Transfers des FC Bayern:Stärke durch Schwächung

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Wieder vereint, aber in neuen Farben: Marcel Sabitzer (links) folgt seinem Trainer Julian Nagelsmann von RB Leipzig zum FC Bayern. (Foto: Christian Schroedter/imago)

Nagelsmann, Upamecano, Sabitzer: Die aktuellen Transfers von Leipzig nach München knüpfen an eine alte Strategie des FC Bayern an - doch der nationale Aufschrei bleibt aus.

Kommentar von Philipp Schneider

Vor einem Jahr hatte Karl-Heinz Rummenigge offensichtlich keine Lust mehr, immer wieder aufs Neue mit einer Erzählung konfrontiert zu werden: der unendlichen Geschichte vom deutschen Rekordpiranha auf dem Transfermarkt. "Der FC Bayern hat noch nie einen Spieler mit dem Ziel verpflichtet, einen seiner Konkurrenten zu schwächen", sprach also der Vorstandsvorsitzende von der Säbener Straße. Nanu, wunderte sich mancher - da ging aber jemand erstaunlich beschwingten Schrittes zum nachfolgenden Faktencheck.

Was damals nicht zu ahnen war: Just jener Transfer, der der Auslöser für Rummenigges Aussage war, hat dessen Behauptung bisher zumindest nicht widerlegt. Denn der Spieler, den die Bayern damals einem ihrer größten europäischen Konkurrenten abgeluchst hatten, muss den Beweis erst noch erbringen, dass sein Wechsel die Münchner gestärkt und den ehemaligen Klub geschwächt hat: Der Innenverteidiger Tanguy Nianzou, 19, galt zuvor als Riesentalent von Paris Saint-Germain. Jetzt gilt er als Riesentalent des FC Bayern. Hin und wieder bringt ihn Trainer Julian Nagelsmann auch - gegen Köln zum Beispiel, oder wenn es zur Halbzeit schon 2:0 gegen Hertha steht und der Oberschenkel von Abwehrchef Dayot Upamecano zwickt.

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Der Transfer hatte sich lange angebahnt, nun ist er offiziell. Der Österreicher erhält in München einen Vierjahresvertrag - und trifft dort auf seine alten Kollegen.

Doch selbst wenn die bajuwarische Expansion auf dem Auslandsmarkt noch etwas stockt. Im Inland floriert sie wie zuletzt bei der Übernahme der Dortmunder Topspieler Götze (2013), Lewandowski (2014) und Hummels (2016). Zog sich der von der Säbener Straße orchestrierte Aderlass beim BVB damals über drei Jahre hin, so haben die Bayern nun in gerade mal sechs Monaten einem nationalen Hauptrivalen um die Meisterschaft erst den Abwehrchef (Upamecano), dann den weltweit umworbenen Trainer (Nagelsmann) und nun auch noch den Kapitän (Marcel Sabitzer) abgeworben - er erhält einen Vertrag bis 2025.

Von den Ultras der Traditionsvereine gibt's kein Mitleid für Leipzig

Ein bemerkenswerter Fakt dabei ist, dass der nationale Aufschrei ausbleibt - sowohl in den Kommentarspalten der Fachmagazine als auch den Fußballkneipen. Das hat sicher nichts damit zu tun, dass all die Geimpften und Genesenen an den Tresen plötzlich auch immun sind gegen Leidenschaft. Schon eher liegt das ausbleibende Anklagen daran, dass die drei Neu-Münchner alle von RB Leipzig kommen. Die Ultras der Traditionsvereine bringen dem vom Aufputschbrausenkonzern Red Bull alimentierten Start-up in etwa so viel Mitleid entgegen wie Dirty Harry den Verbrechern in den Straßen von San Francisco.

Als Mario Götze aus Dortmund an die Isar wechselte, verlor die Borussia einen Spieler, dessen Trikots seit der Kindheit immer schwarz-gelb gewesen waren. Kurz bevor der Ur-Schalker Manuel Neuer dem Werben des Rekordmeisters nachgab, spürten selbst die Münchner Ultras, dass im Biotop Bundesliga eine ungesunde Zwangstrennung vorgenommen werden sollte. Um den Transfer zu verhindern, hielten sie bei einem Pokalspiel gegen Schalke Zettel mit der Aufschrift "Koan Neuer!" in den Händen. Der gebürtige Grazer Sabitzer steht zwar auch schon seit sieben Jahren in Leipzig unter Vertrag. Aber als er nach der Jahrtausendwende ausgebildet wurde, beim Eisenbahnersportverein Admira Villach in Österreich, da spielte der SSV Markranstädt noch in der Landesliga Sachsen. Erst 2009 übernahm Red Bull das Startrecht des Fünftligisten und nutzte es als Gefäß für seine Expansion. In Leipzig gibt es also nur tadelloses Fußballhandwerk, aber keine heilige Tradition. Kann es aber deshalb kein Sakrileg geben?

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Ein Fortschritt für den gescholtenen Sportvorstand Salihamidzic

Einzeln betrachtet sind Upamecano, Sabitzer und Nagelsmann herausragende Könner auf ihren Positionen. Die für sie bezahlten Ablösen lassen sich aus Sicht der Bayern nicht nur sportlich, sondern auch kaufmännisch rechtfertigen, und es gibt darüber hinaus auch viele weitere rationale Gründe, lieber Spieler zu holen, die Land und Liga bereits kennen, statt solche, die sich erst daran gewöhnen müssen. Und ja, auch andere Bundesliga-Klubs bedienen sich bei kleineren Bundesliga-Klubs, aber beim FC Bayern häufen sich die Fälle, in denen sie den schärfsten Verfolger schwächen.

Denn das Phänomen gibt es ja nicht erst seit der Intervention gegen einen nachhaltigen Aufstieg der Dortmunder unter Trainer Jürgen Klopp. Als sich vor 20 Jahren Bayer Leverkusen anschickte, den Münchnern Konkurrenz zu machen, holten jene nacheinander Robert Kovac, Zé Roberto, Michael Ballack und Lucio. Und als 2004 Bremen Meister wurde, verpflichteten die Bayern Valérien Ismaël, Miroslav Klose und Tim Borowski. So richtig glücklich wurden Klose und Borowski bei Bayern nicht. Aber immerhin waren sie nicht mehr glücklich bei Werder.

Für den zuletzt für manche Back-up-Transfers gescholtenen Münchner Sportvorstand Hasan Salihamidzic ist die Option, einen gestandenen Profi wie den 27-jährigen Sabitzer verpflichten zu dürfen, zudem ein Fortschritt. Das Toptalent Tanguy Nianzou braucht wohl noch.

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