Fürstenried:Fehlendes Augenmaß

662 zusätzliche Wohnungen statt 540: Bürger erheben massive Einwände gegen die geplante Nachverdichtung in Fürstenried-West. Sie befürchten gravierende Einschnitte in die gewachsenen Strukturen

Von Jürgen Wolfram, Fürstenried

Begleitet von scharfer Kritik aus den eigenen Reihen und von Anwohnern aus Fürstenried-West hat der Planungsausschuss des Stadtrats Anfang Februar 2020 den Bebauungsplan zur Nachverdichtung im Bereich der Appenzeller Straße, Forst-Kasten-Allee, Bellinzona-, Graubündener und Neurieder Straße durchgewunken. Die Gemüter haben sich seither nicht beruhigt, im Gegenteil: Als vor wenigen Tagen die Einspruchsfrist endete, lagen dem Planungsreferat Dutzende Einwände vor. Um diese auf den Punkt zu bringen, hat der Stadtteilverein Pro Fürstenried eine Anwaltskanzlei eingeschaltet. Das Fazit dieser Stellungnahme lässt an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig: Der geplanten Nachverdichtung fehle es an Augenmaß, die Bewohner der Gegend im äußersten Südwesten der Stadt vermissten "jedwede Rücksichtnahme auf die Interessen und Struktur ihres gewachsenen Wohngebiets". Gefordert wird, die Anzahl der zu schaffenden Wohnungen "deutlich zu reduzieren".

Die Bayerische Versorgungskammer (BVK) will an der Appenzeller Straße 662 zusätzliche Wohnungen schaffen. Über knapp 1500 Wohnungen verfügt sie in dem 13,5 Hektar großen Planareal bereits. Diese wurden zwischen 1968 und 1972 errichtet. Zunächst waren, gemäß einem städtebaulichen und landschaftsplanerischen Wettbewerb, nur 540 zusätzliche Wohnungen vorgesehen. Die nachträgliche Aufstockung hatte die Vorbehalte im Viertel ebenso erheblich verstärkt wie die geplanten Gebäudehöhen von bis zu 56 Metern. Allen Protesten zum Trotz ließen SPD, CSU, Grüne und FDP im Stadtrat den einschlägigen Bebauungsplan passieren. Zur Begründung hieß es seinerzeit, eine weitere Überarbeitung des Entwurfs hätte den Bau dringend benötigten Wohnraums gravierend verzögert.

Der Verein Pro Fürstenried und ihr Fachanwalt Helmut Menche legen nun eingehend dar, warum der Bebauungsplan sein postuliertes Ziel einer Verbesserung der Lebensqualität in Fürstenried-West eklatant verfehle. Wenn die Anzahl der Wohnungen im Vergleich zum Bestand um rund 45 Prozent steige und die Geschossflächen-Mehrung sogar 55,5 Prozent betrage, könne von einer "baulichen Ergänzung" sicherlich keine Rede mehr sein, heißt es in der Stellungnahme. Tatsächlich handle es sich um "eine übermäßige und damit unverträgliche Nachverdichtung eines gewachsenen, sozial funktionierenden Siedlungsbestandes".

Bei aller Kritik, Pro Fürstenried unterbreitet auch Vorschläge für eine verträgliche "städtebauliche Dichte". Dazu könnten ein- statt zweigeschossige Aufstockungen ebenso beitragen wie die "deutliche Reduzierung" der "überhohen Punkthäuser" an der Forst-Kasten-Allee.

Ein Dorn im Auge ist den organisierten Anwohnern die "entstehende Abstandsflächensituation". Besonders im Hinblick auf die Bestandswohnungen sei diese "unvereinbar mit dem Planungsgrundsatz gesunder Wohnverhältnisse". Punktuell würde nicht mal mehr die vorgeschriebene Mindestbesonnungszeit erreicht. Die dazu vorgelegte Studie sei überdies "für die Öffentlichkeit nicht lesbar und damit unverständlich". Klar sein sollte hingegen, dass alle Hochpunkte in ihren Auswirkungen überprüft werden müssten.

Vehement wendet sich der Verein gegen die Änderung des Gebietstyps, gegen die "Herabzonung" des bisherigen reinen zum allgemeinen Wohngebiet. Dieses Kniffs bediene sich die Stadt, "um die Immissionsproblematik für das Plangebiet besser bewältigen zu können", vermutet Pro Fürstenried. Eine umfängliche Betrachtung widmen die Verfasser der Stellungnahme der Verkehrssituation. Die städtische Prognose - circa 2000 Kfz-Fahrten mehr pro Tag - treffe nicht zu, der Verkehrszuwachs betrage vielmehr mindestens 2600 Kfz/Tag. Schon von daher sei die Voraussage eine "untaugliche Entscheidungsgrundlage".

Nicht erkennbar sei, wie sich zwischenzeitlich genehmigte oder vollendete Baumaßnahmen im näheren Umfeld der Appenzeller Straße auswirken, sei es das Hettlage-Gelände im angrenzenden Neuried oder die AEZ-Erweiterung an der Königswieser Straße. Ins Bild einer Fehlplanung passt aus Sicht von Pro Fürstenried der angesetzte Stellplatzschlüssel von 0,53 pro Wohnung. Dieser Schlüssel sei bei einer Großwohnanlage, die lediglich zu einem Drittel im 600-Meter-Einzugsbereich einer U-Bahn-Station liege und ansonsten mit nur einer Buslinie erschlossen sei, "höchst fragwürdig".

Weitere Zweifel beziehen sich auf die Realisierbarkeit der geplanten Aufstockungen, sowohl in wirtschaftlicher als auch in technisch-statischer Hinsicht. Schon gar nicht will Pro Fürstenried sich mit den Hochpunkten abfinden. "Sie sprengen die homogene Maßstäblichkeit des Gebiets und werden als Fremdkörper wahrgenommen werden", prophezeit der Verein. Preisgünstig zu haben seien Hochhäuser keineswegs, weshalb sie "nicht zur gewünschten Entlastung des Münchner Wohnungsmarktes für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen führen". Zu klären sei überdies, wie die Hochpunkte die Frischluftzufuhr beeinflussen.

Unter den zahlreichen Bürgern, die auch persönlich Einspruch erhoben haben, ist der Pro-Fürstenried-Vorsitzende Christoph Söllner. Sein Kommentar gipfelt darin, dass der geplante Umfang "in keinster Weise mit den gewachsenen Strukturen in Fürstenried und speziell im nördlichen Teil des Schweizer Viertels verträglich" sei. Mitstreiterin Gisela Krupski beschwört eine "massive Beeinträchtigung der zukünftigen Lebensqualität, langfristig auch der Gesundheit der Bewohner" sowie "schlimme Auswirkungen durch die Abholzung von fast 200 Laubbäumen". Sieht nicht so aus, als käme Fürstenried-West allmählich zur Ruhe.

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