Klimafreitag:Demokratischer Generationenfrieden

Back view of grandfather walking with grandson and dog in nature model released Symbolfoto property

Sollte man mit den Großeltern über Wahlentscheidungen sprechen? Und wenn ja, wie?

(Foto: imago stock&people/imago/Westend61)

Wenn Enkel Oma und Opa politische Briefe schreiben, ist das kein Problem - sondern Ausdruck eines neuen Dialogs zwischen den Generationen

Von Dirk von Gehlen

Was waren das noch für Zeiten, als die öffentliche Debatte von dem Wunsch geprägt war, "diese jungen Leute" mögen sich doch bitte etwas mehr für Politik interessieren. Vor dem Hintergrund des globalen Klimastreiks, den die vor allem von jungen Menschen getragene Bewegung "Fridays for Future" für kommende Woche angekündigt hat, wirkt die Erinnerung an die vermeintlich politikverdrossene Jugend wie längst geschmolzener Schnee von gestern.

Viel hätte man damals dafür gegeben, wenn minderjährige Mädchen und Jungen auf die Idee gekommen wären, sich vor einer wichtigen Wahl mit den Programmen der kandidierenden Parteien zu befassen und dann ihren Eltern und Großeltern ihre politische Meinung mitzuteilen. Was wäre das für ein Zeichen gewesen: Junge Menschen, die selbst nicht wählen dürfen, beginnen mit ihren wahlberechtigten Verwandten einen Dialog über die politische Willensbildung. Ein Traum für jede Sozialwissenschafts-Lehrerin, eine Freude für die Bundeszentrale für politische Bildung und das demokratische Gemeinwesen.

Aber die Zeiten ändern sich. In der öffentlichen Debatte der vergangenen Tage fehlt die Freude über den demokratischen Geist in diesem Land, stattdessen fallen Begriffe wie "Manipulation" (Bild) oder "emotionale Erpressung" (Welt), wenn es darum geht, den poltischen Austausch zwischen den Generation zu bewerten.

Wie konnte das passieren?

Die Antwort findet man auf der Seite enkelkinderbriefe.de im Internet. Dort rufen Prominente wie Anette Frier, Joko Winterscheidt, Jan Delay und andere schon seit einer Weile dazu auf, mit den Großeltern über die Bundestagswahl zu sprechen: "Denn während die unter 30-Jährigen nur 15 Prozent der Wahlberechtigten sind, machen die über 60-Jährigen 38 Prozent aus", rechnen die Betreiber der Seite vor und ziehen daraus den Schluss: "Deine Oma und Opa entscheiden also darüber, ob es eine Politik des ,weiter so' oder eine Politik des klimagerechten Aufbruchs geben wird." Deshalb sollen Enkelkinder jeden Alters ihren Großeltern Briefe schreiben - und sie auffordern, ihre Interessen bei der Wahlentscheidung mitzudenken.

Die Kritik daran bewegt sich zwischen Überforderungs- und Überrumpelungs-Sorge: In der Zeit wird die Befürchtung formuliert, die Kinder könnten mit solchen Aktionen überfordert werden ("Wenn Kinder und Jugendliche gerade etwas brauchen, dann Erwachsene, die für sie kompetent die Verantwortung übernehmen - und: eine wohlverdiente Pause."). Die Welt sorgt sich umgekehrt, die Großeltern könnten durch solche Aktionen überrumpelt werden ("Die Idee, Großeltern ihre Stimme abzuluchsen, ist nicht ganz neu.") und nennt die Enkelkinderbriefe gar antidemokratisch.

Beide Sorgen sind nicht nur erstaunlich paternalistisch den Alten wie den Jungen gegenüber, sie scheinen auch mehr als unberechtigt zu sein - wie ein Blick in die Berliner Altersstudie beweist. Diese belegt, dass das Verhältnis zwischen Enkeln und Großeltern viel freier, gesünder und dialogischer ist als die Kritikerinnen des Generationendialogs befürchten. Nicht nur verbringen die beiden Generationen aktuell viel mehr Zeit miteinander als jemals zuvor, sie sind statistisch gesehen auch viel länger und konstruktiver im Austausch. Berichte über die Studie werden deshalb häufig mit dem Titel "Die neuen Großeltern" versehen, weil die Lebensrealität weit entfernt ist vom Bild der überforderten Alten, die man vor den Wünschen der Jugend beschützen muss. Projekte wie die Enkelkinderbriefe sind also nicht antidemokratisch, sondern Ausdruck eines Gesprächs der Generationen, das in jedem Fall wünschenswert ist - völlig egal, wo man politisch steht.

Es spricht insofern viel dafür, dass Großeltern und Enkel sehr souverän und im besten Sinn demokratisch untereinander aushandeln, wie am besten zu wählen sei. Sehr sicher jedoch nehmen sie weniger Schaden an dieser vermeintlich hitzigen Debatte als an den Folgen der ungebremsten Erderwärmung, die nicht nur Großeltern und Enkel betreffen wird.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

Zur SZ-Startseite
Protests during G7 summit in Cornwall

SZ PlusKlimakrise
:Sie haben Angst

Eine internationale Studie zeigt: Drei von vier jungen Menschen fürchten sich vor den Folgen des Klimawandels, auch wegen der Untätigkeit der Regierenden. Wie sehr belastet die Krise die Psyche?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: