Julian Nagelsmann beim FC Bayern:Sein Werk beginnt gerade erst

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Julian Nagelsmann mit Thomas Müller: Zwei echte Oberbayern, aber einer ist neu in München. (Foto: Andreas Gebert/Reuters)

Nach zwei Monaten als Bayern-Trainer stehen für den Coach der Münchner die ersten Rampenlicht-Spiele an, in Leipzig und in Barcelona. Noch zeigen sich seine Anpassungen nur in Nuancen - aber die Detailarbeit kommt gut an.

Von Sebastian Fischer

Ein rotbrauner Blouson, das war bisher wohl das auffälligste, das Julian Nagelsmann beim FC Bayern an einem Spieltag trug. Im Supercup schlugen die Münchner Dortmund, hinterher gab es die ersten Bilder des neuen Trainers mit einem Pokal. Auf den Anblick ist er selbst zu sprechen gekommen, wenn auch nicht in Bezug auf seine Kleidung. "Ich habe ja so kleine Hamsterzähne und will ein Titelhamster werden", sagte er.

Nagelsmanns Outfits sind schon lange ein beliebtes Boulevard-Thema. Den roten Mantel, den er einst beim Besuch eines Bayern-Spiels als Coach der TSG Hoffenheim anhatte, versteigerte er für 1560 Euro. Manche Sakkos, die er bei RB Leipzig vorführte, waren mindestens mutig kariert. Als er in diesem Sommer bei den Bayern begann, schrieb die Bild: "Nagelsmann startet im Herz-Ass-Hemd". Nach einem Lederhosen-Fotoshooting befand der Oberbayer, Tracht stehe ihm gut. Das war es dann aber auch vorerst.

In den kommenden Tagen wird er erstmals als Bayern-Trainer so richtig im Rampenlicht sein. An diesem Samstag steht die Begegnung mit RB Leipzig an, mit ihm treffen auch die Neu-Münchner Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer auf ihren Ex-Klub. Drei Tage später folgt der erste Champions-League-Spieltag beim FC Barcelona. Und es wäre etwas überraschend, wenn der Trainer sich zu diesem Anlass entschiede, einen der besonders gewagten Anzüge aus seinem Schrank zu holen. Es würde jedenfalls eher nicht zu seinem Start in München passen.

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Gegen Leipzig sind zwei Franzosen nach Verletzungen wieder dabei, zwei weitere fallen aus - Coach Nagelsmann wehrt sich gegen die Bezeichnung "Lügenbaron". Bei 1860 gibt es gute Nachrichten um den Trainer.

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Julian Nagelsmann ist erst 34, aber im deutschen Fußball ist er nun schon seit mehr als einem halben Jahrzehnt das größte Trainertalent. Im Grunde ging es seit seinem Bundesliga-Debüt 2016 darum, wann er der nächste Bayern-Trainer wird. Nun ist er seit rund zwei Monaten da, als teuerster Trainer der Bundesliga-Geschichte, bei seinem erklärten Lieblingsklub. Für ein Zwischenfazit ist es nach drei Siegen aus vier Pflichtspielen noch zu früh. Aber es deutet sich schon an, dass er etwas anders auftreten will als zuvor.

Er werde nicht siebenmal im Spiel die Grundordnung wechseln, versicherte Nagelsmann

In seiner Vorstellungspressekonferenz betonte er, "nicht 90 Minuten wie Rumpelstilzchen an der Linie" zu hampeln, auch wenn er sich natürlich nicht komplett ändern könne. Und er sagte: "Es wird nicht so sein, dass ich wie zum Beginn meiner Karriere siebenmal im Spiel die Grundordnung wechsle."

Sein Vorgänger Hansi Flick hatte im Herbst 2019 eine verunsicherte Mannschaft übernommen, als eine seiner ersten Amtshandlungen etablierte er eine Achse aus Stammspielern, die womöglich irgendwann in Wachs im deutschen Fußballmuseum ausgestellt werden wird. Was mal als Nagelsmanns Werk beim FC Bayern gelten wird, das ist noch unbekannt. Aber es wird eher nichts sein, das er sofort mit Amtseintritt verändert hat. In Leipzig hatte er recht schnell einen Stilwechsel initiiert, mehr Ballbesitz statt reiner Konterlehre. Seit seiner Ankunft in München betonte er oft, er übernehme ein funktionierendes Team, das vor ihm alle Titel gewann. Er werde "nicht alles auf den Kopf stellen".

Nagelsmanns Einfluss zeigt sich bisher eher an Nuancen. Manchmal wechselt er die Grundordnung natürlich schon. Und sein Training galt immer als fordernd und kreativ, das ist auch in München so. Joshua Kimmich erklärte just im Vereinsmagazin, dass er bei einer öffentlichen Einheit, als man ihn schimpfen hörte, ein Positionsspiel nicht verstanden hatte. "Mir hat sich der Sinn dieser Übung nicht ganz erschlossen. Da hab ich den Trainer danach auch gefragt." Nagelsmann habe ihm "alles erklärt, dann gab es nichts mehr zu meckern für mich".

