Großbritannien:Warum in Großbritannien das Benzin knapp wird

Out of use signs are placed over pumps at a Shell petrol station in London

Außer Betrieb: eine Zapfsäule in London.

(Foto: TOBY MELVILLE/REUTERS)

Tankstellen schließen, weil sie keinen Sprit bekommen, und viele Briten wollen unbedingt was ab vom letzten Tropfen. Jetzt könnte das Militär helfen.

Von Alexander Mühlauer, London

Vor der BP-Tankstelle im Londoner Stadtteil Kingston standen schon am Freitagmorgen 14 Autos Schlange. Sie alle warteten darauf, endlich zur Zapfsäule zu kommen, um noch einmal vollzutanken. Wer weiß, wie lange das noch geht.

So wie hier im Südwesten der britischen Hauptstadt kam es im ganzen Land zu Staus vor den Tankstellen. Die Warnungen in den britischen Zeitungen waren schließlich kaum zu übersehen gewesen. Die Sun druckte einen letzten Tropfen Benzin auf ihre Titelseite, dazu die Schlagzeile: "We're running on empty" ("Wir laufen leer"). Fast wortgleich stand dieser Satz auch auf der Seite 1 der Daily Mail. Und die ansonsten eher unaufgeregte Times gab den Ratschlag der britischen Regierung an ihre Leserschaft weiter: "Don't panic".

Kein Panik? Nun, viele Britinnen und Briten wollten am Freitag lieber auf Nummer sicher gehen. Am Tag zuvor hatte der Mineralölkonzern BP angekündigt, dass mindestens 50 Tankstellen im Land nicht wie gewohnt mit Benzin und Diesel versorgt werden können. Auch Esso meldete Probleme. Der Grund ist nicht etwa, dass Kraftstoff knapp würde; das Problem ist, dass es nicht genügend Lkw-Fahrer gibt, die diesen an die Zapfsäulen bringen.

In ganz Großbritannien fehlen etwa 100 000 Lkw-Fahrer

Der Fahrermangel trifft nicht nur die Tankstellen. Britische Supermärkte und Restaurants klagen bereits seit Wochen über "driver shortage". Es gibt einfach nicht genügend Menschen, die Waren von A nach B bringen können. Laut Schätzungen der britischen Transportbranche fehlen derzeit etwa 100 000 Lkw-Fahrer.

Dafür gibt es allerlei Gründe. Da ist zum einen der hohe Altersdurchschnitt. Viele ältere Fahrer gehen in Rente, es kommen zu wenige junge nach, weil der Job nicht besonders gut bezahlt wird. Zum anderen ist da Corona: Viele haben wegen der Pandemie ihre Arbeit als Fernfahrer aufgegeben; und diejenigen, die es werden wollten, konnten es nicht, weil die Fahrschulen im Lockdown geschlossen waren. Es war schlichtweg nicht möglich, einen Lkw-Führerschein zu machen.

Probleme wie diese gibt es in vielen europäischen Ländern, in Großbritannien kommt aber noch ein Faktor erschwerend hinzu: der Brexit. Seit dem britischen EU-Austritt sind laut Schätzungen von Experten etwa 25 000 Lkw-Fahrer in ihre Heimatländer zurückgekehrt, vor allem nach Osteuropa. Wie viele wieder ins Vereinigte Königreich kommen, ist offen.

Seit Jahresbeginn gibt es nämlich ein großes Hindernis: die neuen Einwanderungsregeln. Seit dem Brexit ist es für Menschen aus der EU nicht mehr so einfach, in Großbritannien zu arbeiten. Sie müssen nicht nur Englischkenntnisse nachweisen, sondern auch einen Mindestverdienst. Hinzu kommt: Die Visaverfahren sind teuer und ziehen sich mitunter lange hin. Seit dem Brexit gibt es ein neues, auf Punkten basierendes System, das hochqualifizierte Arbeitskräfte bevorzugt. Fernfahrer zählen aus Sicht der Regierung nicht dazu.

Der Minister verspricht: "Wir werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen."

Die Wirtschaft fordert daher seit Wochen, dass Lkw-Fahrer auf die Liste der sogenannten Mangelberufe aufgenommen werden, um problemlos in Großbritannien arbeiten zu können. Auf der "shortage occupation list" der Regierung finden sich etwa Labortechniker, Architekten und Beschäftigte im Gesundheitsmanagement. Sie alle werden offiziell gesucht, Lkw-Fahrer nicht.

Bislang will die Regierung von den Klagen der Transportbranche nicht viel wissen; und schon gar nichts davon hören, dass der Brexit an der Misere schuld sein könnte. Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng forderte die Firmen auf, einheimische Arbeitslose auszubilden und die Löhne anzuheben. Mittlerweile gibt es Vermittlungsagenturen, die versuchen, Fernfahrer mit Geldprämien zu locken.

Die Regierung verspricht ihrerseits, alles zu tun, was nötig ist. "Wir werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sicherzustellen, dass die Engpässe gelindert werden", sagte Verkehrsminister Grant Shapps am Freitag. Die Regierung arbeite hart daran, Gesetze zu ändern, um die Ausbildung neuer Lkw-Fahrer zu erleichtern. Außerdem müsse man dafür sorgen, dass der Beruf attraktiver werde. Bis es soweit ist, hat die Regierung immerhin einen Notfallplan: Wenn es ganz schlimm kommt, sollen Soldaten das Benzin an die Tankstellen fahren.

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