Nordirland:"Würstchenkrieg" vorerst abgewendet

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Kommen Wurst- und Fleischwaren weiterhin nach Nordirland? Ein Grenzübergang in Newry. (Foto: Charles McQuillan/Getty Images)

Im Streit über Brexit-Regeln in Nordirland verlängert die britische Regierung sogenannte Gnadenfristen. Brüssel reagiert gelassen. Die Zeichen stehen auf Deeskalation.

Von Alexander Mühlauer, London

Der Daily Telegraph war voll des Lobes. Im Streit über die Brexit-Regeln für Nordirland habe Boris Johnson der EU ein "bedeutendes Zugeständnis" abgerungen, schrieb die Zeitung am Dienstag. Der britische Premierminister habe es geschafft, einen "Würstchenkrieg" mit Brüssel zu verhindern, hieß es nicht ohne Stolz auf der Titelseite. Der Telegraph ist eben ein Blatt, das nicht nur Johnson, sondern auch dem Brexit durchaus zugeneigt ist. Und so kann man davon ausgehen, dass die Verfechter des EU-Austritts im Vereinigten Königreich einmal mehr recht zufrieden sein dürften.

In der Tat ging es im Streit zwischen London und Brüssel zuletzt um die Wurst. Ende September wäre eine sogenannte Gnadenfrist ausgelaufen, sodass gekühlte Fleisch- und Wurstwaren nicht mehr von Großbritannien nach Nordirland hätten geliefert werden dürfen. Betroffen wären davon auch die bangers gewesen, also jene Würstchen, die im Vereinigten Königreich gerne zum Frühstück gegessen werden. Doch am Montagabend teilte Brexit-Minister Lord David Frost mit, dass die Regierung die Anwendung von eigentlich vereinbarten Regeln weiter aufschieben werde, darunter auch die Gnadenfristen.

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In einer Stellungnahme an das britische Oberhaus schrieb Frost, dass dies den Unternehmen "Sicherheit und Stabilität" geben soll. Die Entscheidung schaffe zudem "Raum für mögliche weitere Diskussionen" mit der EU. Ziel sei es, einen "konstruktiven Prozess" zu erarbeiten, um Probleme anzugehen, die man im sogenannten Nordirland-Protokoll identifiziert habe. Dieses ist Teil des Austrittsvertrags, den Brüssel und London geschlossen haben.

Man will nun praktische Lösungen finden

Die Reaktion der EU kam prompt. Es handle sich um ein internationales Abkommen, dem alle Seiten rechtlich verpflichtet seien, hieß es in einer Stellungnahme der Europäischen Kommission. Weitere rechtliche Schritte wolle man aber vorerst nicht einleiten. Auch ein bereits laufendes Vertragsverletzungsverfahren solle vorerst nicht weiter betrieben werden. Es gehe nun darum, praktische Lösungen zu finden. Eine von London geforderte Neuverhandlung der Vereinbarung schloss die EU-Kommission erneut aus.

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Anders als in früheren Fällen wurde Brüssel von der britischen Regierung diesmal vorab über die Ankündigung informiert. Das erklärt einerseits die doch recht gelassene Reaktion der EU-Kommission. Andererseits ändert es nichts daran, dass Johnson weiter das fordert, was er bereits Ende Juli in einem sogenannten Command Paper formuliert hatte. Auf 28 Seiten legte die britische Regierung dar, warum die Brexit-Regeln für Nordirland aus ihrer Sicht nicht tragbar sind.

Kern des Streits mit der EU ist die Tatsache, dass sich Nordirland trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften halten muss. So soll verhindert werden, dass es zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland eine "harte Grenze" gibt, an der Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Daraus folgt allerdings, dass wiederum Warenlieferungen aus England, Wales und Schottland nach Nordirland überprüft werden müssen.

Johnson wollte eine "Periode des Stillstands"

Brexit-Minister Frost erklärte bereits im Juli, dass die britische Regierung versucht habe, das Protokoll umzusetzen, aber es sei klar geworden, dass dies zu erheblichen und andauernden Beeinträchtigungen in Nordirland geführt habe. Aus Londoner Sicht wäre die britische Regierung sogar dazu berechtigt, die Vereinbarungen ganz auszusetzen.

Da London den Streit mit Brüssel - jedenfalls bis dato - nicht auf die Spitze treiben will, hatte Johnson im Juli eine "Periode des Stillstands" vorgeschlagen, in der bislang geltende Übergangsfristen verlängert und rechtliche Streitigkeiten auf Eis gelegt werden sollten. Genau darauf haben sich beide Parteien nun de facto verständigt. Es wird also weiterverhandelt, auch über Würstchen.

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