Vereinigte Staaten:Es war einmal ein Meister

President Biden Reconvenes Major Economies Forum On Energy And Climate

Was bleibt von Joe Bidens Ruf, ein professioneller Macher zu sein?

(Foto: Al Drago/AFP)

Joe Bidens Markenkern war immer seine Kompetenz. Die aber stand im Afghanistan-Debakel plötzlich infrage. Wie fatal das für die politische Kultur im Land ist, zeigen die neuesten Ereignisse.

Kommentar von Hubert Wetzel

Als Joe Biden Präsident wurde, war das wie ein Versprechen an Amerika und die Welt: Jetzt kommen die Profis. Donald Trump und seine Regierung waren ein Haufen ebenso ignoranter wie aggressiver Amateure. Biden gewann, weil eine Mehrheit der Amerikaner nach vier Jahren Drama meinte, es sei jetzt durchaus Zeit für etwas Langeweile. Zumindest wenn Langeweile hieß, dass das Land wieder vernünftig regiert wird, dass ein gewisses Maß an Können und Wissen, an Ruhe, Verlässlichkeit und Normalität in die Politik zurückkehrt.

Wahlstrategen würden es so sagen: Kompetenz war Joe Bidens Markenkern. Im Washingtoner Jargon war er der "Erwachsene", der den launischen, verzogenen Bengel Trump ablöste.

Anders als Trump hetzt Biden die Menschen nicht gegeneinander auf

Im ersten halben Jahr seiner Präsidentschaft ist Biden dieser Erwartung gerecht geworden. Er hat sich darum gekümmert, dass die Amerikaner Impfstoff und Geld bekamen, um die Pandemie zu überstehen. Anders als Trump missbraucht er sein Amt nicht ständig dazu, die Menschen im Land gegeneinander aufzuhetzen. Er hat sogar einen Teil der Trümmer beseitigt, die Trump ihm in der Außenpolitik hinterlassen hatte.

Dann kam der desaströse Abzug aus Afghanistan. Die Flucht der Amerikaner aus Kabul hat Biden nicht deswegen beschädigt, weil die Entscheidung falsch oder unbeliebt gewesen wäre, den Krieg zu beenden. Sondern weil die Umstände allem widersprachen, wofür Biden stand. Die furchtbaren Bilder vom Flughafen, die toten GIs, die zurückgelassenen Amerikaner, der letzte Drohnenangriff, der eine Familie auslöschte - dieses Chaos, diese Tragödien hätte man vom Dilettanten Trump erwartet, nicht vom Meister Biden.

Für Bidens Präsidentschaft ist das ein Einschnitt, dessen Folgen über seine aktuellen Umfragewerte hinausgehen. Wann immer in der Zukunft die Demokraten "Kompetenz" sagen, um für sich oder ihren Präsidenten zu werben, werden die Republikaner empört "Kabul" rufen. Und das mit einem gewissen Recht. Was Präsidenten taugen, entscheidet sich in Krisen. In der Krise von Kabul taugte Biden nicht genug, um Amerikas Demütigung zu verhindern.

Das heißt aber auch: Als Wahlkampfargument fällt das Schlagwort Kompetenz für die Demokraten weitgehend aus. Das ist bedauerlich, denn es täte Amerika gut, wenn in Wahlkämpfen wieder darüber gestritten würde, was Kandidaten erreicht haben, was sie wissen und was sie können. Darüber kann man halbwegs sachliche Debatten führen, ohne einander an die Gurgel zu gehen.

Begeben sich die Demokraten jetzt doch noch aufs Niveau der Republikaner herab?

Stattdessen besteht die Gefahr, dass Amerika noch tiefer in den giftigen Kulturkriegen versinkt, welche die Gesellschaft zerreißen. Es ist leichter - und wirkungsvoller -, die politischen Gegner zu dämonisieren und bei den Wählern Angst und Wut zu schüren. Die Republikaner haben in dieser Hinsicht keinerlei Hemmungen mehr, ihre Wahlkämpfe bestehen nur noch aus Spaltung, Hetze und Lügen. Aber die Demokraten lernen leider dazu, sie haben gerade das Referendum über ihren Gouverneur in Kalifornien gewonnen, indem sie den republikanischen Kandidaten als eine Art Trump 2.0 dargestellt haben.

Vor dem Debakel in Kabul hat Biden sich aus diesen Kämpfen stets herausgehalten - er weiß, wie zerstörerisch sie sind. In Kalifornien hat er jetzt mitgemacht. Womit hätte er auch werben sollen?

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