Italien:Tortenkirsche für die müden Europameister

Photo LaPresse - Fabio Ferrari September, 02 2021 Florence, Italy soccer Italy vs Bulgaria - Qatar World Cup Qualifiers

Zäher Arbeitstag für den Torjäger: Italiens Ciro Immobile (Mitte) beim 1:1 gegen Bulgarien.

(Foto: Fabio Ferrari/imago)

Vor dem Schlüsselspiel in der Schweiz bleibt Italien zwar zum 35. Mal in Serie ohne Niederlage, die Leistung gegen Bulgarien ist aber enttäuschend. Der neue Hoffnungsträger ist ein lange Verletzter mit schillerndem Privatleben: Nicolò Zaniolo.

Von Oliver Meiler

Der Lichtblick dauerte nur kurz, vielleicht zwei Sekunden, ein Zoom der Fernsehkamera auf einen Mann auf der Tribüne des längst baufälligen und denkmalgeschützten Stadions Artemio Franchi in Florenz. Im müden WM-Qualifikationsspiel der Italiener, immerhin Europas amtierende Meister, gegen das schwache und dauermauernde Bulgarien, holte der Sender Rai Uno in einer besonders langweiligen Phase Nicolò Zaniolo, 22, ins Bild, die Maske knapp unter der Nase - als wollte der Sender den Zuschauern die Zukunftshoffnungen versüßen.

Italien spielte schwach gegen Bulgarien

Man nennt Zaniolo auch "l'uomo in più" - der Mann, der den Unterschied macht. Die Kirsche auf der Torte. Zaniolo gilt als Fußball-Epochentalent. Hätte er nicht so viel herzzerreißendes Verletzungspech gehabt in seiner noch jungen Karriere, würde man sich in Europa neben Erling Haaland und Kylian Mbappé mittlerweile wohl auch seinen Namen gut merken können. Das finden sie wenigstens in Italien, in Rom sowieso, denn da spielt er im Alltag für die AS. Zaniolo war nach seinem zweiten Kreuzbandriss in kurzer Zeit gegen Bulgarien zum ersten Mal wieder in Italiens Aufgebot. Am Sonntagabend, beim Schlüsselspiel um Platz eins gegen die Schweiz in Basel, dürfte er dann auch zum Einsatz kommen.

Aber zunächst zu den verkaterten Europameistern. 54 Tage waren vergangen seit Wembley, seit dem EM-Finale gegen England, der memorablen Trikotzupferei von Giorgio Chiellini und dem Elfmeterschießen zum Titel, mit dem verdutzten Gesicht von Torhüter Gigio Donnarumma, der nicht so gut rechnen kann und sich seiner titelbringenden letzten Heldentat erst gewahr wurde, als sich die Kameraden auf ihn stürzten. An den römischen Zeitungsständen liegen noch die Sonderhefte dazu aus, 7,90 Euro kostet zum Beispiel der EM-Bildband der Repubblica: sehr bunt, alles drin.

Den ganzen Sommer über zehrten die Italiener von diesem Märchen, das ja auch zur Metapher wurde, zum Sinnbild fürs Wiederaufstehen des Landes nach den vielen Dramen der Pandemie. So meldeten sich die Spieler nun also zurück, wohlig gebettet in der Liebe der Leute - und ohne innere Anspannung.

Das Resultat: 1:1 gegen Bulgarien. Torschütze Federico Chiesa (16.) musste im Sturm mal wieder den Ausfall des Mittelstürmers kompensieren. Denn Ciro Immobile, der diese Rolle bei seinem Verein Lazio Rom mit erstaunlicher Treffsicherheit ausfüllt, stand zwar auch auf dem Platz. Aber es war, als wäre er nicht da.

Und so trotteten die Azzurri 90Minuten lang gen bulgarisches Tor, in langsamen Wellen, kaum je gefährlich. Den Gästen reichte ein schneller Konter für den Ausgleich (Iliev/39.). Torwart Donnarumma, der bei Paris, seinem neuen Arbeitgeber, nur zweite Wahl ist - "geparkt in Paris", wie die Italiener sagen -, reagierte recht angerostet auf das 1:1. Danach trotteten die Italiener wieder. "Wir hätten wahrscheinlich auch kein Tor mehr geschossen, wenn das Spiel 30Minuten länger gedauert hätte", sagte Trainer Roberto Mancini, mehr Einsicht war selten. Die Gazzetta dello Sport schrieb: "Kein Drama, um Gottes willen - aber strengt euch jetzt bitte wieder an, ragazzi!"

Immerhin: Nach dem Unentschieden gegen Bulgarien steht Mancinis Italien jetzt bei 35 Spielen ohne Niederlage in Serie, das ist zuvor nur Spanien und Brasilien gelungen. Verlöre man nun auch gegen die Schweiz nicht, wäre man in dieser Kategorie alleiniger Rekordhalter.

