Bundestag:Die neuen Liberalen

FDP-Spitzenpolitiker nach der Bundestagswahl 2021

Wieder zweistellig: Die FDP feiert am Sonntagabend ihr Ergebnis.

(Foto: Annegret Hilse/Reuters)

Für die FDP war schnell klar, wer die Wahl noch gewonnen hat: sie selbst. 92 Sitze wird die Partei im neuen Bundestag haben. Aber wer zieht dort ein? Und wie verändert das die Fraktion?

Von Gianna Niewel, Frankfurt

Christian Lindner ließ am Sonntagabend keinen Zweifel daran, wer seiner Meinung nach die Wahl schon auch gewonnen hatte: die FDP. Auf 11,5 Prozent kommen die Liberalen, das sind 0,8 Prozentpunkte mehr als bei der vergangenen Wahl 2017. Für den neuen Bundestag bedeutet das, dass die FDP 92 Sitze haben wird. Aber mit wem besetzen sie die? Und wie verändert das die Fraktion?

Zunächst einmal bleibt die Fraktion auch weiterhin stark männlich. Lag der Frauenanteil bisher bei 23,7 Prozent - noch weniger Frauen saßen prozentual nur in den Rängen von Union und AfD -, werden es nun 23,9 Prozent sein. Schaut man sich die Berufe an, sind viele Rechtsanwalt, Juristin, Ingenieur. 14 haben promoviert, ein Mann hat sich habilitiert. Reinhold Hagen aus Mecklenburg-Vorpommern ist Maurer, Muhanad Al-Halak aus Bayern ist Abwassermeister. Von den 92 neuen Abgeordneten kommen nur zwölf aus den ostdeutschen Bundesländern.

Was sind die Ziele der Neuen?

Neben alten Bekannten wie Wolfgang Kubicki, Oliver Luksic, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die mehrere Jahre in Ausschüssen gearbeitet haben, die Posten und Funktionen hatten, und neben Spitzenkandidat Christian Lindner, der seinen Wahlkreis nicht gewonnen hat, aber über die Landesliste einzieht, werden einige Abgeordnete bald zum ersten Mal unter der Glaskuppel des Bundestags Platz nehmen. Was sind ihre Ziele? Und was wollen sie für ihren jeweiligen Wahlkreis erreichen?

Neu im Parlament ist unter anderem Ria Schröder, die Nummer zwei der Hamburger Landesliste. Sie ist 29 Jahre alt und trat in die FDP ein, als die gerade aus dem Bundestag geflogen war. Da war sie 21 und wollte nicht mehr nur "auf dem Sofa sitzen und meckern". Ihr habe vor allem die liberale Grundüberzeugung gefallen. "Wenn jemand mir sagt, ich müsse etwas tun, dann verspüre ich das Bedürfnis, das Gegenteil zu tun", sagte sie in einem Interview. Mittlerweile hat Schröder nicht nur Jura an einer Privat-Uni studiert - finanziert über ein Stipendium - und arbeitet in einer Hamburger Kanzlei, sie war auch mehrere Jahre Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen und ist stellvertretende Landesvorsitzende der FDP Hamburg sowie Mitglied im Bundesvorstand. Also politisch erfahren. Wenn Journalistinnen und Journalisten sich vor der Wahl den Nachwuchs der Parteien angeschaut haben, war sie deshalb oft dabei. Ihre Themenschwerpunkte sind klassisch liberal: Schneller bauen statt Mieten deckeln, Schulen besser ausstatten, New Work nutzen, um Familie und Beruf besser zu vereinbaren.

Mit dabei ist zum ersten Mal auch Jens Teutrine. Der 27-Jährige hat bereits ein paar Jahre Erfahrung bei den Jungen Liberalen, im vergangenen Jahr folgte er Ria Schröder als Bundesvorsitzender. Teutrine wuchs in Ostwestfalen auf, seine Mutter ging putzen, um ihn und die Schwester alleine zu versorgen. Wenn er von der Schule kam, schmierte er sich manchmal selbst ein Brot. Mit 16 Jahren arbeitete er nebenher in einer Bäckerei, außerdem trat er den Jungen Liberalen bei. Den Jungen Liberalen? Teutrine sagte, er habe deren Ideen gemocht. Mittlerweile studiert er Philosophie und Sozialwissenschaften, in seiner Bachelorarbeit verglich er Gerechtigkeitstheorien. Chancen, sagte er bei seiner Wahl zum Vorsitzenden der Jungen Liberalen, hingen noch immer viel zu häufig vom sozialen Hintergrund ab - statt von Charakter, Fleiß und Leistung. Im Bundestagswahlkampf setzte er sich - anders als etwa der Parteichef - nicht allen voran für Wirtschaftsthemen ein, sondern für Bildung. Er unterstützte unter anderem ein elternunabhängiges Bafög, die Erhöhung der Minijobgrenze auf 570 Euro sowie die Anhebung des Kinder- und Auszubildendenfreibetrags. Mit einem Ergebnis von 8,3 Prozent kam er im Wahlkreis Herford-Minden-Lübbecke II auf den fünften Platz, hinter SPD, CDU, Grünen und AfD.

Und da ist Anja Schulz aus Niedersachsen. Sie ist 35 Jahre alt und hat einen Lebenslauf, der für die FDP nicht ungewöhnlich ist: Abitur, Ausbildung zur Bankkauffrau, dann selbständig gemacht als Finanzberaterin. In ihrem Wahlkreis setzt sie sich für den Ausbau der A39 ein, ein klassischer Streitpunkt: Die einen wollen den Verkehr auf die Schienen bringen, Schulz will die bessere Streckenanbindung. Der Allgemeinen Zeitung gab sie zu Protokoll, wie sie ihren ersten Bundestagswahlkampf geführt hat: drei Wahlstände in der Woche in Uelzen, Celle, Bad Bevensen, fünf Podiumsdiskussionen, vier eigene Veranstaltungen, Besuche bei Vereinen, Verbänden, Unternehmen. Als Thema hatte sie unter anderem die Bekämpfung des Klimawandels als Thema gesetzt. Hierzu warb sie für eine CO₂-Bepreisung und entsprechende Forschungsförderung, negative Emissionen müssten belohnt werden. Darüber hinaus hatte sie angekündigt, sie wolle die Digitalisierung vorantreiben und sich für eine inklusive Gesellschaft einsetzen. Schulz war unter anderem Headcoach bei den Special Olympics und ist im Vorstand der Lebenshilfe Uelzen.

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