Neue Gedichte von Ulrich Koch:Als Löschdecken werfen wir Kühe und Schafe

Neue Gedichte von Ulrich Koch: Schräge Bilder in stabiler Seitenlage: Lyriker Ulrich Koch.

Schräge Bilder in stabiler Seitenlage: Lyriker Ulrich Koch.

(Foto: Jung und Jung Verlag)

Geländer aus Versen für das Dasein in der Welt: Ulrich Kochs Gedichtband "Dies ist nur ein Auszug aus einem viel kürzeren Text".

Von Birthe Mühlhoff

Das Zitat "Lieber Freund, entschuldige den langen Brief, für einen kürzeren hatte ich keine Zeit" wird, in chronologischer Reihenfolge, manchmal Blaise Pascal, mal Goethe, Charlotte von Stein oder Winston Churchill zugeschrieben - eine gute Entschuldigung hat gern viele Urheber. Denn man braucht nicht viel Erfahrung im Schreiben zu haben, um zu wissen, dass Texte oft viel mehr Konzentration und Zeit erfordern, desto kürzer man sich fassen will - bei Sprachnachrichten heute ist das nicht anders.

Dieses Zitat kommt einem bei dem neuen Gedichtband von Ulrich Koch in den Sinn, dessen Titel lautet: "Dies ist nur der Auszug aus einem viel kürzeren Text". Bei Ulrich Koch werden Eisenbahnbrücken zu Haarspangen, Schwäne zu verschneiten Grammophonen, Libellen zu Mopeds, und Schaukeln im Garten zu Richtstätten aus der Zeit, als Richtstätten noch wie Schaukeln aussahen. Manche dieser Sprachbilder sind eigenartig schräg, aber in sehr stabiler Seitenlage: "Als Löschdecken warfen wir Kühe und Schafe / über die letzten Glutnester aus Mohn."

Diese Art der Sprachbilder sind in einem echten Sinne poetisch - poiesis heißt eine Wirklichkeit erschaffen. Sie lassen sich nicht auf einen "Vergleich" herunterbrechen, sie sind mehr als nur ein "dieses ist wie jene". Mohn ist zwar rot wie Glut, könnte man behaupten, aber Kühe und Schafe sind nicht "wie Löschdecken" nur weil sie, wiederkäuend, über eine Wiese ausgebreitet sind. Und man kann sie beim besten Willen nicht einfach auf den Mohn werfen, auch wenn darin vielleicht das bekannte Spiel des Küheschubsens anklingt.

"Wusstest du, Ulrich Koch, denn nicht, dass ich, Ulrich Koch, dich, Ulrich Koch, beobachte?"

Dass die Kuh hier als Löschdecke gehandelt wird, bleibt ein schräges Bild. Und mit diesem Bild wird eine Realität erschaffen, die sich nicht einfach vorfinden oder ablesen lässt. Wahr ist sie trotzdem. Kühe sind so ruhige Tiere, dass von ihnen etwas Besänftigendes ausgeht. Auf gewisse, eben auf poetische Weise, können Kühe Löschdecken sein.

Viele von Ulrich Kochs Gedichten sind auf diese Weise vergrübelt oder laden zum Grübeln ein. Viele von ihnen tragen Kalenderdaten als Titel, was ihnen den Charakter von Notizen gibt. Da erstaunt nicht, dass auch auf "das Tagebuchartige / eines jeden Tages" hingewiesen wird. Und dass manches an diesen Tagen banal ist, so banal, dass man es festhalten muss: "Es ist sieben Uhr morgens wie jeden Morgen um sieben."

Eine große Rolle in den Gedichten von Ulrich Koch spielt die Natur. Darin ähneln sie ein wenig den Gedichten von Anja Kampmann, die sich ebenfalls an den Wolken und den Kühen von Norddeutschland abarbeitet. Und manchmal kriegen auch die Gedichte von Ulrich Koch einen Hang ins Apokalyptische, der bei Kampmann zu einem düsteren Raunen verdichtet ist. Bei Koch aber ohne Programm, ohne strengem Zeigefinger oder erhobener Faust. Die einfache, eben beinahe banale Erkenntnis reicht aus: "Ein Leben ohne Schwalben ist sinnlos, / denken die Schwalben."

Neue Gedichte von Ulrich Koch: Ulrich Koch: Dies ist nur der Auszug aus einem viel kürzeren Text. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2021. 160 Seiten, 23 Euro.

Ulrich Koch: Dies ist nur der Auszug aus einem viel kürzeren Text. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2021. 160 Seiten, 23 Euro.

