Tarifkonflikt:Die Bahnstreiks sind vorbei, der Konflikt bleibt

Nach einem wochenlangen Arbeitskampf finden die Bahn und die Lokführergewerkschaft (GDL) eine Einigung. Doch jetzt entbrennt der Konkurrenzkampf der Gewerkschaften erst richtig.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Streiks bei der Bahn sind Geschichte - fürs Erste. Nach zehntägigen Verhandlungen verständigten sich die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und die Deutsche Bahn auf einen Tarifvertrag, der bis Herbst 2023 Ruhe schaffen soll. "Der gordische Knoten ist gelöst", sagte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler. Zuletzt hatte die GDL in drei Streikwellen den Bahnverkehr in Deutschland erheblich beeinträchtigt. Jetzt hätten die streikenden Eisenbahner erreicht, "was sie verdient haben", sagte GDL-Chef Claus Weselsky. Doch nun bäumt sich die andere Bahn-Gewerkschaft auf, die EVG.

Der Wettstreit zwischen beiden Gewerkschaften um die Vormacht in Bahnbetrieben steht im Zentrum der jüngsten Tarifauseinandersetzung. Denn nach dem "Tarifeinheitsgesetz" gilt in einem Betrieb mit mehreren Gewerkschaften jeweils der Tarifvertrag der mitgliederstärkeren Vertretung. Die Lokführer-Gewerkschaft, die mittlerweile auch Mitarbeiter in anderen Bereichen der Bahn vertritt, zielte deshalb nicht nur auf einen besseren Abschluss, sondern vor allem auf mehr Einfluss.

Vordergründig ist diese Rechnung aufgegangen. So handelte die GDL aus, dass die Löhne in zwei Schritten um insgesamt 3,3 Prozent steigen: zum Dezember um 1,5 Prozent, zum nächsten März um 1,8 Prozent. Der Vertrag läuft über 32 Monate. Vor allem aber erreichte sie Corona-Prämien, die je nach Lohngruppe insgesamt zwischen 700 und 1000 Euro betragen. Auch die Betriebsrente wird für die derzeitigen Beschäftigten fortgeführt. Man habe anders abgeschlossen als die EVG, sagte Weselsky, "und natürlich auch höher". Erstmals habe man "Verantwortung für alle Eisenbahnerinnen und Eisenbahner übernommen".

Die Bahn hatte stets vor einer Spaltung der Belegschaft gewarnt - und will den höheren Abschluss nun auch der konkurrierenden EVG anbieten. Schließlich habe die mit moderaten Forderungen "mitten in der Corona-Krise große Solidarität bewiesen", wie Bahn-Vorstand Seiler sagte.

Doch der Machtkampf geht weiter. Die EVG will von einem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen und nachverhandeln. "Die Tarifrunde ist zu Ende, wenn sie mit der EVG zu Ende ist", sagte Gewerkschaftschef Klaus-Dieter Hommel, "und hat damit eigentlich gerade erst begonnen." Mit einer solchen Sonderkündigung sei man auch wieder "streikfähig", heißt es bei der Gewerkschaft. Vom Bahnvorstand fühle man sich verraten.

Auch das Zustandekommen der Einigung mit der GDL bringt die Konkurrenz auf. Denn als Vermittler waren die beiden Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein und Niedersachsen aufgetreten, Daniel Günther (CDU) und Stephan Weil (SPD). Sie waren bei der Präsentation des Ergebnisses dabei und sprachen von einer moderierenden Rolle, mit der sie den Ton zwischen Bahn und Lokführer hätten entschärfen können. Doch die EVG sieht darin eine unzulässige Einmischung der Politik. Dies sei "ein Schlag ins Gesicht der Tarifautonomie", sagte Hommel.

Für künftige Auseinandersetzungen verspricht das nichts Gutes. Bahn und GDL verständigten sich darauf, in Zukunft notariell feststellen zu lassen, in welchem Betrieb welche Gewerkschaft die Mehrheit hat. Auch die EVG müsste so einer Überprüfung zustimmen, die Gewerkschaften müssten dafür einem Notar ihre Mitgliederdaten zur Verfügung stellen, der sie verschwiegen prüft. Welche Schlüsse Weselsky daraus zieht, ließ er schon am Donnerstag durchblicken. "Natürlich werden wir weiter daran arbeiten, mehr Mitglieder zu haben", sagte der GDL-Chef.

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