Pro Sieben:Journalistische Schwerathletik

TV-Sendung 'Zervakis & Opdenhövel. Live.'

Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel reden in ihrer neuen Sendung auf Pro Sieben erst über Afghanistan. Dann über Bier.

(Foto: Bene Mueller/dpa)

Eine afghanische Exilantin, Bier-Tasting mit James Blunt, die Tränen von Ahrweiler - die neue Show "Zervakis & Opdenhövel. Live." überzeugt trotz irrer inhaltlicher Schluchten.

TV-Kritik von Marlene Knobloch

Die Technik ist langsamer als Linda Zervakis' Erleichterung, als das erste Thema geschafft ist. "Oah", hört man die Moderatorin durch das noch laut gestellte Mikrofon schnaufen, während sich das Studio verdunkelt und der nächste Einspieler auf den Bildschirmen aufleuchtet. Mit dem Satz "Wer soll unser Land regieren?" wuchtete sie die Show aus den Schicksalstiefen der verfolgten afghanischen Sängerin Aryana Sayeed zu einer Taxifahrt mit Wolfgang Kubicki und der kommenden Bundestagswahl.

Ein Moderationskraftakt für Schwergewichtler, der nicht ohne Scheppern über die Bühne ging. Was auch an der thematischen Fallhöhe und der vorherigen Gesprächsintensität liegt. Mutig, mit der Unterdrückung der Frauen durch die Taliban einzusteigen. In einem Format, das "eine Mischung aus Information und Unterhaltung" sein soll. Und mutig, wenn man weiß, dass man gleich Bierkrüge mit James Blunt heben soll.

Das Experiment klingt waghalsig und selbstbewusst: In direkter Konkurrenz zu Frank Plasbergs Hart aber fair im Ersten moderieren jetzt jeden Montag auf Pro Sieben die ehemalige Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel zwei Stunden lang eine Sendung, die "informativ unterhalten" soll, wie Senderchef Daniel Rosemann erklärte.

Pro Sieben folgt damit dem Trend der privaten Sender, sich gestandene Instanzen der Seriosität einzukaufen und mit ihnen an neuen Formaten zu experimentieren. RTL etwa warb Pinar Atalay und Jan Hofer ab, um mit ihnen neue Nachrichtenkonzepte zu entwickeln. Opdenhövels und Zervakis' Show ist als "Infotainment" klassifiziert - ein Label, das geschickt unklar zwischen Böhmermann, Joko Winterscheidt und Maischberger flaniert.

Mit dem Willen zur Zurückhaltung

Das Design jedenfalls strahlt den Willen zur Zurückhaltung aus, pastellrosa- und türkisfarbene Serifenschrift, weit weg von den fiebrigen Großbuchstaben, die Pro Sieben sonst gern an den Bildschirm klatscht. Dazu Zervakis locker-leger im dunkelgrauen Hosenanzug mit weißen Pumps, Opdenhövel in dunklem T-Shirt und Jackett. Stylingtechnisch gelingt die Gratwanderung zwischen Ernst und Spaß.

In ihrer letzten Sendung stand Zervakis in einem eleganten, roten Blazer im Tagesschau-Studio, 15 Minuten, jede davon an die vorgeschriebene Moderation gebunden. Seit 2013 war sie dort Sprecherin, eine prestigeträchtige Position, die sie freiwillig aufgab. Angeblich habe sie bei den Öffentlichen ein eigenes Sendungskonzept eingereicht, auf das sie nie eine Antwort bekommen habe. Was auch immer sie zu dem Schritt ins Privatfernsehen bewogen hat - die neue Sendung kann man mit der Anerkennung betrachten, dass hier zwei etwas Neues probieren, mit dem Medium spielen: Was kann journalistisches Fernsehen denn noch außer Nachrichten, Maischberger oder Böhmermann?

Die Gästewahl beeindruckt schon mal: Der afghanische Pop-Star Aryana Sayeed sitzt im Studio und berichtet von ihrer Flucht nach der Machtübernahme der Taliban. Ihre Geschichte erzählt der Film zuvor angemessen packend, ohne viel Schmiermittel, das ja zur Genüge im Keller des Privatsenders lagert (Geigen, Zeitlupe, Kelly Clarkson). Man sieht Sayeed in schusssicherer Weste, die sie trägt, nachdem Geistliche in Afghanistan eine Fatwa über sie verhängt haben. Man sieht Originalaufnahmen vom Flughafen, man sieht die verhüllten Frauen in Vorlesesälen. Neben ihr ist die Journalistin und Autorin Düzen Tekkal zu Gast, die in Bezug auf die Zukunft der afghanischen Frauen glasklare Sätze sagt wie: "Die UN-Geberkonferenz bringt gar nichts."

