpult sind dagegen unumstritten. Wagenknecht erzählt, dass sie immer gern nach Weimar zurückkehre, wo sie als Schülerin im Goethehaus gejobbt und bei ihrer Großtante gewohnt habe. Zwei, drei Sätze - schon hat sie die Leute auf ihrer Seite und vor allem dieser Veranstaltung ein wenig von ihrem Therapiesitzungscharakter genommen. Eine Selbstverständlichkeit verwandelt sie mit diesem Kniff in eine Pointe: "Ich bin natürlich nicht nur deshalb hier, weil Weimar so schön ist."

In Wahrheit liegt es wohl eher daran, dass auch Sahra Wagenknecht jene Umfragen liest, in denen die Linke seit längerer Zeit zwischen sechs und acht Prozent festhängt. Die gemeinsame Angst vor der existenzbedrohenden Fünf-Prozent-Hürde wirkt hier offenbar bis in die tieferen Spalten der Parteilager hinein friedensstiftend. Wagenknecht, die als Spitzenkandidatin der Linken in Nordrhein-Westfalen wieder in den Bundestag will, hat erkannt, dass es ihr auch nicht hilft, wenn sie vor allem als innerparteiliche Oppositionsführerin wahrgenommen wird.

"Reden hilft ja manchmal"

Bei ihrem Gatten Oskar Lafontaine, 77, der 2007 zu den Gründervätern der Linken gehörte, schien der Entfremdungsprozess von seiner Partei zuletzt noch weiter vorangeschritten zu sein. Als saarländischer Fraktionsvorsitzender ging er nach internen Streitereien sogar so weit, von einer Wahl des eigenen Spitzenkandidaten im Saarland abzuraten. Dafür wurde er aufs Schärfste kritisiert. Aber am Ende hat das wohl dazu beigetragen, dass der Burgfrieden von Weimar zustande kam. Hennig-Wellsow nahm Lafontaines Provokation zum Anlass, um einfach mal auf gut Glück nach Saarbrücken zu fahren und "mit dem Oskar" zu reden. "Reden hilft ja manchmal", sagt sie.

Vier Stunden dauerte das Gespräch, es endete mit einer Einladung nach Thüringen. Ob diese, wie aus der Parteispitze zu hören ist, in erster Linie Lafontaine galt, der dann überraschenderweise vorschlug, auch gleich noch seine Frau mitzubringen, oder ob, wie Lafontaine es darstellte, er von Sahra Wagenknecht in deren geliebtes Weimar "mitgeschleppt" wurde, spielt letztlich keine Rolle. Niemand würde behaupten, dass nun alle Differenzen ausgeräumt wären. Was aber bleibt von diesem Abend, ist ein ungewöhnlich einträchtiges Bühnenbild sowie ein Schlusswort von Lafontaine, in dem er herzlich um Unterstützung für unsere "Susi" bat - und zweifellos Hennig-Wellsow meinte.

Wagenknecht hielt eine Rede, die in Sachen Polemik wenig Wünsche offenließ, wobei sie die eigene Partei diesmal verschonte. Stattdessen wetterte sie munter gegen die CDU, den Imperialismus, die Lobbyisten, die im Bundestag "herumwieseln", sowie gegen Politiker, die sich nach ihrer Laufbahn "den Arsch vergolden lassen". Dem bunt gemischten Weimarer Publikum hat das alles bestens gefallen. Selbst den bis hinter die Ohren gelben Studenten ertappte man beim Klatschen. Ganz abwegig ist es nicht, hier von einem Wunder zu sprechen.

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