Aber Ulrich Koch legt den Tieren nicht zu viel in den Mund, er macht sie nicht zu Lasteseln des menschlichen Bedürfnisses, in allem etwas Menschliches zu entdecken. Höchstens optisch lässt er seiner Vorstellungskraft freien Lauf: Wenn er eine Amsel beschreibt, wie sie, "das Brotmesser unterm schwarzen Flügel", mit spitzen Fingern eine Zigarette "bis zum nikotingelben Schnabel" raucht... Doch was in den Köpfen von Tieren so vor sich geht, das lässt er zurückhaltend außer Betracht. Nur so etwas Basales wie die Vermutung, dass Schwalben an Schwalben denken, darf angenommen werden. Meist bleibt das Sichhineinversetzen in das Tier lakonisch nüchtern: "Das Letzte, was ein sterbender Hund sieht, / ist ein farbiges Bild."

Dass Poeten eine Vorliebe für Landschaftsmalerei haben, wer wollte es ihnen verübeln. Es gibt aber verschiedene Weisen über ländliche Gegenden Gedichte zu verfassen. Es gibt die Perspektive des Heimkehrers, für den die ländliche Heimat mehr oder weniger nostalgische Erinnerungen an Kindheit und Jugend wachruft (so bei Anja Kampmann). Die Perspektive des Reisenden ist ebenfalls ausgeprägt, gerne geht es dabei nach Italien unter die Zitronenbäume (kitschig und wenig empfehlenswert, aber auch erst kürzlich erschienen: Dirk von Petersdorff "Unsere Spielen enden nicht").

Aus den Gedichten lassen sich gut einzelne Sätze herausgreifen, die man den ganzen Tag mit sich herumtragen kann

Viel seltener kommt es vor, dass ein Dichter seine Gedichte dem ländlichen Raum widmet, weil er dort wohnt. Aus Ulrich Kochs Landschaftsgedichten spricht die Unaufgeregtheit des Alltags. Busse sind darin ein wiederkehrendes Thema, beziehungsweise ein in der Tat wiederkehrendes Transportmittel. Zum Busfahren gehört das Warten genauso wie das Leutebeobachten und das Leutebeobachten beim Warten der Leute beim Warten: "Tannen in den Vorgärten mit hängenden Schultern. / Frauen an den Bushaltestellen, / wie Tannen."

Einmal beschreibt er, wie sich auf dem Zweiersitz hinter ihm ein junges Paar küsst. Erst beim Aussteigen erkennt er seinen Irrtum. Im Blick zurück sieht er, wie eine alte Frau, neben sich ihre Discounter-Tasche, "schmatzend mit der Zunge / Ihr Gebiss nach vorn und hinten schiebt."

Ulrich Koch, 1966 in Winsen an der Luhe geboren, lebt bei Lüneburg und ist nicht hauptberuflich im Literaturbetrieb. Er ist Geschäftsführer einer Firma für Personalvermittlung in der Altenpflege. Aus seinen Gedichten erfährt man das alles nicht. Das Ich ist ein Mann, der sich von der Lebensmitte bereits langsam ein wenig wegbewegt, für den die Liebe wichtig war und ist, der aber auch viel Zeit alleine verbringt.

Dieses Ich, das kaum greifbar, sondern eher nur ein Ich-Gefühl ist, wird hin und her gedreht und gewendet und ausgeleuchtet: "Wusstest du, Ulrich Koch, denn nicht, dass ich, Ulrich Koch, dich, Ulrich Koch, beobachte?" Es ist ein selbstreflektiertes Ich, ein Ich, das weiß: "Die überwältigende Mehrzahl meiner Naturbeschreibungen besteht aus Selbstbeobachtungen. / Und umgekehrt." Dieser Grad der Selbstreflexion schließt den Humor mit ein. Immer wieder gibt es Sätze, die sich über das ständige Kreisen um sich selbst lustig zu machen scheinen: "Ich bin der einzige Mensch, der vom Weltraum aus / mit bloßem Auge zu erkennen ist."

Ulrich Kochs letzter Gedichtband, 2017 mit gleicher Seitenzahl und Aufmachung ebenfalls im österreichischen Verlag Jung und Jung erschienen, machte das Selbst sogar zum Programm: "Selbst in hoher Auflösung". Ein schöner Titel, der zum einen das Überscharfe eines Selbstportraits festhält, und zum anderen das Augenmerk darauf lenkt, dass Auflösung auch genau das Gegenteil, die Verflüchtigung und Verunklarung, bedeuten kann.

Aus den Gedichten von Ulrich Koch lassen sich gut einzelne Sätze herausgreifen, die man den ganzen Tag mit sich herumtragen kann. Ihm gelingt es, manche Dinge derart auf den Punkt zu bringen, dass es nicht verwundern muss, wenn das Restgedicht drum herum (nur) flankierend wirkt. Ein einprägsamer Satz und sein Dunstkreis. Das führt zwar mitunter dazu, dass die Gedichte nicht wie aus einem Guss wirken und manchmal noch den Charme des Selbstgebauten an sich haben. Aber so wollen sie auch sein. Sie sind schöne schmiedeeiserne Geländer für das Dasein in der Welt.

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