Wohlfühlfaktor: Trainer Nagelsmann verteidigte Leroy Sané gegen den Unmut einiger Fans, er versetzte ihn auch auf eine angenehmere Position. (Foto: Markus Ulmer/imago images/ULMER Pressebildage)

Kimmichs Positionierung auf dem Feld ist ein Beispiel für eine Veränderung. Er und Leon Goretzka bilden keine klassische Doppelsechs, sondern spielen eher versetzt, Goretzka meist offensiver, um sich bei eigenem Ballbesitz schon weiter vorne dafür zu positionieren, bei Ballverlust ins Gegenpressing zu gehen. Nagelsmann berichtete vom Videostudium im Hotel. Für intensive Trainingsarbeit bot der Terminkalender bislang noch gar keine Zeit.

Noch ein Beispiel für Nagelsmanns Detailarbeit ist der Umgang mit Leroy Sané, der nach einer schwachen Leistung gegen den 1. FC Köln mal wieder im Fokus stand, weil einige Fans ihn auspfiffen. Der Trainer verteidigte ihn, sprach mit ihm, vor allem setzte er ihn danach auf einer anderen Position ein, auf dem linken statt auf dem rechten Flügel. "Da hat er ein bisschen mehr Tiefe und hat das Spiel vor sich", erklärte Nagelsmann. "Da fühlt er sich wohler." Auf der linken Seite überzeugte Sané nun auch im Nationalteam.

In der vergangenen Spielzeit war manchmal davon die Rede, dass der Austausch zwischen Profis und Nachwuchsabteilung besser sein könnte. Unter Nagelsmann, heißt es, laufen die Absprachen bislang sehr gut. In Verteidiger Josip Stanisic, 21, hat sich in der holprigen Saisonvorbereitung ein Nachwuchsspieler bei den Profis etabliert - etwas, das Vorstandschef Oliver Kahn ausdrücklich als Ziel formuliert hat. Auch Ehrenpräsident Uli Hoeneß hat sich neulich bei RTL entsprechend zu Wort gemeldet. Nagelsmann sei "der Trainer, der für die jetzige Zeit genau der Richtige ist". Der FC Bayern brauche "einen Mann wie ihn, der noch Ziele hat, der noch nicht viel gewonnen hat, der eine Aufbruchsstimmung erzeugt und der vor allen Dingen mit jungen Leuten arbeiten kann."

"Wir brauchten einen Spieler für das System vom Trainer", sagte Salihamidzic über den Sabitzer-Transfer

Die wichtigste Prüfung, die Nagelsmann bestanden hat, war es wohl, demütig durch eine komplizierte Transferperiode zu kommen. Immer wieder hat er betont, dass der Verein in Fragen der Kaderplanung "den Hut auf" habe, trotz des kleinen Kaders. Es wirkte wie ein bewusster Gegensatz zum Streit zwischen Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic während der Vorsaison.

Am Ende hat der Trainer seinen Wunschspieler, Sabitzer, bekommen. Als der Österreicher am Donnerstag offiziell präsentiert wurde, betonte Salihamidzic, dass es bei dem Transfer auch um die gute Beziehung zwischen dem Trainer und seinem ehemaligen Kapitän in Leipzig ging. Salihamidzic sagte: "Wir brauchten einen Spieler für das System vom Trainer."

Ob und wann Nagelsmann das System in München nachhaltig verändern wird? Wie oft man die Grundordnung mit Dreierkette sehen wird, die er in Leipzig präferierte? Ob Sabitzer das Stamm-Mittelfeld durcheinanderwirbelt oder eine Ergänzung bleibt? Wie der Trainer die Abwehr besetzt, den einzigen im Sommer runderneuerten Mannschaftsteil, da nun auch die bislang verletzten Franzosen Benjamin Pavard und Lucas Hernández zurückkehren? Ob die Defensive dann stabiler wird als im Vorjahr, was Nagelsmann sich vorgenommen hat? Das sind ein paar Fragen für die kommenden Wochen und Monate.

Nun geht es erst mal um zwei Spiele im Rampenlicht. Und was das erste angeht, klang Nagelsmann in der Pressekonferenz am Freitag ziemlich forsch. Er wehrte sich dagegen, als "Lügenbaron" bezeichnet zu werden, weil er angekündigt hatte, niemanden aus Leipzig mit nach München nehmen zu wollen, und es nun doch drei Assistenztrainer wurden und neben Upamecano noch Sabitzer kam. "In der Situation" sei das die Wahrheit gewesen. Und zu möglichen Pfiffen der erwarteten 34 000 Zuschauer ob seiner Rückkehr, sagte er: "Ich zittere jetzt nicht." Seine "Performance" würde das sicher nicht beeinflussen.

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