Zaniolo schafft es, Darling und Bad Boy in einem zu sein.

Und am Sonntag fällt vielleicht dem jungen Mann von der Tribüne in Florenz eine prominente Rolle zu: Nicolò Zaniolo, Sohn Igors, der selbst einst Stürmer in der Serie B und Serie C war, geboren im toskanischen Massa und aufgewachsen in La Spezia, ist ein offensiver Mittelfeldspieler mit ungeheuerlich wuchtigem Drang zum Tor: 1,90 Meter groß, 91 Kilo schwer, weniger als fünf Prozent Fett. Mit seiner imposanten Gestalt schirmt er den Ball so wirkungsvoll ab, wie man das bei Herrschaften seines Alters selten zu sehen kriegt - wie ein Dampfer, der alles verdrängt auf seinem Weg. Wenn Zaniolo zum Schnelllauf ansetzt, streckt er den Oberkörper durch, es sieht ein bisschen aus wie bei Tom Hanks als Forrest Gump.

Der legendäre Trainer Fabio Capello, sonst wahrlich kein Mann des Überschwangs, sagte einmal: "Ich habe mich in Zaniolo verliebt, der hat das Potenzial zum Ballon d'Or" - zum goldenen Ball für den Weltfußballer. Mancini berief ihn schon in die Nationalelf, da hatte Zaniolo noch kein einziges Spiel in der Serie A absolviert, das gab es so wohl noch nie. Fußballerisch wuchs Zaniolo beim FC Genua und AC Florenz auf. 2017 wechselte er zu Inter Mailand, wo man ihn aber nach nur einem Jahr in einer komplexen Transferoperation als Beigemüse an die Roma abgab: für nur 4,5 Millionen Euro.

Italy Training Session And Press Conference

Vor der Rückkehr ins Team von Europameister Italien: Nicolò Zaniolo, 22, von AS Rom.

(Foto: Claudio Villa/Getty Images)

Seinen Einstand bei den Großen gab er in der Champions League gegen Real Madrid, im Santiago Bernabéu, etwas für die Legendenbildung. Zaniolo war offensichtlich unbeeindruckt. Es heißt, sein Selbstvertrauen lebe von einer "gesunden Arroganz", was immer das bedeuten mag.

Nur seine Knie, die sind weich. Anfang 2020 rissen Bänder am rechten Knie, und kaum war er genesen, riss im Herbst das Kreuzband am linken. "Ich habe mich eine Woche in meine Wohnung geschlossen, das Handy ausgeschaltet und nur geheult", erzählte Zaniolo neulich, "ich war nahe dran, alles hinzuschmeißen" - mit 21 und einem verliebten Capello. Italien war bewegt, Zaniolo saß nun immer auf der Tribüne des römischen Olympiastadions mit abgelöschtem Blick, die Krücken neben sich. Leider stellte er sein Handy bald wieder ein - und ließ die Welt an Dingen teilnehmen, die diese gar nicht so genau wissen wollte.

Jeden Tag gab es auf Instagram eine Fülle von Selfies und Sprüchen, am meisten war die Rede von diesem: "Darf ich dich an 25 von 24 Stunden küssen?" Bedacht war damit ein rumänisches Fotomodell, viel älter als er. Nicolòs Mutter Francesca, die sich im Lichtkegel des Sohnes mit ihrer ganz eigenen Darstellungsneurose eine stattliche Gefolgschaft in sozialen Medien erpostet hat - eine halbe Million Follower -, ließ die Dame wissen, sie möge ihren Sohn bitteschön in Ruhe lassen. Worauf diese angab, sie habe den Sohnemann nur ein Mal gesehen.

Dann meldete sich die frühere Freundin und erzählte, sie sei schwanger, von Zaniolo, aber der kümmere sich nicht um sie. Stoff für eine Seifenoper also, in allen Klatschheften detailreich ausgeführt. Zwischendurch verliebte sich Zaniolo in eine Influencerin, die beiden ließen sich identische Herzchen auf die Haut stechen, für ihn war es das 17. Tattoo, unter anderem gab es da schon eine Madonna, einen Tiger, eine Schlange. Nach ein paar Wochen war die Romanze vorbei.

Zaniolo war plötzlich Darling und Bad Boy in einem. Der kleine Tommaso ist mittlerweile auf die Welt gekommen, auch auf Instagram, im Arm des Vaters. Zaniolo sagt, er sei gereift - ihm gefalle der Mann, zu dem er gerade werde. Schön, wenn man das so von sich sagen kann. Nun noch ein paar Tore für Italien, als falscher Neuner zum Beispiel, und die Story dreht sich zum Happy End.

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