Erneuerbare Energien:Experte hält Abstandsregeln bei Windkraftanlagen für verfassungswidrig

Windräder in Bayern

Seit es die 10-H-Regel gibt, sind in Bayern nahezu keine neue Windräder mehr aufgestellt worden. Das will die SPD nun ändern, Unterstützung haben bereits die Grünen und der Bund Naturschutz angekündigt. Wenn es nicht anders geht, wollen sie nochmal gegen die Abstandsregel klagen.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Die 10-H-Regel hat die Flächen für Windräder in Bayern um 97 Prozent schrumpfen lassen - so dass heute kaum noch eines gebaut wird. Nun hat die SPD ein Gutachten vorgelegt, das die Regel kippen könnte.

Von Christian Sebald

Der Streit um den Ausbau der Windkraft in Bayern könnte schon bald wieder vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof landen. Sowohl die SPD-Fraktion im Landtag als auch die Grünen und der Bund Naturschutz (BN) erklärten am Donnerstag, dass sie Popularklagen prüfen. Auch Klagen vor Verwaltungsgerichten und sogar Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht sind nicht ausgeschlossen. Ziel ist die schnelle Abschaffung der umstrittenen Abstandsregel 10 H. Hintergrund ist ein neues Rechtsgutachten des Leipziger Spezialisten für Umwelt-, Planungs- und Energierecht, Professor Kurt Faßbender, für die SPD. Aus seiner Sicht ist die 10-H-Regel im Lichte der Stärkung des Klimaschutzes durch das Bundesverfassungsgericht Ende April verfassungswidrig und nicht mehr haltbar.

"Das Bundesverfassungsgericht hat klar entschieden, dass es gegen die Grundrechte unserer Kinder und zukünftiger Generationen verstößt, wenn nicht schon vor 2030 die Treibhausgas-Emissionen stark reduziert werden", sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn. "Genau das konterkariert die 10-H-Regel, weil sie den Ausbau der Windkraft und sogar die Modernisierung von Windrädern fast zum Erliegen gebracht hat." Nach der 10-H-Regel, die seit Ende 2014 in Kraft ist, muss der Abstand zwischen neuen Windrädern und Ortschaften mindestens das Zehnfache der Anlagenhöhe betragen, bei modernen Windrädern sind das wenigstens zwei Kilometer. Da es in Bayern aber nur sehr wenige Standorte gibt, die diese Vorgabe erfüllen, werden im Freistaat kaum noch neue Windräder aufgestellt. "Der Windkraft-Stopp hat aber einen zu hohen CO₂-Ausstoß zur Folge", sagt von Brunn, "damit verstößt 10 H gegen die Verfassung." Brunn kündigte an, dass die SPD "alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen werde, um den Windkraft-Stopp für einen besseren Klimaschutz abzuschaffen".

Was die Chancen der Windkraft in Bayern anbelangt, bezieht sich Faßbender, der sein Gutachten auf der Klausur der SPD-Fraktion in Garmisch-Partenkirchen vorstellte, auf Zahlen des Umweltbundesamts. Danach hat sich in Bayern die potenzielle Fläche für Windräder wegen 10 H um bis zu 97 Prozent reduziert - und zwar ohne dass der Streit um die Windkraft befriedet worden sei. Allein deshalb ist für Faßbender das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs von 2016 hinfällig. Bayerns höchste Richter hatten damals die 10-H-Regel bestätigt, weil sie überzeugt waren, dass dennoch ausreichend Flächen für Windräder vorhanden seien und die Vorgabe zugleich geeignet sei, den Streit um die Windkraft zu beenden. Beide Annahmen seien nicht eingetroffen, also müsse 10 H korrigiert werden, sagt Faßbender.

Das ist es laut Faßbender aber nicht alleine. Das Bundesverfassungsgericht hat Ende April in seinem Beschluss zum Klimaschutz klargestellt, dass Bund, Länder und Kommunen ihre Anstrengungen für den Klimaschutz deutlich erhöhen müssen - um künftigen Generationen die gleichen Lebenschancen zu ermöglichen wie deren Eltern. Zugleich lasse sich aus dem Beschluss ableiten, dass erneuerbarer Strom verstärkt dort produziert werden solle, wo er benötigt werde. Für die Windkraft bedeute das, dass sie eben auch in Bayern ausgebaut werden müsse - was aber durch 10 H verhindert werde. Faßbender moniert aber auch, dass 10 H massiv ins Eigentumsrecht von Grundbesitzern eingreife, die Flächen für Windräder bereit stellen wollen.

Die Grünen und der BN begrüßten das neue Gutachten. Der Grünen-Abgeordnete und Energie-Experte Martin Stümpfig sprach von einem "schönen Aufschlag der SPD". BN-Chef Richard Mergner nannte Faßbenders Analyse "hochinteressant und brisant". Wie zuvor SPD-Fraktionschef Brunn forderten Stümpfig und Mergner die Staatsregierung auf, 10 H zu streichen. Die SPD hat dazu bereits einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. Wenn er erfolglos bleibe, werde man sich - gestützt auf das Gutachten - juristische Schritte überlegen - laut BN-Chef Mergner vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof ebenso wie vor Verwaltungsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht.

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