SZ-Serie "Ein Anruf bei ...":Igitt, Brokkoli!

SZ-Serie "Ein Anruf bei ...": Ach komm, probier mal, das ist soooo gesund ... Wenn Brokkoli serviert wird, hängt in so mancher Familie der Haussegen schief.

Ach komm, probier mal, das ist soooo gesund ... Wenn Brokkoli serviert wird, hängt in so mancher Familie der Haussegen schief.

(Foto: imago/emil)

Warum hassen so viele Kinder Kohlgemüse? Der australische Lebensmittelchemiker Damian Frank hat einen Geschmacksverderber identifiziert.

Interview von Julius Bretzel

Brokkoli, Blumenkohl, Rosenkohl, Wirsing oder Kohlrabi. Viele Kinder - und manche Erwachsene - verziehen bei einer solchen Aufzählung automatisch das Gesicht. Die formenreiche Pflanzengattung Brassica, besser bekannt als Kohlgemüse, führt immer wieder zu Streit am Esstisch. Der australische Lebensmittelchemiker Damian Frank von der University of Sydney hat in einer Studie untersucht, warum sich gerade Kinder gegen das Gemüse sträuben.

SZ: Herr Frank, haben Sie eine Abneigung gegen Kohlgemüse?

Damian Frank: Nein, ich finde es toll. Aber es kommt darauf an, wie es zubereitet wird. Also wenn Blumenkohl oder Brokkoli nur gekocht werden, können sie sehr langweilig sein. Aber wenn sie in einer Pfanne kurz angebraten werden und eine schöne Soße drauf ist - haben Sie das mal gemacht? Dann ist Kohl ziemlich gut.

Das sehen nicht alle Menschen so.

Wenn wir den Ernährungswissenschaftlern glauben, isst praktisch niemand oder nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt genug Gemüse - in Deutschland bestimmt genauso wie in Australien. Gerade Kohlgemüse hat aber viele Vorteile, denn es schützt vor einer ganzen Reihe von Krankheiten, einschließlich Krebs. Es ist also sehr gut für uns.

Wenn es denn nur auch so gut schmecken würde. Warum mögen viele Leute und vor allem viele Kinder keinen Kohl?

Es gibt in Kohlgemüse bittere Verbindungen aus Aminosäuren namens Glucosinolate. Es wird weltweit viel geforscht zum Zusammenhang zwischen der Menge an Glucosinolaten und der Vorliebe von Kindern und Erwachsenen für Kohl. In unserer Studie haben wir jedoch erstmals eine ganz andere chemische Substanz untersucht, die sich in Brassica-Pflanzen anreichert: Dimethyltrisulfid.

Klingt kompliziert.

Wir haben herausgefunden, dass Bakterien, die im Mund vieler, aber nicht aller Menschen vorkommen, sehr schnell mit dem Dimethyltrisulfid in Kontakt kommen. Sie bauen den Stoff im Mund ab und produzieren dabei stinkende Schwefelverbindungen. Wer viele solcher Bakterien hat, hat weniger Freude an Blumenkohl und Co.

Und das haben Sie an Kindern ausprobiert?

Wir hatten 98 Eltern-Kind-Paare, die an der Studie teilnahmen. Nicht alle von ihnen haben bis zum Ende durchgehalten.

Was genau haben Sie herausgefunden?

Die Bakterien im Speichel kommen bei Kindern und bei Erwachsenen vor. Aber bei den Erwachsenen wirkte sich das nicht sonderlich darauf aus, wie sie den Geschmack und Geruch des Blumenkohls beurteilten.

Woran liegt das?

Kinder tasten sich vorsichtig an Lebensmittel heran. Sie mögen erst Süßes, dann auch Salziges. Bitternis mögen sie anfangs definitiv nicht. Das ist wahrscheinlich eine evolutionäre Anpassung, denn einige bittere und stinkende Dinge sind ziemlich giftig. Wenn man älter wird und mehr Erfahrungen mit Lebensmitteln hat, kann man das überwinden.

Stimmt es also doch, wenn Eltern ihren Kindern sagen: Du wirst dich an den Geschmack gewöhnen?

Viele Kinder tun das tatsächlich. Jeder erinnert sich doch an eine Phase, in der er von seinen Eltern gezwungen wurde, Dinge zu essen, die er nicht mochte. Kohlsorten sind da ein Klassiker. Bei mir war es Rosenkohl. Auch Fisch konnte ich nicht ausstehen. Es ist aber eine neue Erkenntnis, dass Bakterien im Mund zum Geschmacksempfinden beitragen können.

SZ-Serie "Ein Anruf bei ...": Damian Frank, 54, ist Lebensmittelchemiker bei der australischen Wissenschaftsagentur CSIRO. Als Kind focht er Kämpfe mit seinen Eltern aus, weil sie ihm Rosenkohl oder Fisch schmackhaft machen wollten.

Damian Frank, 54, ist Lebensmittelchemiker bei der australischen Wissenschaftsagentur CSIRO. Als Kind focht er Kämpfe mit seinen Eltern aus, weil sie ihm Rosenkohl oder Fisch schmackhaft machen wollten.

(Foto: privat)

Und kann man denn herausfinden, ob man selber diese Bakterien im Mund hat?

Man kann eines unserer Experimente sehr leicht selbst nachmachen: etwas Brokkoli in ein Glas geben, etwas Speichel dazu - und das Gleiche mit etwas Wasser aus dem Wasserhahn machen. Das Ganze ein paar Minuten stehen lassen. Riecht man einen sehr großen Unterschied, hat man wahrscheinlich eine hohe Bakterien-Aktivität.

Was heißt das für die Kindererziehung?

Für Eltern ist es hilfreich zu wissen, dass die Abneigung von Bakterien im Mund kommen kann. Und dann kommen sie nur noch mit Geduld weiter. Durch viele Wiederholungen und gute Erfahrungen werden Kinder womöglich den Geschmack ertragen lernen. Wenn sie älter werden, schmeckt es ihnen dann vielleicht sogar.

Lassen sich die Geschmacksverderber-Bakterien denn irgendwie überlisten?

Verschiedene Zubereitungsmethoden könnten den Effekt der Bakterien minimieren: das Gemüse lang genug kochen oder mit der richtigen Soße übergießen. Oder Zitronensaft darauf geben, der die Enzyme im Mund hemmen könnte.

Was wissen Sie sonst noch über die Bakterien?

Wir wissen, dass diese Art von chemischer Reaktion wahrscheinlich bei jedem Menschen weiter unten im Magen-Darm-Trakt vorkommt, sie könnte wichtig für die Aufnahme von Nährstoffen sein. Wir wissen aber absolut nicht, warum manche Leute diese Bakterien im Mund haben oder ob das eine gute oder eine schlechte Sache ist. Wir fangen gerade erst an, das zu verstehen.

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