Kommentar:Der Markt regelt es - aber schlecht

Die Lösung für den Fachkräftemangel wäre staatliches Eingreifen auf allen Ebenen. Statt einen Flickerlteppich aus Zulagen und Ballungsraumboni zu schaffen, müssten in manchen Berufen die Löhne insgesamt steigen - und die Mieten sinken

Von Wieland Bögel

Auch wenn er persönlich nicht antritt, werden seine Verdienste im laufenden Bundestagswahlkampf von einigen sehr gerühmt: der Markt. Denn der regelt das. Was? Einfach alles. Wie das konkret aussieht, wenn der Markt alles regelt, sieht man gerade in Kirchseeon. Die Marktgemeinde hat ein echtes Problem die Kitas voll zu bekommen. Also nicht mit Kindern, die gibt es zur Genüge, nur ist halt niemand verfügbar, um die Betreuung zu gewährleisten. Warum? Der Markt eben.

Der sorgt dafür, dass Kommunen einerseits zu wenig für bezahlbaren Wohnraum tun - schließlich kostet dies Geld. Andererseits lockt der Markt auch viele junge Familien aufs ehemalige Land, wie etwa nach Kirchseeon, weil dort Wohnraum immer noch etwas günstiger ist, als in der Stadt. Aber eben nicht so günstig, dass man sich dort mit dem Gehalt einer Erzieherin im Kindergarten besonders viel leisten kann. Zumindest nicht, wenn man auch am Ort arbeitet. Aber auch hier hat der Markt eine Lösung: Die Kommunen müssen eben aktiv um Fachkräfte werben, etwa indem sie Zuschüsse für Kita- und anderes Personal zahlen, was die Landeshauptstadt beispielsweise ja bereits tut. Auch wird die sogenannte Arbeitsmarktzulage bereits in einigen Kommunen des Landkreises und von diesem selbst für die Beschäftigten gezahlt. Damit, so könnte man meinen, wäre ja durch Mechanismen des Marktes alles geregelt - nur, dass diese eben in diesem Fall eine Preisspirale in Gang setzen: Wenn München eine neue Zulage einführt, müssen als nächstes die stadtnahem Gemeinden folgen, wollen sie ihre Fachkräfte halten. Dann müssen die weiter entfernten Nachbargemeinden aus dem selben Grund nachziehen, woraufhin die Münchner ihre Zulagen wieder erhöhen müssen und so weiter und so fort. Für eine gewisse Zeit mag dies auch funktionieren, mittel- bis langfristig werden die Kommunen aber in einen ruinösen Wettbewerb einsteigen. Wer keine lukrativen Einnahmequellen - etwa durch prosperierende Gewerbegebiete - hat, wird irgendwann vor der Frage stehen, wie sich elementare Aufgaben, seien es Verwaltung oder Kinderbetreuung, noch bewerkstelligen lassen.

Die Lösung wäre staatliches Eingreifen auf allen Ebenen. Statt einen Flickerlteppich aus Zulagen und Ballungsraumboni zu schaffen, müssten in manchen Berufen die Löhne insgesamt steigen. Sinken müssten dagegen die Mieten, am besten durch ein Bauprogramm mit dem Ziel, bezahlbaren Wohnraum dauerhaft zu sichern, indem die Häuser im Besitz der öffentlichen Hand oder Genossenschaften bleiben - auch wenn der Markt das gar nicht gerne hört.

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