Rosenheimer Lokschuppen:Als der Spinosaurus schwimmen lernte

Lesezeit: 2 min

Ein Saurier im Lokschuppen bekommt einen neuen Schwanz - und verwandelt sich damit innerhalb einer Nacht zu einem ziemlich revolutionären Lebewesen. Aktueller Forschung zufolge war er gar kein Landraubtier.

Von Matthias Köpf, Rosenheim

Wer in gewisser Hinsicht fossil anmutende menschliche Zeitgenossen "Dinosaurier" nennt, der unterschätze die Anpassungsfähigkeit der echten Dinosaurier, sagt Nizar Ibrahim. Der Spinosaurus ganz hinten im Rosenheimer Lokschuppen zum Beispiel hat sich innerhalb einer einzigen Nacht von einem Landraubtier mit gelegentlich nassen Füßen in einen vorzugsweise aquatisch lebenden, nach riesigen Fischen tauchenden Räuber aus der Krokodilklasse im T-Rex-Format verwandelt.

Diese bis Donnerstagfrüh mit der Montage eines viel höheren und flacheren Ruderschwanzes abgeschlossene Mutation ist kein Zeugnis blitzartiger Evolution, sondern Ergebnis einer kleinen wissenschaftlichen Revolution. Ausgelöst hat sie Ibrahim, der den Umbau in Rosenheim selbst überwacht hat. Der Forscher von der Universität Portsmouth hat 2019 mit seinem Team in der marokkanischen Sahara einen Spinosaurus ausgegraben. Der Lokschuppen, eines der zehn besucherstärksten Ausstellungshäuser Deutschlands, hat die Grabungen gefördert und die Ergebnisse nun in seine Ausstellung eingearbeitet.

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"Saurier - Giganten der Meere" heißt die Schau, wobei die in Form vieler Fossilien und Abgüsse sowie mehr als 20 lebensgroßer Nachbildungen gezeigten Meeressaurier im streng zoologischen Sinn eben keine Dinos waren, sondern eine ganz andere Gruppe von Getier. Nur dieser Spinosaurus, der im Lokschuppen seinen eigenen Saal hat und bei den Besuchern ein beliebtes Fotomotiv ist, zählt auch zoologisch zu den Dinos. Die Forschung habe sich lang gefragt, warum es diese Dinosaurier nie ins Wasser geschafft hätten, sagt Ibrahim. Haben sie aber doch, sie waren ja anpassungsfähig, siehe Spinosaurus. Der sei überhaupt "der heilige Gral der Paläontologie" - auch weil er 1944 in München gleichsam ein zweites Mal ausgestorben sei.

Dort in der bayerischen Staatssammlung wurden bei einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg die eh schon wenigen und zudem weltweit einzigen Knochen eines Spinosaurus zerstört. Der bayerische Paläontologe Ernst Stromer von Reichenbach hatte sie Anfang des 20. Jahrhunderts in Ägypten gefunden und in üblicher Kolonialistenmanier nach Europa gebracht. Stromer stellte sich seinen Saurier so ähnlich vor wie den kurz zuvor in Nordamerika entdeckten T-Rex, nur mit einem großen, von Dornfortsätzen der Rückenwirbel aufgespannten Rückensegel. So stand das großzügig ergänzte Gerippe also bis 1944 in München, und so geisterte der Spinosaurus später durch Dinofilme, Kinderbücher und Ausstellungen wie die in Rosenheim.

Dino-Bücher hat Ibrahim nach eigenen Worten auch gern angeschaut, und als Forscher hat er sich auf Stromers Spuren gemacht. Von 2014 bis 2019 gruben er und sein Team im Grenzgebiet von Marokko und Algerien, wo es ähnliche Gesteinsformationen gibt wie an Stromers Fundplatz in Ägypten. Zu Lebzeiten des Spinosaurus vor 100 Millionen Jahren, einer Warmzeit ohne Eis an den Polen und mit hohem Meeresspiegel, war die heutige Sahara von einem riesigen Flusssystem durchzogen und womöglich ein angenehmerer Ort als heute, von den Sauriern mal abgesehen.

Ibrahim fand dort schließlich ein deutlich kompletteres Skelett als einst Stromer, darunter auch Schwanzwirbel mit langen Dornfortsätzen, wie sie bei Sauriern zuvor nicht bekannt waren. Das und einige andere Indizien legen für den Spinosaurus eine aquatische Lebensweise nahe und brachten ihn 2020 aufs Cover des Wissenschaftsjournals nature. In Rosenheim hätten sie ihr Modell am liebsten schon damals korrigiert. Die Corona-Pandemie hat nicht nur das verhindert, sondern laut Lokschuppen-Chef Peter Miesbeck auch die Tournee durch internationale Ausstellungshäuser, welche die Saurier-Schau von Rosenheim aus unternehmen sollte. Im Lokschuppen ist sie noch bis zum 12. Dezember zu sehen, nun samt aktualisiertem Spinosaurus und neuen 3-D-Drucken einzelner Knochen. Die echten sind diesmal in Marokko geblieben. Nizar Ibrahim will helfen, an der Universität Casablanca ein Naturhistorisches Museum aufzubauen.

© SZ vom 17.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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