Geldpolitik:Das Dilemma der EZB

Benzinpreis-Anzeige an einer Tankstelle von Mundorf Tank. Durch die dritte CO2-Steuer f¸r Autofahrer ist das Tanken in D

Die Benzinpreise sind zuletzt deutlich angestiegen, das treibt die Inflation.

(Foto: Christoph Hardt/imago/Bearbeitung SZ)

Viele Menschen blicken mit Sorge auf die steigende Inflation. Die Europäische Zentralbank ändert ihren Kurs, allerdings nur minimal.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Europäische Zentralbank wird den monatlichen Umfang ihrer Anleihekäufe zurückfahren. "Das ist keine Reduktion, sondern eine Neujustierung", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag. Zuletzt erwarb die Notenbank Anleihen im Wert von rund 80 Milliarden Euro pro Monat. Künftig solle das Volumen "maßvoll weniger" werden, so der Beschluss des EZB-Rats. Am Gesamtumfang des 1,85 Billionen Euro teuren Hilfsprogramms zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie ändert sich nichts. Dieses Programm soll bis mindestens März 2022 fortgeführt werden. Durch den Ankauf der Schuldscheine senkt die Notenbank das Zinsniveau der Gesamtwirtschaft. So steigt der Anreiz zu investieren. Die EZB erwartet in diesem Jahr ein Wachstum in der Eurozone von fünf Prozent.

Die lockere Geldpolitik der EZB steht im Konflikt mit den steigenden Inflationsraten. In der Eurozone sind die Verbraucherpreise im August mit drei Prozent so stark gestiegen wie seit 2011 nicht mehr. In Deutschland hat die Inflation den höchsten Stand seit fast 28 Jahren erreicht. Waren und Dienstleistungen waren im August durchschnittlich 3,9 Prozent teurer als im Vorjahresmonat. Zum Vergleich: Im Juni 2021 hatte die Inflationsrate noch bei 2,3 Prozent gelegen, im Dezember 2020 waren die Preise im Durchschnitt sogar noch gefallen.

Die Bundesbank erwartet, dass die Inflationsrate hierzulande in diesem Jahr noch bis auf fünf Prozent klettern könnte. Noch eklatanter ist der Preisschub in den USA: Dort haben die Verbraucherpreise zuletzt um 5,4 Prozent zugelegt. Lagarde geht bislang davon aus, dass sich die Verbraucherpreise im nächsten Jahr normalisieren werden. Für 2021 rechnen die Währungshüter mit einer Inflationsrate von 2,2 Prozent.

Die Zinsen sind niedrig, die Verschuldung weltweit so hoch wie nie

Die EZB und die US-Notenbank Fed streben mittelfristig eine Inflationsrate von zwei Prozent an. Beide Institutionen haben jüngst beschlossen, zeitweise auch höhere Teuerungsraten zu akzeptieren. Mit dieser Entscheidung konnten die Notenbanker mehr Spielraum gewinnen, um die lockere Geldpolitik länger fortzusetzen. Einige Mitgliedsstaaten der Euro-Zone können ihre Haushaltsdefizite nur finanzieren, wenn die Zinsen nahe null Prozent bleiben. Auch die Unternehmen in Europa und den USA haben sich an günstige Refinanzierungsbedingungen gewöhnt. Die Verschuldung ist indes weltweit so hoch wie nie.

FILE PHOTO: President of European Central Bank (ECB) Christine Lagarde at the IUCN World Congress of Nature in Marseille

Christine Lagarde ist seit dem 1. November 2019 Präsidentin der Europäischen Zentralbank und die erste Frau, die dieses Amt ausübt.

(Foto: POOL/REUTERS)

Die steigenden Preise sind ein Alarmsignal. Gleichzeitig fürchten EZB und amerikanische Federal Reserve ein Beben an den Börsen, wenn sie ihre Hilfen zu abrupt verringern. Der Ausstieg gelingt also nur mit zeitlichem Vorlauf, und er muss geschickt kommuniziert werden. Die Gefahr: Wenn Notenbanker zu hohe Inflationsraten durchgehen lassen, verlieren sie Vertrauen.

"Der EZB-Rat muss beweisen, dass er das Ziel der Preisstabilität notfalls auch gegen die Interessen der nationalen Finanzminister verfolgt. Insofern müssen dem ersten Trippelschritt in den kommenden Monaten weitere klare Ansagen für einen Exit aus der Krisenpolitik folgen", fordert ZEW-Ökonom Friedrich Heinemann.

Die Finanzwelt hat sich an die lockere Geldpolitik gewöhnt

Doch der "Exit" ist schwer. Die Finanzwelt hat sich in den vergangenen zwölf Jahren an die lockere Geldpolitik gewöhnt. Nach Ausbruch der globalen Finanzkrise begann die EZB bereits ab 2009 mit dem milliardenhohen Ankauf von Pfandbriefen. Ein Jahr später folgte der Erwerb von Staatsanleihen finanzschwacher Staaten wie Italien und Griechenland. Es war die Zeit der Euro-Staatsschuldenkrise. An den Börsen liefen Finanzwetten auf einen Zusammenbruch der Währungsunion. Erst Draghis "Whatever it takes"-Versprechen beendete 2012 den Spuk. Die Notenbank senkte in der Folge den Leitzins auf null Prozent, später erhoben die Währungshüter erstmals auch einen Negativzins auf Bankeinlagen.

Mit dem sogenannten APP-Programm stieg die Notenbank 2015 ganz groß ein in die Finanzmärkte. Bis 2020 kaufte die EZB Anleihen im Wert von rund 2,5 Billionen Euro. Das APP-Programm läuft bis zum heutigen Tag. Monatlich fließen 20 Milliarden Euro in den Markt. Sobald Anleihen fällig werden, nimmt die Notenbank das Geld, um weitere Schuldscheine zu kaufen. Es fließt also ständig Kapital nach, selbst wenn das 1,85 Billionen Euro teure Corona-Notprogramm wie geplant im März enden sollte.

Wie geht es weiter? Das hängt von der Inflation ab. Bislang gehen die Notenbanker davon aus, dass der Inflationsschub im nächsten Jahr abklingen wird. Weil Teuerungsraten auf Jahresbasis verglichen werden, schlägt der massive Preisverfall des Vorjahres, ausgelöst durch die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie, rechnerisch jetzt stark durch. Es gibt weitere Sonderfaktoren: In Deutschland sind die Mehrwertsteuersätze zum Jahreswechsel wieder auf das übliche Vor-Corona-Niveau angehoben worden. Auch die Energiepreise zogen stark an, weil seit Anfang 2021 eine CO₂-Abgabe von 25 Euro je Tonne ausgestoßenem Kohlendioxid fällig wird.

Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Inflationsraten langfristig steigen, vor allem wenn die Produktionsengpässe in einigen Sektoren zu immer höheren Preisen führen. Diese Mehrkosten werden weitergereicht und erreichen die Gesamtwirtschaft. Inflationsrisiken lauern auch anderswo. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnt in einer aktuellen Studie: Naturkatastrophen hätten sich zwischen 1996 und 2021 auf die Inflationsrate ausgewirkt. Vor allem bei Nahrungsmitteln sähe man starke Preiseffekte, ausgelöst durch immer häufigere Naturkatastrophen, die Ernten zerstörten und die Wasserversorgung unterbrächen.

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