Versöhnungstag:Wie Juden Jom Kippur feiern

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"An diesem Tag haben wir eine besondere Verbindung zu Gott", erklärt der Münchner Rabbiner Steven Langnas. (Foto: Robert Haas)

Den wichtigsten Tag im jüdischen Kalender verbringen viele Gläubige vor allem in der Synagoge - und dürfen dabei weder essen noch trinken, nicht einmal einen Schluck Wasser. Ist das nicht anstrengend?

Von Linus Freymark

Die Zeit der Reue geht zu Ende. Zehn Tage hat sie gedauert, seit Beginn des zweitägigen Neujahrsfestes Rosch ha-Schana hatten die Gläubigen Zeit, ihr Leben zu überdenken, Gutes und Schlechtes zu reflektieren und Vorsätze für das kommende Jahr zu fassen. Nun enden die Tage der Besinnung, und am Abschluss dieser Periode steht noch einmal ein Feiertag, der neben Rosch ha-Schana der wichtigste im jüdischen Kalender ist und eine so hohe Bedeutung hat, dass er auch von vielen Juden begangen wird, die sonst eher wenig oder gar nichts mit der jüdischen Religion am Hut haben: Jom Kippur.

An diesem Tag feiern die Juden in aller Welt das Versöhnungsfest. Im jüdischen Kalender fällt es auf den zehnten Tag des Monats Tischri - in diesem Jahr ist das dieser Donnerstag. "An diesem Tag haben wir eine besondere Verbindung zu Gott", erklärt Rabbiner Steven Langnas von der Israelitischen Kultusgemeinde München. Ein letztes Mal sollen sich die Menschen an Jom Kippur mit sich und ihrer Beziehung zu Gott sowie zu ihren Mitmenschen auseinandersetzen. Und damit man sich zu diesem Anlass voll und ganz auf die spirituelle Ebene konzentrieren kann, gibt es besondere Vorschriften.

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So dürfen die Gläubigen von Sonnenuntergang des Vortags bis zum Sonnenuntergang an Jom Kippur weder essen noch trinken. "Man darf auch keinen Schluck Wasser zu sich nehmen", bekräftigt Langnas. Zudem dürfen sich Juden an diesem besonderen Tag nicht waschen, nicht salben und keine Lederschuhe tragen. Letzteres geschehe aus Respekt vor den Tieren, erläutert Langnas, die anderen beiden Vorschriften seien dazu da, damit sich die Gläubigen allein auf ihre Gedanken konzentrieren können. "Körperliche Bedürfnisse sollen an diesem Tag in den Hintergrund treten."

Um an Jom Kippur in Kontakt mit Gott treten zu können, verbringen viele Juden den Großteil des Tages in der Synagoge. Während schon die Gottesdienste an Rosch ha-Schana bis zu sechs Stunden dauern können, sind jene zu Jom Kippur noch einmal deutlich ausgedehnter. Manchmal können sie laut Langnas von morgens um acht bis abends um acht dauern - und natürlich dürfen die Teilnehmer dabei weder essen noch trinken. Ist das nicht anstrengend? Nein, meint Langnas - und zitiert einen seiner Kollegen: Ein Rabbiner habe mal gesagt, man sei an diesem Tag so sehr mit sich und Gott beschäftigt, dass man gar nicht daran denkt. "Und genauso ist es", bekräftigt Langnas.

Einige nehmen ihren Glauben sehr ernst, andere konzentrieren sich auf die Feste

Nach dem Gottesdienst und dem Sonnenuntergang gibt es dann - wie an vielen anderen jüdischen Feiertagen auch - ein gemeinsames Essen im Kreis der Familie. Anders als zu anderen Anlässen gibt es zu Jom Kippur jedoch keine besonderen Speisen. "Jede Familie hat ihre eigenen Gerichte", meint Langnas. Vielmehr sei das Abendessen eher als gemeinsames Fastenbrechen nach dem vergangenen Tag ohne Nahrung gedacht.

Jom Kippur ähnelt mit seinen Vorschriften stark dem wöchentlichen Schabbat, an dem Juden etwa auch nicht staubsaugen oder die Wohnung putzen dürfen - zumindest theoretisch sei das so vorgeschrieben, erklärt Langnas. Viele Menschen würden diese wöchentlich wiederkehrenden Gebote jedoch nicht so streng befolgen. Zu Jom Kippur jedoch würden auch jene die religiösen Vorschriften berücksichtigen, die ihren Glauben sonst lockerer oder eben auch gar nicht ausleben.

Besonders deutlich zeigt sich dies in Israel, dort steht zu Jom Kippur das öffentliche Leben weitgehend still. In der Münchner Gemeinde dagegen verhalte es sich ähnlich wie in den anderen Gemeinden außerhalb Israels, meint Langnas: Während einige ihren Glauben sehr ernst nehmen würden, würden andere sich eher auf die Feste konzentrieren. Doch zu Jom Kippur und vielleicht auch zu Rosch ha-Schana würden sich fast alle auf ihre religiösen Wurzeln besinnen - ähnlich wie viele Menschen in christlich geprägten Ländern zu Weihnachten oder Ostern.

© SZ vom 16.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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