Washington:Wenn Journalisten Schlange stehen vor Protestierenden

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Ein Gebet zu Beginn: Zwei Aktivisten - und viele Reporter - vor dem Kapitol in Washington. (Foto: DAVID TULIS via www.imago-images.de/imago images/UPI Photo)

Eine Demonstration von Trump-Anhängern vor dem Kapitol könne erneut eskalieren, hatten die Sicherheitskräfte gewarnt. Es kamen dann nur wenige - doch der Organisator nutzte das zu seinem Vorteil.

Von Fabian Fellmann, Washington

Alle stehen als Verlierer da am Ende dieses weitgehend friedlichen Demonstrationstags in der US-Hauptstadt: die Trump-Anhängerschaft, die Polizei, die Medien. Oder etwa nicht?

Zur Protestaktion am Samstag vor dem Parlamentsgebäude in Washington hatte Matt Braynard gerufen, ein ehemaliger Mitarbeiter der Trump-Kampagne. Mehrere Hundert Sympathisanten wollte seine Organisation "Look Ahead America" vor das Kapitol holen, um gegen die angeblich widerrechtliche Behandlung der Demonstranten vom 6. Januar zu protestieren. Anhänger Trumps hatten damals das Parlamentsgebäude gestürmt, um Joe Bidens Bestätigung im Präsidentenamt zu verhindern. Hunderte Personen wurden verletzt, vier starben.

Die überschaubare Menge vor dem Parlament in Washington. (Foto: Fabian Fellmann)

Entsprechend groß war die Nervosität diesmal. Gemessen daran fiel die Rally aber lächerlich klein aus. Maximal 450 Personen zählte die Polizei auf dem Protestgelände, nur eine Minderheit gehörte zu den Demonstranten. Zwischen ihnen waren derart viele Reporterinnen, Kameramänner, Fotografinnen und Moderatoren unterwegs, dass sie Schlange standen vor den wenigen Protestierenden.

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Den Trump-Anhängern - unter ihnen einige ältere Paare und selbst Familien - stellten sich jenseits einer doppelten Gittersperre Hundertschaften von Polizisten gegenüber, einige in voller Schutzmontur, andere auf dem Fahrrad, am Himmel kreisten Hubschrauber und Drohnen, eine Kolonne von Räumungsfahrzeugen der Stadt sicherte die Straße, während im Hintergrund Armeefahrzeuge und die Nationalgarde in Bereitschaft standen. Nachdem sich die Polizei des Kapitols am 6. Januar hatte überrumpeln lassen, wollte sie diesmal nichts dem Zufall überlassen.

Werden Rechte härter angefasst als Linke?

Das Missverhältnis zwischen Sicherheitskräften, Medienleuten und Schaulustigen einerseits und Demonstranten andererseits fiel nun so krass aus, dass Trumps Anhänger die Bilder als Geschenk willkommen hießen: Sie waren ja gekommen, um den Sicherheitsapparat und die angeblich links-ideologisch verbrämten Medien anzuklagen. Die massive Polizeipräsenz sei ein Beleg dafür, dass die freie Rede eingeschränkt werde, sagte Scott Beard aus dem nahen Maryland. Die Medien hätten mit Falschinformationen dabei geholfen, sagte der 50-Jährige mit Hut und Rucksack von der Armee. Den Einwand, die Warnung vor möglichen Gewalttaten sei aus dem Heimatschutzministerium gekommen, ließ er nicht gelten.

Auch Paula Brassfield aus Virginia schimpfte über die Medien. Die 74-Jährige ignorierte den Rat ihrer Freunde, nicht nach Washington zu reisen: "Es ist wichtig, zu protestieren." Videos aus ihrer Kirche hätten sie aufgerüttelt: "Die Leute haben keine traditionellen Familienwerte mehr, sie kriegen keine Kinder und besitzen stattdessen nur noch Hunde." Nun demonstriere sie, damit die USA nicht dem Kommunismus verfielen. Der Prozess sei in vollem Gang: Rechte Demonstranten würden von der Justiz viel härter angefasst als linke Aktivisten. Diese Behauptung bildete am Samstag das Leitmotiv der Protestaktion, obwohl ihr die Fakten widersprechen, wie die Washington Post nachgerechnet hat.

Schimpft auf die Medien: Laura Brassfield aus Virginia. (Foto: Fabian Fellmann)

Mehr als 600 Personen wurden nach dem 6. Januar angeklagt, 78 von ihnen sitzen noch im Gefängnis, deren Mehrheit wird Gewalt gegen Polizisten zur Last gelegt. Die Inhaftierungsquote beträgt noch 13 Prozent; üblicherweise liegt sie bei vergleichbaren Delikten mit 75 Prozent deutlich höher. Die Haftbedingungen sind harsch; doch während es für Afro-Amerikaner und Latinos zum Alltag gehört, die volle Härte des Gesetzes zu spüren zu bekommen, stellt das für Gruppen von mehrheitlich Weißen die Ausnahme dar.

Vier Personen angehalten

Darum hatte die Black-Lives-Matter-Aktivistin Nadine Seiler kein Mitleid mit den Demonstranten, denen sie sich am Samstag mit Plakat und Megafon entgegenstellte. Auch sie fand, die Polizei habe ihr Versagen vom 6. Januar diesmal überkompensiert. Doch sei das verständlich: "Diese Leute wollten den Vizepräsidenten hängen", rief die 55-Jährige. Auch Sicherheitsexperten machten geltend, die Polizei habe nicht überreagiert, sondern mit guter Vorbereitung verhindert, dass gewaltbereite Demonstranten anreisten. Anders als am 6. Januar distanzierten sich diesmal Anführer von rechten Gruppen wie den "Proud Boys" von der Veranstaltung, auch Donald Trump sprach von einer "Falle".

Schließlich hielt die Polizei lediglich vier Personen an vor dem Kapitol, wobei eine Handfeuerwaffe sowie ein Messer zum Vorschein kamen. Einige Male mussten sich die Ordnungshüter zwischen Demonstranten und Gegendemonstranten stellen. Eine vorbehaltlos positive Bilanz zog nur der Organisator der Demonstration: Auf frühere Veranstaltungen hatte Matt Braynard stets vergeblich aufmerksam gemacht. Diesmal aber hat er es in alle nationalen und viele internationale Medien geschafft. Zu MSNBC sagte er: "Es geht nicht um die Teilnehmerzahlen, sondern darum, meine Botschaft zu verbreiten." Die Gelegenheit dazu hat er diesmal erhalten.

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