Vergessene Seuchen (1):BSE: Ist der Wahnsinn vorbei?

Gerne werden BSE und seine menschliche Variante als Beispiel maßloser Hysterie angeführt. Zu Recht? Auftakt einer Serie über die Seuchengefahr.

Berit Uhlmann

BSE, Sars, Vogel- und Schweinegrippe - alles Luftblasen, die nach einiger Zeit zerplatzen und für immer aus der Aufmerksamkeit entschwinden? Eine Serie auf sueddeutsche.de geht der Frage nach, ob die Seuchen tatsächlich ausgestanden sind. Teil 1: BSE - Ist der Wahnsinn vorbei?

Kuh, Symbolbild, ddp

Ruhig ist es um die Rinderseuche BSE geworden - vielleicht zu ruhig.

(Foto: Foto: ddp)

Jahrelang taumelte mit den BSE-kranken Kühen auch Europa am Rande der Hysterie. Ab 1985 durchlöcherte die bovine spongiforme Enzephalopathie Rindern die Gehirne und brauchte nur zehn Jahre, um die Artenschranke zum Menschen zu überspringen. Zwischen 1996 und 2003 riss sie jährlich mindestens zehn junge Menschen aus ihren Leben und versetzte die Europäer damit gänzlich in Panik.

Auf dem Höhepunkt der BSE-Krise schrumpfte der Fleischkonsum der Deutschen um die Hälfte. Zehntausende Rinder wurden quer durch Europa vernichtet. Einige Wissenschaftler befürchteten, dass die tödliche Krankheit Hunderttausende menschliche Opfer hervorbringen könnte. Die Realität erwies sich als weniger dramatisch: Bis heute erkrankten weltweit 214 Menschen an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK), der menschlichen Form von BSE. In Deutschland gab es keinen einzigen Fall. Also alles wie immer nur Panikmache?

Die Antwort ist auch 25 Jahre nachdem die erste Kuh und 15 Jahre nachdem der erste Mensch erkrankte, unbefriedigend. Als recht sicher gilt unter Wissenschaftlern, dass vCJK durch den Verzehr von infektiösem Rindfleisch verursacht wird. "Doch wir wissen immer noch nicht genau, wie die Übertragung funktioniert", räumt Inga Zerr, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für vCJK in Göttingen, ein.

Auch was die Eindämmung der Seuche verursachte, ist mit letzter Sicherheit nicht zu sagen. Die Expertin schätzt, dass die Einschnitte in der Fleischindustrie - das Verbot von Tiermehl, Tests an Rindern und der Verzicht auf infektiöses Fleisch aus Gehirn und Rückenmark - zum Rückgang der Seuche beigetragen haben. 2009 gab es nur noch zwei BSE-Erkrankungen in Deutschland, zwei Menschen starben im gleichen Jahr weltweit an vCJK.

In Sicherheit wiegen, dass nun alles getan oder gar ausgestanden ist, kann sich dennoch niemand. Im Gegenteil: Seit einigen Wochen sind Forscher erneut beunruhigt. Seit einigen Wochen ist der einzigartige Fall eines britischen vCJK-Opfers publik.

Der 30-jährige Mann wurde im Juni 2008 in eine Klinik eingeliefert, er litt damals schon über ein Jahr lang an Unruhe, seine Persönlichkeit hatte sich verändert, seine geistigen Fähigkeiten waren eingeschränkt. Im Januar 2009 starb der Mann. Was seinen Todesfall besonders macht, ist eine bestimmte genetische Konstellation.

Rätsel der Genvarianten

An einem für vCJK zentralen Gen weisen die meisten Menschen entweder die Variante MM oder MV (benannt nach den beteiligten Aminosäuren Valin und Methionin) auf. Bei allen während der BSE-Welle verstorbenen Menschen stellte man den Typ MM fest. Menschen mit der Variante MV erkrankten dagegen nur, wenn sie sich über Blutkonserven angesteckt hatten. Bis jetzt.

Denn bei dem vor kurzem verstorbenen Briten fanden die Forscher nun ebenfalls die Variante MV. Allerdings hatte er weder Blut noch Organe von anderen Menschen erhalten. Er hatte, wie die meisten seiner Landsleute Rindfleisch gegessen, wahrscheinlich auch zu einer Zeit, als die Tiere noch nicht auf BSE getestet wurden. Dass es bei ihm nun so lange dauerte, bis die Krankheit ausbrach, könnte an seiner Genvariante hängen.

Inga Zerr verweist in diesem Zusammenhang auf Kuru, eine mit vCJK eng verwandte Krankheit, die im 20. Jahrhundert in Papua-Neuguinea auftrat und mit Kannibalismus in Zusammenhang gebracht wird: "Aus der Kuru-Epidemie hat man gelernt, dass Menschen mit dem Genotyp MV später erkranken als die mit MM", sagt Inga Zerr. Bei ihnen dauere die Spanne zwischen Ansteckung und Ausbruch der Krankheit rund fünf bis zehn Jahre länger.

"Es kann also sein, dass auch vCJK bei Menschen mit Genvariante MV einfach einige Jahre später ausbricht", sagt Inga Zerr. Das hieße, dass in all den Jahren, als die Krankheit immer mehr in Vergessenheit geriet, eine ganze Reihe stiller Träger unter uns waren und es noch sind - und dass sie nun nach und nach erkranken könnten.

Auch der Münchner Neuropathologe Hans Kretzschmar schließt eine zweite Erkrankungswelle nicht aus. Möglich sei aber auch, dass Menschen mit Genotyp MV mehr Schutz gegen vCJK haben und deshalb weniger von ihnen erkranken werden, gibt er zu bedenken. Letztlich sei die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit noch immer ein Leiden voller "Ungewissheiten". Gewiss ist aber eines: Bis heute kann die tödliche Gehirnerweichung nicht behandelt werden.

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