Volleyball:Genießen, bitte!

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Stark im Aufschlag und Außenangriff: Moritz Karlitzek (Mitte). (Foto: Roman Koksarov/dpa)

Die deutschen Volleyballer haben im EM-Viertelfinale eine schwere, aber nicht unlösbare Aufgabe vor sich: Italien, die Heimat ihres Bundestrainers Andrea Giani. Sein Wissen könnte zu ihrem entscheidenden Vorteil werden.

Von Sebastian Winter

Dass Ostrava nicht gerade eine städtebauliche Perle ist, haben die deutschen Volleyballer längst bemerkt, als sie nach der Gruppenphase der Vier-Länder-Europameisterschaft Ende vergangener Woche aus Tallinn nach Tschechien umgezogen sind für die nächsten Spiele. Ihre wenige freie Zeit verbringen sie nun eher auf der Hotelterrasse als beim Bummel durch die Stadt an der Grenze zu Polen, die jahrzehntelang das Zentrum der tschechischen Schwermetallindustrie war. In der Vorrunde (nur eine Niederlage gegen Olympiasieger Frankreich) waren die Deutschen noch mit E-Scootern durch die hübsche Altstadt der estnischen Hauptstadt gerollt.

Die Roller sind nun obsolet, die DVV-Auswahl wohnt in Ostrava fußläufig gerade mal eine Minute von der Halle entfernt, in der sie am Sonntagabend Bulgarien im EM-Achtelfinale nach einer nicht gerade tadellosen Leistung mit 3:1 bezwungen hatte. Am Montag stand noch leichtes Krafttraining, Stretching und abends eine Balleinheit auf dem Programm, am Dienstag versuchte Bundestrainer Andrea Giani, seinen Spielern den nächsten Gegner per Videoanalyse schmackhaft zu machen: Italien, ausgerechnet.

Keine andere Nation kennt Giani - der Neapolitaner, mit 474 Länderspielen Rekordnationalspieler seines Landes und im Zweitjob Coach von Pallavolo Modena in der Serie A - besser als diese. Alle drei WM-Titel, die Italiens Volleyballer errungen haben, hat der 51-Jährige als prägende Figur auf dem Feld mitgetragen, 1990, 1994 und 1998, außerdem hat er mit seiner Auswahl vier von insgesamt sechs EM-Titeln gewonnen. "Ich freue mich sehr darauf", sagte Giani vor der Partie am Mittwoch, und ergänzte: "Ich kenne die Spieler und das Betreuerteam sehr gut."

Giani weiß nicht nur ungefähr, welches Schwergewicht da auf die DVV-Männer wartet in der Runde der letzten Acht. Ganze zwei Sätze hat Italien bislang im Turnier verloren, im Achtelfinale fegte es Lettland mit 3:0 förmlich vom Feld. Die deutsche Auswahl geht daher als Außenseiter in dieses Duell; auch wenn Italien sehr jugendlich daherkommt bei dieser EM, beispielsweise mit zwei U-20-Außenangreifern; und auch wenn die glorreichen Zeiten schon eine Weile zurückliegen. Den letzten EM-Titel errangen die Italiener im Jahr 2005. "Es wird wichtig, dass wir dieses Spiel genießen können und ohne Druck und zu viele Gedanken hineingehen. Dann können wir es nutzen, um unser Spiel auf ein neues Level zu heben", sagt Giani.

Der Generationswechsel muss dennoch kommen, die Zeit nach Grozer, Kampa, Fromm und Kaliberda

Die deutschen Volleyballer, die die Olympischen Spiele in Japan im Qualifikationsfinale gegen (den späteren Olympiasieger) Frankreich knapp verpasst hatten, sind bislang absolut im Soll, zum fünften Mal in Serie sind sie in ein EM-Viertelfinale eingezogen. Aber nur 2017 kamen sie noch weiter, als sie erst das Finale gegen Russland auf bittere Art und Weise mit 2:3 verloren. Im Spiel gegen Bulgarien war Giani mal wieder mit den Aufschlägen nicht zufrieden, trotz neun Assen, allein sechs davon schlug Außenangreifer Moritz Karlitzek. Der 24-Jährige war mit 19 Punkten noch vor Georg Grozer bester Spieler auf dem Feld, er ist einer, dem die Zukunft gehört, und auf den es auch ankommen wird am Mittwoch. Erst im Duell gegen Frankreich hat sich der so sprunggewaltige und schlagkräftige Hammelburger in die Stammformation gekämpft, Kapitän Christian Fromm sitzt seither auf der Bank.

Giani hält große Stücke auf Karlitzek, der unter ihm in Modena Klubvolleyball spielt. Der Bundestrainer weiß, dass Grozer Italien nicht alleine besiegen kann, der Schlüssel wird es sein, die Last auf mehreren Schultern zu verteilen. Auch auf jene der Blocker Anton Brehme, der gegen Bulgarien ein famoses Spiel machte, und Tobias Krick, von Libero Julian Zenger oder den Zuspielern Jan Zimmermann und Johannes Tille, die den verletzten Steller Lukas Kampa, den Kopf der Mannschaft, ersetzen müssen.

Diesem Sextett, aus dem bis auf Zimmermann alle Spieler unter 25 Jahre alt sind, gehört die Zukunft in der deutschen Auswahl. Denn auch wenn der schlaggewaltige Grozer - ohnehin das emotionale Herz des Teams - nach seinem nächsten Rücktritt vom Rücktritt betont, immer noch Lust zu haben, und er derzeit beweist, dass er es auch mit bald 37 Jahren noch mit den besten Hauptangreifern Europas aufnehmen kann: Der Generationswechsel muss dennoch kommen, die Zeit nach Grozer, Kampa, Fromm und Denis Kaliberda.

Johannes Tille muss sich erst noch an "Lichtshows, LED-Boden und funkensprühende Spielertunnel" gewöhnen

Italien jedenfalls ist ein glänzender Prüfstein, gerade für jene, die erst dabei sind, langsam Verantwortung zu übernehmen. Wie für Tille, den Mann mit den gefürchteten Aufschlägen, der nach drei Jahren in Herrsching nun in der zweiten französischen Liga spielt und sich bei seinem ersten großen internationalen Turnier erst noch an "Lichtshows, LED-Boden und funkensprühende Spielertunnel" vor dem Anpfiff gewöhnen musste.

Auch auf seine Aufschläge wird es wieder ankommen am Mittwoch, wie auf jene Knaller von Grozer und Karlitzek, dieses Element wird einer der Schlüssel sein, um ins Halbfinale einzuziehen. Die Niederlande oder Serbien wären dort der Gegner, leichtere Aufgaben, dann in Kattowitz, wo auch das Endspiel ausgetragen wird. Es ist eine Art Sehnsuchtsort für die DVV-Auswahl: Dort gewann sie 2014 nach 44 Jahren mit Bronze wieder eine WM-Medaille.

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