Mehr als zehn Minuten nehmen sich Opdenhövel und Zervakis für die beiden Frauen, das Gespräch ist aufrichtig und tatsächlich, wie es der Teaser versprach: nah dran am Menschen.

Im Taxi mit Kubicki

Es folgt das Format "Road 2 Vote", in dem der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki oder SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil im Taxi sitzen, während Wähler wie Angelika oder Herr Borchert (Kubicki: "Das kann ich mir merken, da war ich gestern essen") über Politik diskutieren beziehungsweise granteln dürfen. Die herbstlichen Alleen Berlins ziehen am Taxifenster vorbei, die Gespräche wirken ohne Studiolicht authentisch, auch wenn es mehr um rotzige Statements als um Austausch geht. Kubicki fällt auf der Rückbank das Superlativ-Urteil "Das ist der schlechteste Außenminister, den wir je hatten", und alle sind sich einig, dass das meiste schiefläuft.

Aber da wäre ja noch die Sache mit dem "-tainment". Der britische Popsänger James Blunt ist offensichtlich Gesandter der Unterhaltung. Zunächst gelingt die Kunst des geistreichen Smalltalks, als James Blunt den deutschen Brexit-Finger abwehrt: Nein, nein, die Briten seien nicht aufs deutsche Bier angewiesen. Leider folgt danach der obligatorische Niveau-Taucher. Die drei verlassen das Studiorund auf eine zur bayerischen Bierhalle geschmückten Nebenbühne zum Bier-Tasting.

Die ehemalige Nachrichtensprecherin Zervakis lacht, nippt und schmeckt, ohne an Natürlichkeit einzubüßen. Dieses Genre-Gezwinker Richtung Joko und Klaas hätte man ertragen, wäre nicht noch die Irrsinnsaktion gefolgt, James Blunt gegen Matthias Opdenhövel im Maßkrughalten antreten zu lassen. Beide können das recht gut. Beide können das recht lang. Blunt verleibt sich aus Langeweile die Dekowurst ein. Von der Pointe fehlt auch nach mehreren Minuten jede Spur.

Im letzten Block zeigt sich wieder die Stärke des Moderatorenduos. Das Thema besticht zwar nicht unbedingt durch Originalität - zu Gast ist eine Familie aus Ahrweiler, die alles verloren hat -, dafür gelingt es den beiden Gastgebern ohne Reality-Gier und Privatfernsehen-Voyeurismus, das Paar so zu interviewen, dass es detailliert und spannend die schreckliche Flutnacht rekonstruiert. Im Gegensatz zum einführenden Film, der scharf an der Träne-komm-raus-Grenze schrammt, etwa wenn die Kamera im Pro-Sieben-Reflex auf die zusammengepressten Augen der weinenden Mutter zoomt.

Als am Ende Opdenhövel automatenhaft die Moderationsfloskel ausspuckt, "oh, so schnell sind zwei Stunden vorbei", entfährt Zervakis ein tiefironisches "Haha". Für niemanden verging diese Schluchtenwanderung "schnell". Schaut man aber auf die Experiment-Bilanz der Öffentlich-Rechtlichen, kann man (Anfängerbonus eingerechnet) der Show nur zum Mut gratulieren. Man kann sich auf die Luft von oben freuen, die in leichten Brisen bereits um die Nase wehte. Und man kann angesichts der enorm unterhaltungstalentierten Linda Zervakis leise Richtung ARD nuscheln: Die habt ihr gehen lassen?

Zervakis & Opdenhövel. Live, Pro Sieben, montags, 20.15 Uhr

Pro Sieben: Marlene Knobloch ist freie, streamende Autorin, träumt aber von Fernsehern in Küche und Schlafzimmer. Jeden Sonntag könnte sie dann linear zu den Kommen-Sie-gut-in-die-Woche-Wünschen der Nachtmagazin-Moderatoren mit Tausenden Zuschauern in Deutschland wegdösen. Bis dahin schaut sie beim Kartoffelschälen alte Harald-Schmidt-Folgen auf ihrem Laptop.

Marlene Knobloch ist freie, streamende Autorin, träumt aber von Fernsehern in Küche und Schlafzimmer. Jeden Sonntag könnte sie dann linear zu den Kommen-Sie-gut-in-die-Woche-Wünschen der Nachtmagazin-Moderatoren mit Tausenden Zuschauern in Deutschland wegdösen. Bis dahin schaut sie beim Kartoffelschälen alte Harald-Schmidt-Folgen auf ihrem Laptop.

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